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Kirgistan schiebt Journalist ab

Kirgistan

Reporter ohne Grenzen (RSF)

Ohne Telefon, Geld, Gepäck und Ausweispapiere: Der kirgisische Investigativjournalist Bolot Temirow wurde am 23. November direkt aus dem Gerichtssaal nach Russland abgeschoben. Kurz zuvor hatte ein Gericht in Kirgistans Hauptstadt Bischkek seine Ausweisung wegen angeblich gefälschter Dokumente zur Erlangung eines kirgisischen Passes angeordnet. Bolot Temirow ist für den diesjährigen Press Freedom Award von Reporter ohne Grenzen (RSF) nominiert.

„Die Abschiebung Bolot Temirows ist ein empörender und absolut inakzeptabler Schritt“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Mit der Ausweisung rächten sich die kirgisischen Behörden an einem unbequemen Journalisten, dessen Recherchen sie in schlechtem Licht erscheinen lassen.  „Man darf Journalisten nicht aufgrund ihrer Arbeit abschieben. Das Urteil muss umgehend rückgängig gemacht werden.“

Temirow, der die russische und kirgisische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde im Verhandlungssaal festgenommen und mit Gewalt in ein Auto gezerrt. Anschließend verschwand er für mehrere Stunden. Temirows Anwälte und Angehörige telefonierten erfolglos Polizeiwachen und Gefängnisse auf der Suche nach dem Medienschaffenden ab. Schließlich tauchte der Journalist am Bischkeker Flughafen Manas im Gewahrsam von sechs Sicherheitsbeamten in Zivil auf, welche ihn in ein Flugzeug nach Moskau zwangen.

Bolot Temirow zählt zu Kirgistans bekanntesten Investigativjournalisten. Auf seinem YouTube-Kanal Temirov Live veröffentlicht er seit 2020 Reportagen über Korruption und Vetternwirtschaft unter Regierungsbeamten. Seit Beginn des Jahres wird er von den Behörden drangsaliert. Anlass war eine Video-Reportage über illegale Geschäfte der Familie des kirgisischen Inlandsgeheimdienstchefs (GKNB) Kamtschybek Taschijew mit den staatlichen Erdölkonzernen Kyrgysneftegas und Kyrgys Petroleum Company. Taschijew gilt als enger Vertrauter von Präsident Sadyr Dschaparow. Zwei Tage nach der Veröffentlichung am 20. Januar fand die Polizei bei einer Razzia in den Redaktionsräumen von Temirov Live Drogen. Temirow wurde vorübergehend verhaftet. Der Medienschaffende streitet den Besitz des Rauschgifts ab. Es sei ihm von den Beamten untergeschoben worden.

Staatsanwälte gegen unabhängige Recherche

Im April veröffentlichte Temirow den zweiten Teil seiner Video-Reportage über die Schattengeschäfte des Taschijew-Clans. Daraufhin wurde er wegen Urkundenfälschung zur Erlangung der kirgisischen Staatsbürgerschaft und illegalen Grenzübertritts angeklagt. Temirow, der als Kind mit seinen Eltern aus dem südkirgisischen Osch nach Moskau zog, soll sich 2008 mithilfe eines gefälschten Militärausweises illegal einen kirgisischen Pass beschafft haben, behaupteten behaupteten Präsident Dschaparow und Geheimdienstchef Taschijew. Im Mai erklärte das Innenministerium Temirows Pass für ungültig. Aus Sicht der Behörden kommt der Schritt offensichtlich dem Entzug der kirgisischen Staatsbürgerschaft gleich: Temirows Abschiebung am 23. November wurde als Ausweisung eines ausländischen Staatsbürgers begründet.

Temirow weist sämtliche Vorwürfe zurück. Er sei in Kirgistan geboren und besitze daher auch kirgisische Staatsbürgerschaft. Zudem sprach ihn ein kirgisisches Gericht im September von den Vorwürfen des Drogenbesitzes und -konsums, der Urkundenfälschung und des illegalen Grenzübertritts frei. Die Richter befanden ihn jedoch der Verwendung gefälschter Dokumente zur Erlangung eines kirgisischen Pass für schuldig. Wegen des Ablaufs der Verjährungsfrist verhängten sie allerdings keine Strafe. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Berufung ein und forderte die Ausweisung Temirows, da er ein ausländischer Staatsbürger sei. Diesem Antrag entsprach das Gericht mit seiner Entscheidung am 23. November.

Der Journalist will sich gegen seine Abschiebung wehren und kündigte eine Verleumdungsklage gegen Präsident Sadyr Dschaparow und Geheimdienstchef Kamtschybek Taschijew an. Temirows Anwälte wollen zudem beim Obersten Gerichtshof Kirgistans Berufung gegen seine Abschiebung einlegen und auch internationale Instanzen anrufen.

Immer mehr Repressionen gegen Medienschaffende

Kirgistan galt lange als demokratische Ausnahme unter den zentralasiatischen Staaten und verfügt über eine vergleichsweise vielfältige Medienlandschaft. Doch seit mehreren Jahren verschlechtert sich die Lage der Pressefreiheit. Spätestens seit den Parlamentswahlen im Oktober 2020 und der folgenden Wiedereinführung des Präsidialsystems unter Sadyr Dschaparow zeichnet sich eine autokratische Wende ab. Repressionen gegen unabhängige Medien häufen sich.

So wurde im Oktober die Internetseite von Radio Azattyk, dem kirgisischen Dienst des US-finanzierten Senders Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/ RL), für zwei Monate für zwei Monate blockiert und anschließend dessen Konto eingefroren. Radio Azattyk hatte sich im Spätsommer 2022 geweigert, einen Videobericht über den bewaffneten Grenzkonflikt zwischen Kirgistan und Tadschikistan zu löschen. Seit dem 28. September sorgt zudem der Entwurf eines neuen Mediengesetzes für Unruhe unter kirgisischen Journalistinnen und Journalisten. Das Gesetz soll die Schließung von Medienhäusern sowie die Abschaltung von Internetseiten vereinfachen. Medienschaffende befürchten Zensur.

Reporter ohne Grenzen (RSF) / 29.11.2022

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