Die Filmemacherin Astrid Menzel unternimmt in ihrem Dokumentarfilm mit ihrer demenzkranken Großmutter eine Reise. Ein berührender, geradlinig erzählter und warmherziger Film über den Abschied von einem geliebten Menschen auf Raten und den Umgang damit.
Astrid hat ihrem Opa das Versprechen gegeben, sich nach seinem Tod um die Oma zu kümmern. Nun ist der Opa gestorben und Astrid, die ihn in seinen letzten Lebensjahren auch als Filmemacherin begleitet hat, will ihr Versprechen einlösen. Doch das ist nicht so einfach. Denn die Oma leidet an Demenz. Zunächst sind es nur kleine gedankliche Aussetzer. Aber immer mehr entgleitet das Leben ihrem Geist – und auch sie entgleitet denen, die sie so lieben.
Nach ihrem preisgekrönten Kurzspielfilm NICHT IM TRAUM setzt sich die Filmemacherin Astrid Menzel erneut mit dem Thema der Endlichkeit des Lebens und des Erfahrens im eigenen Familienkreis auseinander. In ihrem Langfilmdebüt BLAUER HIMMEL WEISSE WOLKEN gelingt es der Regisseurin nun, die Geschichte auf zwei Ebenen zu erleben und zu vermitteln: Als Enkeln und Filmemacherin. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich der Film bewegt, doch man spürt in jeder Minute, mit wieviel Fingerspitzengefühl sich Menzel auf diese filmische Reise einlässt. Dass der Film berührend, aber nie rührselig wird, liegt an der entwaffnenden Ehrlichkeit, mit der Menzel sich auch den unangenehmen Episoden stellt, die sie mit ihrer Oma erlebt. Denn die gemeinsame, nostalgisch angehauchte Reise, zusammen mit Astrid Menzels Bruder und einem Kanu, wird nicht etwa zu einer ungetrübt heiteren Fahrt in die Vergangenheit. Oftmals ist die Stimmung angespannt, wenn die Demenz den Geist der Oma blockiert und sie wütend und latent aggressiv werden lässt. Auch wenn der Film hier nicht wegschaut, findet Menzel in ihrer Inszenierung doch geschickt Wege, die Würde der Großmutter nicht zu verletzen oder sie bloßzustellen. Menzel kommentiert aus dem Off ihre eigene Hilflosigkeit und lässt so eine größtmögliche Nähe auch zu den Zuschauenden zu, die sich in dieser ungeschönten Situation wiederfinden. Doch neben aller realistischer Härte wirkt BLAUER HIMMEL WEISSE WOLKEN nie bedrückend schwer, sondern erlaubt auch durch den unzerstörbaren trockenen Humor aller Protagonist:innen immer wieder heiter-besinnliche Momente, die zeigen, dass sich die Konfrontation mit der schwierigen Situation lohnt. Und dass das Ende des Lebens, das so verschieden und divers sein kann wie das Leben selbst, etwas ganz Natürliches ist.
Jury-Begründung / Prädikat besonders wertvoll
Anfangs wirkt der chronologische Dokumentarfilm BLAUER HIMMEL WEISSE WOLKEN der Filmemacherin Astrid Menzel noch etwas planlos und mit handwerklichen Unsicherheiten, als es um den bevorstehenden Tod ihres Großvaters geht. Man sieht ihn über seine letzten Wochen hinweg, es werden das Haus und eine funktionierende Familie gezeigt und viele Geschichten und mögliche weitere Erzählrichtungen in Einzelszenen angedeutet. Ab dem Tod des Großvaters und mit der aufkommenden Demenzerkrankung der Großmutter, mit der die Enkelin Astrid Menzel trotz zunehmender Desorientierung auf eine Paddelboot-Tour aufbricht, findet der Film in den letzten zwei Dritteln dann aber professionelle Form, Sicherheit und einen schönen Fluss, so dass die Jury ihm emotional bewegt bis zum Ende folgte.
Bei Themen wie Sterben und Demenz ist besondere Sensibilität im Umgang mit den Gefilmten geboten, und es ist geradezu vorbildlich, wie es Menzel gelingt, niemals die Würde der Gezeigten zu verletzen, dabei Intimes zuzulassen, aber niemals voyeuristisch zu sein. Elegant sind Fotos sowie Super 8- bzw. Videofilme der Vergangenheit eingewoben und werden im Film mit eigenen Szenen aufgegriffen, so dass sich ein schöner familiärer Bogen über die drei dokumentierten Jahre hinaus ergibt.
Auch Überforderung durch die Verengung der Möglichkeiten und das schlechte Gewissen von Familienmitgliedern beim Abschiednehmen und beim Kontakthalten werden hier durch persönliche Off-Reflexionen der Filmautorin angesprochen. Die leichten sprecherischen Unsicherheiten unterstreichen dabei die persönliche Betroffenheit.
Dass der Film nicht alle Aspekte – wie die Frage, warum genau es diese Enkelin ist, die sich in dieser Familie so stark der Großmutter annimmt – auslotet, sondern auch Leerstellen lässt, schadet dem Film nicht, sondern ist der klugen Fokussierung auf die Großmutter geschuldet.
So berührt der Film mit allen seinen Mitteln die Zuschauerinnen und Zuschauer und regt stark zu eigenen Reflexionen um das Thema Sterben und Abschied, Nähe und Pflege an. Das alles war der Jury bei einigen kleineren Einwänden – gerade auch bei so einem beachtlichen Debüt – das Prädikat BESONDERS WERTVOLL wert.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) / 22.05.2023
Foto FBW