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Prozessbeginn: Pham Doan Trang freilassen

Vietnam

Reporter ohne Grenzen (RSF)

Vor dem Prozessbeginn gegen Pham Doan Trang am Donnerstag (4.11.) fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) gemeinsam mit 27 weiteren Menschenrechtsorganisationen ihre sofortige und bedingungslose Freilassung. Die bekannte vietnamesische Journalistin ist seit mehr als einem Jahr willkürlich in Haft. Die Justiz wirft ihr „Propaganda gegen den Staat“ vor, ein häufig genutzter Vorwurf gegen kritische Stimmen im Land. Die Verfolgung von Trang und anderen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern ist Teil einer immer stärkeren Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in Vietnam.

„Pham Doan Trang wird eindeutig wegen ihrer langjährigen Arbeit als unabhängige Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin verfolgt. Ihr friedlicher Aktivismus sollte geschützt und gefördert und nicht kriminalisiert werden“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die vietnamesischen Behörden müssen die absurden Vorwürfe gegen Pham Doan Trang sofort fallenlassen. Wir werden keine Ruhe geben, bis die mutige Journalistin und alle anderen in Vietnam inhaftierten Medienschaffenden frei sind.“

Trang wurde am 6. Oktober 2020 in ihrer Wohnung in Ho-Chi-Minh-Stadt festgenommen. Einen Monat zuvor hatten fünf UN-Sonderberichterstatter in einer gemeinsamen Mitteilung auf die zunehmenden Schikanen gegen Trang und andere unabhängige Schriftsteller und Journalistinnen aufmerksam gemacht. In ihrer Antwort vom Dezember 2020 wies die vietnamesische Regierung alle Anschuldigungen zurück und rechtfertigte die Verhaftung von Trang ohne Beweise vorzulegen damit, dass sie angeblich das Internet missbrauchen würde, um den Staat zu stürzen. Nach ihrer Festnahme hielten die Behörden Trang mehr als ein Jahr ohne Kontakt zur Außenwelt fest. Erst am 19. Oktober 2021 durfte sie einen ihrer Anwälte treffen.

Keine Informationen zu Anklageschrift

Nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen wurde am 30. August in Hanoi Anklage gegen Trang erhoben. Ihre Familie erfuhr davon erst mehr als einen Monat später, am 7. Oktober, und erst nachdem sie die Behörden um Informationen gebeten hatte. Erneut durften weder Familie noch Anwälte Trang im Gefängnis besuchen. Die Behörden weigerten sich zu dem Zeitpunkt auch, den Anwälten eine Kopie der Anklageschrift und Einblick in die angeblichen Beweise zu geben, die sie gegen die Journalistin vorbereitet hatten. Diese Verzögerung und der fehlende Zugang zu einem Anwalt ihrer Wahl verstoßen gegen ihr Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.

Laut der Anklageschrift, die erst am 18. Oktober und damit mehr als ein Jahr nach ihrer Festnahme öffentlich wurde, wird Trang gemäß Artikel 88 des Strafgesetzbuches die Verbreitung von staatsfeindlicher Propaganda vorgeworfen. Die vietnamesischen Behörden greifen immer wieder auf diesen Artikel zurück, um unabhängige Journalistinnen und Schriftsteller zu bestrafen, die friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen haben.

In der Anklageschrift werden drei Berichte genannt. Darunter ist ein ausführlicher Bericht über eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte Vietnams, den Trang zusammen mit der Umweltschutzgruppe Green Trees verfasst hat. Im Jahr 2016 hatte das taiwanesische Stahlwerk Formosa Giftmüll im Meer entsorgt, wodurch Tausende von Tonnen Fisch vergiftet wurden. Ebenfalls in der Anklageschrift erwähnt werden ein Bericht aus dem Jahr 2017 über Religionsfreiheit in Vietnam und ein undatierter Artikel mit dem Titel „Allgemeine Bewertung der Menschenrechtslage in Vietnam“. Diese Veröffentlichungen unterstreichen die wichtige Arbeit von Trang als Autorin, Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin, die sich unermüdlich für ein gerechteres und nachhaltigeres Vietnam einsetzt. In der Anklageschrift wird Trang auch vorgeworfen, mit den zwei ausländischen Medien Radio Free Asia und British Broadcasting Corporation (BBC) gesprochen zu haben, um angeblich die vietnamesische Regierung zu diffamieren und Nachrichten zu fabrizieren.

Abschreckende Botschaft an die Zivilgesellschaft

Menschenrechtsberichte als Beweismittel in einer Strafverfolgung zu verwenden, schreckt die Zivilgesellschaft ab und erhöht das Risiko der Selbstzensur. Die Umweltschutzgruppe Green Trees hat Trangs Bericht über Formosa zudem für Lobbyarbeit beim UN-Sonderberichterstatter zu Auswirkungen von Umweltverschmutzung auf die Menschenrechte im Jahr 2016 genutzt. Dass der Bericht nun als Beweismittel gegen sie verwendet wird, ist möglicherweise eine Vergeltungsmaßnahme für die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen.

Im Vorfeld ihres Prozesses diese Woche gewährten die Behörden Trang erst am 19. Oktober ein erstes Treffen mit ihrem Anwalt. Dieser gab zwar an, dass die Journalistin insgesamt positiv eingestellt sei, er berichtete aber auch von einigen ernsteren medizinischen Problemen. So haben sich die Schmerzen in Trangs Beinen, die 2015 von der Polizei gebrochen wurden, verschlimmert, weil ihr eine angemessene medizinische Versorgung in Haft verweigert wird. Die Journalistin durfte keinen Arzt aufsuchen, um andere Vorerkrankungen behandeln zu lassen, und hat 10 Kilo abgenommen.

Wichtige Stimme der Zivilgesellschaft

Trang gehört zu den führenden Stimmen und bekanntesten unabhängigen Autorinnen und Autoren der vietnamesischen Zivilgesellschaft. Sie hat tausende Artikel, Blogeinträge, Facebook-Posts und Bücher über Politik, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte verfasst.

Trang hat das Onlinemagazin Luât Khoa gegründet und ist Redakteurin bei thevietnamese. Die beiden Medien helfen den vietnamesischen Bürgerinnen und Bürgern, die Gesetze des Landes zu verstehen, ihre Rechte zu verteidigen und sich gegen die autoritäre Herrschaft der Kommunistischen Partei zu wehren. Im Jahr 2017 hat die tschechische Menschenrechtsorganisation People in Need Trang mit dem Homo Homini Preis ausgezeichnet, 2019 erhielt die Journalistin in Berlin den Press Freedom Award von Reporter ohne Grenzen für besonders wirkungsvollen Journalismus.

Wegen ihrer journalistischen Arbeit und ihrem Einsatz für Menschenrechte wurde die Journalistin wiederholt von staatlichen Stellen schikaniert und eingeschüchtert. Im Jahr 2015 haben Sicherheitskräfte Trang so schwer verprügelt, dass sie seitdem oft auf Krücken angewiesen ist. Nach ihrer Festnahme 2018 wurde sie in Polizeigewahrsam geschlagen und musste im Krankenhaus behandelt werden. In den drei Jahren vor ihrer jüngsten Festnahme musste Trang aus Angst vor den Behörden ständig umziehen.

Die unterzeichnenden Organisationen fordern die vietnamesische Regierung auf:

  • Pham Doan Trang und alle Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, die wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte und Grundfreiheiten inhaftiert sind, sofort und bedingungslos freizulassen und alle Vorwürfe gegen sie fallenzulassen;
  • bis zu Trangs Freilassung menschenwürdige Haftbedingungen zu gewährleisten und ihren Zugang zu medizinischer Versorgung sicherzustellen;
  • Trang regelmäßigen Kontakt mit ihrer Familie und vertraulichen Zugang zu Rechtshilfe ihrer Wahl zu garantieren;
  • sicherzustellen, dass die von Trang ausgewählten Anwälte rechtzeitig Zugang zu allen relevanten juristischen Unterlagen erhalten, uneingeschränkt und vertraulich mit Trang kommunizieren können und ausreichend Zeit und Möglichkeiten haben, ihre Verteidigung vorzubereiten;
  • sicherzustellen, dass der Prozess für die Öffentlichkeit einschließlich diplomatischer Beobachterinnen und Beobachter, Mitglieder der Zivilgesellschaft und Medienmitarbeitende zugänglich ist und willkürliche Reisebeschränkungen für Prozessbeobachterinnen und -beobachter zu unterlassen;
  • das Strafgesetzbuch und andere nicht menschenrechtskonforme Gesetze grundlegend zu ändern, mit denen unter anderem Medienschaffende und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger schikaniert und eingeschüchtert werden.

Mindestens 42 Medienschaffende sind in Vietnam wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, nur in Myanmar und China sind es noch mehr. Erst Ende Oktober hat ein Gericht in der Stadt Can Tho im Süden des Landes fünf Journalisten zu Haftstrafen von bis zu viereinhalb Jahren verurteilt. Sie berichteten für eine Online-Zeitung vor allem über Korruption.

Seit sich 2016 beim Parteikongress die Hardliner der Kommunistischen Partei (KP) gegen die Reformer durchgesetzt haben, wurden zahlreiche Medienschaffende zu langen Haftstrafen verurteilt. Auch im Vorfeld des jüngsten Parteikongresses im Januar 2021 kam es zu einer Verhaftungswelle. RSF zählt den Generalsekretär der KP, Nguyen Phu Trong, zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Vietnam auf Platz 175 von 180 Staaten.

Die 28 unterzeichnenden Organisationen:

Access Now, ALTSEAN-Burma, Amnesty International, ARTICLE 19, Asia Democracy Chronicles, Asia Democracy Network, Asian Forum for Human Rights and Development (FORUM-ASIA), Boat People SOS (BPSOS), CIVICUS: World Alliance for Citizen Participation, Committee to Protect Journalists, Defend the Defenders, FIDH – International Federation for Human Rights, Front Line Defenders, Green Trees, Human Rights Watch, International Commission of Jurists, International Publishers Association, Legal Initiatives for Vietnam, Open Net Association, PEN America, People in Need, Que Me – Vietnam Committee on Human Rights, Reporter ohne Grenzen, Safeguard Defenders, The 88 Project, Vietnam Human Rights Network, Vietnamese Women for Human Rights, World Organisation Against Torture (OMCT)

Reporter ohne Grenzen (RSF) / 03.11.2021

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