Der neue Film von und mit Florian David Fitz ist ein Feelgood-Movie, das sich traut, relevante Themen mit großer Sensibilität anzusprechen.
Als seine Ex-Frau ins Krankenhaus kommt, sieht der Polizist Ben eine Chance, wieder mehr Zeit mit seinen beiden Kindern Erna und Oskar verbringen zu können. Doch Oskar benimmt sich irgendwie anders als früher. Er ist in sich gekehrt und will mit Ben gar nichts mehr „jungsmäßiges“ unternehmen. Dafür hat er jetzt ein Lieblingskleid, welches er am liebsten jeden Tag tragen würde. Und seinen Namen mag Oskar auch nicht mehr. Denn Oskar will jetzt Lili sein.
Mit OSKARS KLEID behandeln Regisseur Hüseyin Tabak und Drehbuchautor Florian David Fitz Themen, die auch und gerade für Familien aktueller nicht sein könnten: Die Selbstfindung und –definierung eines jeden Menschen, unabhängig vom biologischen Geschlecht. Die Perspektive, die Fitz und Tabak wählen, ist die Perspektive des Vaters, den Fitz mit einer Mischung aus Hilflosigkeit, Irritation und hingebungsvoller Vaterliebe verkörpert. Ben will Oskar/Lili verstehen, doch ist unfähig, gelernte Sichtweisen aufzubrechen, auch weil er sich damit überfordert fühlt. Was den Film zu einem ganz besonderen Glücksfall macht, ist die Besetzung der Geschwister Erna und Oskar/Lili. Vor allem Lauri als Oskar/Lili ist umwerfend und verkörpert auf ganz natürlich kindliche Weise eine Suche nach der eigenen Identität – spielerisch, aber auch mit ernsthafter Tiefe. Das gelbe Kleid, welches immer wieder im Bild zu sehen ist, wird dabei zu einem Symbol für ein erstarktes Selbstbewusstsein. Doch der Film verschweigt auch nicht die Problematik, die auf Oskar/Lili zukommt. Sogar die Großeltern (herrlich kauzig: Senta Berger und Burghart Klaußner) wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Und auch der wissenschaftliche Stand der Transgender-Forschung, gerade in einem frühkindlichen Stadium, wird nicht als allwissend dargestellt. OSKARS KLEID ist ein Feelgood-Film, der trotz schöner Bilder, einer guten Stimmung und einem hoffnungsvollen Happy End keine Angst davor hat, über tiefergehende Themen zu sprechen und mit einer mutmachenden Botschaft zu motivieren, über genau diese Themen auch nach dem Kinobesuch zu sprechen.
Jury-Begründung / Prädikat besonders wertvoll
Der vielfach ausgezeichnete Regisseur Hüseyin Tabak und Drehbuchautor Florian David Fitz erzählen mit OSKARS KLEID eine Geschichte, die Fragen rund um Transidentität bei Kindern mit den Mitteln populärer Familienunterhaltung adressiert. Im Mittelpunkt steht ein Vater, der sich derart vehement an ein althergebrachtes Weltbild klammert, dass ihm seine Gegenwart komplett zu entgleiten droht. Seine Frau hat ihn verlassen, seine beiden Kinder sieht er nur noch selten, er trinkt und sucht Bestätigung in seinem Beruf als Polizist. Als er plötzlich Verantwortung für seine Kinder übernehmen muss, stellt er fest, dass sich Oskar schon seit einiger Zeit als Mädchen weitaus wohler fühlt und sich fortan Lilli nennt. Für den Vater, von Florian David Fitz selbst gespielt, droht die Welt unterzugehen, und es braucht lange, bis er erkennt, dass sich ihm vielmehr eine neue eröffnet, sobald er seine Haltung verändert.
Dem Film gelingt es sehr gut, seine Kernbotschaft auf unterhaltsame und damit eben breitenwirksame Weise zu setzen. Verkürzt gesagt lautet diese Botschaft: Nicht Lilli und ihre erwachende Transidentität sind das Problem, sondern der Vater, die Erwachsenen, das Umfeld sind es, weil sie sich außer Stande sehen, von gelernten und tradierten Sichtweisen abzulassen. Wenn der Großvater in einer zentralen Szene Lillis Mut, zu ihrer Identität zu stehen, der Feigheit des Vaters inklusive seines konservativen Weltbilds gegenüberstellt, dann blitzt für einen Moment ein ganz grundsätzlicher Wesenszug des allgemeinen aktuellen Generationenkonflikts auf. Und so erklärt sich auch die Wahl der Erzählperspektive. Die Geschichte aus Lillis Sicht zu erfahren, mehr über Inneres zu lernen, wäre vielleicht auch interessant gewesen, entspricht aber nicht dem Ansatz des Films. Wie schon der Titel vermittelt: Es geht nicht um „Oskar“, sondern um „Oskars Kleid“. Der äußere Blick, die Reaktionen der Erwachsenen stehen im Vordergrund und ermöglichen dem Film, zusammen mit den dramaturgisch gelungen verrührten Zutaten der klassischen Heldenreise sowie einer dem Genre entsprechenden visuellen Umsetzung, beim breiten Publikum anzudocken.
Viele weitere Themenkomplexe spielen im Fahrwasser der Geschichte eine mal mehr, mal weniger ausgeprägte Rolle (Patchworkfamilie, Alkoholmissbrauch, Toleranz etc.), was den Film streckenweise vielleicht ein wenig überfrachtet wirken lässt. Auch manche Beschreibung des Umfelds erscheint nicht immer stimmig – so fügt sich die Bagatellisierung des Arbeitsalltags bei der Polizei zum Beispiel nicht wirklich in die Erzählung ein. Dafür wiederum statten die Filmschaffenden gerade einige der Nebenfiguren mit angenehmen Brüchen klassischer Stereotype aus.
Auf schauspielerischer Ebene erweist sich insbesondere die Besetzung von Laurì für die Rolle von Oskar/Lilli als absoluter Glücksgriff. Das Bewusstsein über das persönlich empfundene Selbst und dessen Behaupten und Verkörpern vor einem möglicherweise ablehnenden Außen gelingt Laurì, nicht nur überzeugend, sondern auf wirklich berührende Weise darzustellen. Die Jury wünscht es dem Film sehr, dass die mit u.a. Senta Berger, Marie Burchard und Burghart Klaußner prominente Besetzung der Erwachsenenfiguren dabei helfen kann, dass OSKARS KLEID mit seiner Botschaft möglichst viele Menschen im Kino und darüber hinaus erreichen wird. Gerne zeichnet die Jury den Film mit dem höchsten Prädikat BESONDERS WERTVOLL aus.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) / 22.05.2023
Bildschirmfoto: FBW