Die Steuerausnahmen für Superreiche bei der Erbschaftsteuer sind klar verfassungswidrig. Das ist keine Außenseitermeinung, sondern Tenor mehrerer Urteile höchster deutscher Gerichte. Das jüngste Urteil dieser Art fällte der Bundesfinanzhof (BFH) 2017, vor genau fünf Jahren. Doch das Bundesfinanzministerium weigert sich bis heute, das Urteil umzusetzen – und hat die ihm unterstellten Finanzämter per Erlass sogar dazu angeordnet, das Urteil mit Ausnahme des verhandelten Einzelfalls zu ignorieren.
Auf das traurige Jubiläum des ignorierten Urteils haben die Vermögendeninitiative taxmenow, das Netzwerk Steuergerechtigkeit und die Bürgerbewegung Finanzwende heute bei einer gemeinsamen Aktion vor dem Bundesfinanzministerium hingewiesen. “Christian Lindner gibt sich als der große Verteidiger der Verfassung, wenn es um die Schuldenbremse geht”, sagte Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. “Aber wenn es um verfassungswidrige Privilegien für Milliardäre im Steuergesetz geht, ignoriert er klare Urteile höchster deutscher Gerichte. Das ist Rosinenpickerei in der Verfassung, das geht so nicht.”
Im anschließenden Gespräch erläuterte Prof. Dr. Joachim Wieland, langjähriger Professor für Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, die juristischen Hintergründe des Urteils – und die Problematik seiner anhaltenden Nicht-Beachtung.
Demnach reiht sich das BFH-Urteil von 2017 ein in eine Reihe weiterer, ähnlicher Entscheidungen anderer höchster Gerichte. Bereits 2006 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem ersten Urteil festgestellt, dass das damals geltende Erbschaftsteuergesetz verfassungswidrig war. Dem folgte ein Reformversuch der damals amtierenden Bundesregierung – und dann ein zweites BVerfG-Urteil, das die Privilegien für Betriebsvermögen als “verfassungswidrigen Vergünstigungsüberhang” bezeichnet. 2014 folgte darauf eine weitere Gesetzesreform, und 2017 dann das jüngste BFH-Urteil.
Konkret ging es darin um eine vom Bundesfinanzministerium festgelegte Regelung, nach der ein Besitz von 300 Wohnimmobilien pauschal als Betriebsvermögen zu klassifizieren ist. Dieser Regelung folgte das Gericht nicht – und urteilte deutlich, dass die bloße Größe eines Vermögens, also etwa die Anzahl von Wohnungen, nicht Maßstab für eine Nichtbesteuerung sein dürfe. Der BFH habe in seiner Urteilsbegründung außerdem klar anklingen lassen, dass nicht nur die konkrete Regelung verfassungswidrig sei, legte Professor Wieland dar. Gerade vor diesem Hintergrund sei die Weigerung des Ministeriums, das Grundsatzurteil als solches anzuerkennen, überaus problematisch.
“Mit diesen verfassungswidrigen Privilegien muss endlich Schluss sein”, sagte Julia Jirmann, Steuerexpertin beim Netzwerk Steuergerechtigkeit. “Gerade in der heutigen Zeit müssen vor allem die Superreichen ihren fairen Anteil zur Bewältigung der Krise leisten.” Die Privilegien bei der Erbschaftsteuer stehen im Subventionsbericht der Bundesregierung mit Abstand an höchster Stelle und kosten die Allgemeinheit allein in diesem Jahr über 5 Milliarden Euro. “Es verkehrt das Leistungsfähigkeitsprinzip ins Gegenteil, dass bei den Reichsten die mit Abstand größte Steuersubvention landet”, so Jirmann. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit, die Vermögendeninitiative taxmenow und die Bürgerbewegung Finanzwende fordern daher das Ende dieser und anderer Steuerprivilegien für Superreiche.
Bürgerbewegung Finanzwende e. V. / 24.10.2022
Foto: finanzwende.de