Die fesselnde Tatsachenverfilmung um den Lynchmord an Emmett Till in den USA der 1950er Jahre, der die Flamme der schwarzen Bürgerrechtsbewegung schürte.
Mamie Till Mobley lebt mit ihrem 14-jährigen Sohn Emmett, liebevoll Bo genannt, im Chicago der 1950er Jahre. Rassentrennung ist allgegenwärtig, aber im aufgeschlossenen Norden der USA für die schwarze Bevölkerung weniger eine Gefahr als im Süden des Landes. Als Bo allerdings in einem Sommer zu Onkel und Tante nach Mississippi fährt, schwant Mamie Böses. Es kommt, wie es kommen muss. Ein scheinbar unschuldiger Austausch mit einer weißen Frau macht Bo zur Zielscheibe der dort lebenden Weißen, die ihn entführen, foltern und schließlich ermorden. Die Täter landen vor Gericht, doch das besteht zu dieser Zeit ausschließlich aus weißen Männern. Es folgt ein Kampf gegen das System, in dem Mamie nach der Wahrheit und Gerechtigkeit für ihren Sohn sucht.
Bereits in der ersten Szene des Films legt Danielle Deadwyler mit ihrem Spiel der Mamie Till Mobley den Grundstein für diesen wichtigen Film über Gerechtigkeit und die Schrecken der Rassentrennung. In ihrem Blick spiegelt sich die ganze Geschichte des Films wider, von der bedingungslosen Liebe für ihren Sohn Bo, über die Angst, es könnte ihm in dieser für schwarze Menschen unsicheren Welt etwas zustoßen bis hin zur Verzweiflung über die schrecklichen Gräueltaten, die Unschuldigen zugefügt werden. Die Kameraarbeit von Bobby Bukowski ist dabei phänomenal. Der Film ist gezeichnet von Genauigkeit, sei es über die Variation der Distanz zu den handelnden Figuren, die Perspektive in Momenten der Trauer oder die vollständige Abkehr von den Tätern, denen in keinem Moment des Films auf der Bildebene ein Gewicht zugesprochen wird. All das fügt eine detailverliebte Ausstattung zu einem Bild zusammen, dass einen tiefer und tiefer in die USA der 1950er eintauchen lässt. So erzählt Chinonye Chukwu TILL – KAMPF UM DIE WAHRHEIT mit Hingabe und einem weiblichen Blick vollständig aus der Perspektive der Mutter und schenkt dem Zuschauenden mit jeder Filmminute mehr Empörung und mehr Kraft über die Untaten, die danach schreien, mitkämpfen zu wollen. „Wir müssen hinsehen“, erklärt Mamie als es um die Entscheidung geht, ihren geschundenen Sohn in einem offenen oder geschlossenen Sarg zu betrauern. Seinerzeit und unter den Umständen des Zustands des Jungen ein Skandal, vor allem in der weißen Bevölkerung. So wird dieses Tatsachendrama nicht zum reinen Historienfilm, sondern reiht sich ein in bedeutende Werke der Black History und Exploitation-Genres wie MISSISSIPPI BURNING oder SELMA. Ein Film um die Entstehung einer Heldin der Geschichte und gleichsam eine Mahnung an rassistische Schreckenstaten.
Jury-Begründung / Prädikat besonders wertvoll
Schon in der ersten Szene liegt die ganze Kraft der Geschichte und Qualität der Filmes: Mamie und ihr Sohn Emmett, von ihr liebevoll „Bo“ genannt, fahren zusammen mit dem Auto in die Stadt zum Einkaufen. Sie hören Radio, singen mit. Plötzlich erlischt der Glanz in Mamies Augen. Es ist nicht mehr Unbeschwertheit, sondern blanke Angst, die sich Bahn bricht. Doch kein Dialog verrät den inneren Abgrund, alles findet nur im Gesicht von Danielle Deadwyler statt, die energisch und sensibel zugleich Mamie Till-Mobley verkörpert. – Es sind die letzten Stunden mit Bo, bevor er zu Verwandten ins ländliche Mississippi aufbricht, um dort die Ferien zu verbringen. Mamie weiß, dass in den amerikanischen Südstaaten der 50er Jahre andere Regeln gelten als im liberaleren Chicago, wo sie als alleinerziehende Mutter lebt. Zwar ist sie die einzige Afroamerikanerin im Büro der Air Force und im Kaufhaus wird sie unsanft auf das Angebot im Keller aufmerksam gemacht, aber die Welle der Gewalt, die „Negros“ in anderen Teilen der USA entgegen gebracht wird, wirkte lange weit, weit weg.
In diesem Kontrast und der unterschwelligen Bedrohung spinnt das sorgsam von einer unaufdringlichen, aber präzisen Kamera eingefangene Drama von Regisseurin Chinonye Chukwu seine Fäden. Es nimmt sich Zeit, das Thema sorgsam aufzubauen. Ohne viel Vorwissen über die amerikanische Rassentrennung vorauszusetzen, schafft es eine große Nähe zu den durchweg schwarzen Hauptfiguren und deren schier endlose Fallhöhe. Man durchlebt mit Mamie und den sie umgebenden Menschen die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, die Überheblichkeit der Weißen, deren blinden Hass, die Hilflosigkeit der Opfer. Es geht um nichts weniger als Leben und Tod, daran lässt der Film keinen Zweifel. Nicht einmal wechselt er in die Perspektive der Männer, die Bo nach einem unschuldigen Kompliment an eine weiße Verkäuferin einen „Denkzettel“ verpassen, der zum Funken wird für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung.
Mamie, die aus der Rolle eines Opfers in die einer Heldin erwächst, kann einen nicht ungerührt lassen. Der Schnitt ist immer auf den Punkt, um den Opfern der weißen Gewalt mit Würde zu begegnen, aber in den wichtigen Momenten hinzusehen. Denn darum geht es: Zu lange wurde weggesehen, sogar bis heute. Erst 2022 wurde das Emmett-Till-Law verabschiedet, das Lynchmorde in den USA nach Bundesgesetz als Hassverbrechen strafrechtlich verfolgbar macht – 67 Jahre nach dem grausamen Mord, der als realer Fall Pate steht für dieses biografische Drama.
Ganz in der Tradition von Meisterwerken wie MISSISSIPPI BURNING oder SELMA leistet TILL einen unverzichtbaren Beitrag zur aktuellen Rassismus-Debatte und hält ein flammendes Plädoyer für Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit.
In Abwägung aller Argumente vergibt die Jury gerne das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) / 23.01.2023
Bildsschirmfoto: FBW