Die schnelllebige Textilindustrie, immer mehr Einwegplastik und nicht zuletzt Batteriezellen für Elektroautos: Die Menschheit hat sich daran gewöhnt, dass Konsumgüter immer und überall verfügbar sind. Doch die Rohstoffe auf der Erde sind endlich und die Umwelt wird teils unwiederbringlich zerstört. Dazu trägt auch die rasant wachsende Chemieindustrie einen großen Teil bei. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erklärt in einem aktuellen Hintergrundpapier, wie die Verschwendung von Rohstoffen, Chemikalien und Produkten auch entscheidend zur Klimaerhitzung und dem Artensterben beiträgt. Doch anders als Klima- und Artenschutzpolitik wird Chemikalienpolitik öffentlich kaum wahrgenommen, kritisiert BUND-Vorsitzender Olaf Bandt: „Wir können nicht weiter jedes Jahr darüber reden, dass wir eigentlich zwei oder drei Planeten brauchen, um unseren Konsumhunger zu stillen. Wir müssen unseren Verbrauch an Rohstoffen, Chemikalien und Produkten drastisch herunterfahren. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, unseren Rohstoffverbrauch deutlich zu senken. Das ist keine Lifestyle-, sondern eine Überlebensfrage.“
Die Weltgesundheitsorganisation führt jährlich weltweit mindestens 1,6 Millionen Todesfälle auf die Folgen der Belastung mit gefährlichen Stoffen wie Pestiziden, Blei und anderen Industriegiften zurück. Mehr als ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen werden durch Herstellung und Transport von Stoffen wie Plastik oder Zement verursacht. Der Abbau von Rohstoffen wie Kohle, Bauxit oder seltenen Erden verwüstet ganze Landschaften. Bei der Herstellung von Chemikalien und Produkten werden giftige Stoffe freigesetzt. Kunststoffe, Pestizide und Düngemittel gefährden die Vielfalt der Lebewesen und Lebensräume. Bandt: „Leidtragende sind vor allem Menschen und Natur im globalen Süden, wo niedrige Lohn- und Umweltstandards für die Produktion billiger Massenware ausgenutzt werden. Wir brauchen Alternativen zum ständigen materiellen Wachstum und nachhaltige Entwicklungsstrategien, die eine gerechte wirtschaftliche Teilhabe ermöglichen.“
Der BUND erwartet vom heute startenden „Berlin Forum für Chemikalien und Nachhaltigkeit“, an dem unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, Umweltministerin Svenja Schulze und UN-Generalsekretär António Guterres teilnehmen, dass es das Abkommen zum Strategischen Ansatz für ein internationales Chemikalienmanagement (SAICM) im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele wiederbelebt. Gleichzeitig muss das Forum klar benennen, dass Hersteller und Anwender von Chemikalien für den sicheren Einsatz ihrer Produkte verantwortlich sind und für entstandene Schäden haften müssen. Bedauerlich ist, dass die Zivilgesellschaft bei dem Forum unterrepräsentiert sein wird. Denn die Gestaltung einer nachhaltigen Stoffpolitik für einen sorgsameren Umgang mit Rohstoffen, Chemikalien und Produkten, erfordert die Beteiligung aller Interessensgruppen.
Hintergrund:
Heute beginnt in Berlin das zweitägige internationale „Berlin Forum für Chemikalien und Nachhaltigkeit“. Gastgeber des Forums ist das Bundesumweltministerium, Thema ist die künftige Gestaltung des internationalen Chemikalien- und Abfallmanagements. Das Forum soll die Zeit bis zur internationalen Chemikalienkonferenz (International Conference on Chemicals Management, ICCM5) überbrücken, die diese Woche hätte stattfinden sollen, aber aufgrund der Corona-Pandemie auf 2023 verschoben worden ist.
Stoffpolitik geht über die klassische Chemikalienpolitik hinaus. Sie erfasst neben Chemikalien auch Rohstoffe, aus denen Chemikalien isoliert oder hergestellt werden, Produktion und Erzeugnisse sowie Abfälle, die aus vielen Chemikalien zusammengesetzt sind. Der BUND fordert eine an den Leitprinzipien der Vorsorge und Nachhaltigkeit ausgerichtete Stoffpolitik, die Chemikalien-, Ressourcen-, Produkt- und Abfallpolitik miteinander verknüpft und als globale Herausforderung verstanden wird. Dabei geht es um den Schutz von Mensch und Natur vor gefährlichen und langlebigen Stoffen und die Reduzierung der Stoffströme auf ein ökologisch verträgliches Maß ebenso wie um Menschenrechte und Verteilungsgerechtigkeit.
Der BUND hat gemeinsam mit dem Paritätischen Gesamtverband die „Zukunftsagenda für die Vielen“ vorgestellt. Dort finden sich zu neun Politikfeldern konkrete inhaltliche Forderungen, die einen Aufbruch in eine ökologische und sozial gerechte Republik näher beschreiben. Die Verbände fordern unter anderem, den weltweiten Ressourcenverbrauch drastisch zu reduzieren und Ressourcen weltweit gerechter zu verteilen.
BUND / 07.07.2021