Christian von Baumbach ist Interkultureller Mediator und unterrichtet seit dem Sommersemester 2023 im Masterstudiengang Interkulturelle Wirtschaftskommunikation, der von der UP Transfer GmbH an der Universität Potsdam durchgeführt wird. Im Interview haben wir mit ihm über kulturelle Missverständnisse, lösbare Probleme und das Verhältnis von Theorie und Praxis in interkulturellen Beziehungen gesprochen.
Fangen wir mit einer sehr einfachen Frage an, die aber vielleicht doch nicht so leicht zu beantworten ist: Was ist Mediation eigentlich und was bedeutet Mediation für Sie?
Mediation ist ein professionelles Konfliktlösungsverfahren, das zu den alternativen Konfliktlösungsverfahren gehört, also eine Alternative zum Gericht darstellt. Bei einer Mediation unterstützt ein neutraler Dritter Menschen dabei, eigenverantwortlich einen Konflikt zu lösen und Vereinbarungen zu treffen, von denen beide Seiten überzeugt sind.
Für mich ist das mein Beruf. Mediation ist oft etwas, was man nicht als ersten Karriereschritt macht, sondern später im Leben. Und so war das auch bei mir. Ich mache das sehr gerne und bin davon überzeugt, dass es sinnvoll ist.
Wann haben Sie gemerkt, dass Sie als Vermittler in Konflikten fungieren möchten? Und welche Stationen gab es auf dem Weg dahin? Wie sind Sie beruflicher Mediator geworden?
Ich habe ursprünglich Japanologie studiert und einige Jahre in Japan gelebt. Dort habe ich für japanische Unternehmen gearbeitet, die längste Zeit als Übersetzer. 2010 bin ich nach Deutschland zurückgegangen und habe hier zunächst weiter als Übersetzer gearbeitet. Ich habe dann aber gemerkt, dass mich diese Arbeit nicht erfüllt. Bei der Übersetzung fehlte mir der Kontakt zu Menschen.
Dann bin ich über meinen Vater auf die Mediation aufmerksam geworden. In seinem Ort sollten Windräder gebaut werden und eine Mediatorin sollte zwischen den Beteiligten vermitteln. Das hat mich sehr interessiert. Schließlich habe ich eine Ausbildung zum interkulturellen Mediator gefunden, die zu dem passte, wie ich mich selbst sah: Als Brückenbauer zwischen Menschen aus Deutschland und Japan.
Gibt es denn Unterschiede zwischen so einer Meditation an sich, also wie zum Beispiel in dem Fall mit den Windrädern, und einer interkulturellen Mediation?
Es geht darum, welche Rolle kulturelle Aspekte bei der Entstehung von Konflikten spielen und wie wir kulturelle Perspektiven nutzen können, um Konflikte besser zu verstehen und Menschen in Konfliktsituationen zu unterstützen. Grundsätzlich sind interkulturelle Mediationen nichts komplett Anderes. Es sind in erster Linie Familienkonflikte oder Konflikte zwischen Geschäftspartnern oder Konflikte innerhalb eines Teams.
Zusätzlich zu unserem üblichen Handwerkszeug als Mediatoren können wir das Konfliktgeschehen aus kulturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven genauer betrachten. Je unterschiedlicher der Hintergrund der Menschen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass kulturelle Aspekte eine Rolle spielen, also unterschiedliche Wertevorstellungen, unterschiedliche Muttersprachen, Machtungleichgewichte, die sich aus der kulturellen Zugehörigkeit zu Gruppen ergeben und vieles mehr. Es lohnt sich, das genauer in den Blick zu nehmen.
Was sind denn die häufigsten Konflikte, in denen so eine interkulturelle Mediation notwendig wird?
Wir leben in einer Zeit, in einer Gesellschaft, die von Vielfalt geprägt ist. Gerade Deutschland ist ein Land in dem Menschen mit vielen Lebensentwürfen und unterschiedlicher Herkunft zusammenleben und arbeiten. Da spielen kulturelle Aspekte oft eine Rolle und es ist bereichernd, aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive draufzugucken.
Ich bin in dem Verein MIKK e.V. aktiv, der Mediation bei internationalen Familien- und Kindschaftskonflikten vermittelt und betroffene Eltern berät. Dabei geht es unter anderem um Fälle von Kindesentführungen. Das sind Fälle, bei denen kulturelle Aspekte sehr präsent sind, weil die Eltern in unterschiedlichen Ländern aufgewachsen sind und unterschiedliche Muttersprachen sprechen.
Der zweite wichtige Bereich betrifft Unternehmen und Organisationen. Auch da ist es so, dass die Teams mittlerweile sehr von Vielfalt geprägt sind. In den Teams arbeiten Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, die natürlich auch unterschiedliche Vorstellungen davon mitbringen, wie eine gute Zusammenarbeit abläuft.
Werden die Konflikte, die dadurch entstehen, denn letztlich meistens beigelegt?
Die Frage ist, was es bedeutet, den Konflikt wirklich beizulegen. Am Ende soll möglichst eine Win-Win-Situation stehen: der Konflikt wird aufgelöst und alle sind glücklich. Das ist in der Praxis oft nicht der Fall, sondern es handelt sich um schwierige Situationen und die Menschen verändern sich nicht grundlegend. Trotzdem ist es gut möglich, dass sie sich zusammensetzen, sich aussprechen und verstehen, was bei den anderen los ist.
So können die Parteien die unterschiedlichen Perspektiven nachvollziehen, auch wenn sie ihnen nicht absolut zustimmen. Entweder sie finden einen Weg, das gemeinsam zu regeln, oder sie entscheiden sich, getrennte Wege zu gehen. Es kann auch ein Ergebnis der Mediation sein, wenn man erkennt, das passt so nicht. Dann können sie immer noch drüber sprechen, wie sie sich trennen wollen.
Glauben Sie, dass Ihre eigene Persönlichkeit, also das, was Sie in die Meditation einbringen, auch eine Rolle für die Lösung und den Ablauf spielt? Oder versuchen Sie, Ihren eigenen Charakter daraus zurückzunehmen?
Meine Verantwortung liegt darin, den Prozess zu gestalten und das Gespräch zu führen – den Menschen einen Gesprächsrahmen zu geben, den sie selbst inhaltlich ausfüllen können. Die Parteien in der Mediation bestimmen selbst, worüber sie sprechen. Sie bestimmen die Ziele der Mediation. Sie sind selbst dafür verantwortlich, dass sie sich gegenseitig zuhören, aufeinander zubewegen und am Ende auch gemeinsam an Lösungen arbeiten. Und sie sind auch verantwortlich für die Umsetzung. Ich bin dafür verantwortlich, dass ich den Prozess führe, allen zuhöre und alle Parteien dabei unterstütze, auszudrücken, was ihnen wichtig ist. Am Ende sollen Lösungen rauskommen, die in ihrem Interesse sind.
Diese Arbeitsbeziehung ist geprägt von Empathie, Vorurteilsfreiheit, aber auch Authentizität. Jeder Mediator, jede Mediatorin bringt ihre Persönlichkeit mit in den Prozess ein. Ich bin Teil des Prozesses und nehme natürlich in irgendeiner Form darauf Einfluss. Ich glaube, das ist ein Grund dafür, dass ich Mediator geworden bin und dass ich damit zufrieden und erfolgreich bin. Es gehört zu meiner Grundhaltung, die verschiedenen Perspektiven verstehen und zwischen Menschen vermitteln zu wollen.
Inwiefern hilft Ihnen dabei die Theorie, die es ja zu Mediation und Interkulturalität zuletzt immer mehr gibt?
Die theoretischen Modelle beschreiben nie die Realität, wie sie ist, sondern sind immer eine gewisse Perspektive, eine Brille, die wir aufsetzen, um auf das Konfliktgeschehen zu blicken. Es gibt viele Modelle, die mir helfen, bestimmte Aspekte zu verstehen und wahrzunehmen.
In der Realität erlebe ich hochkomplexe, vielschichtige Situationen. Natürlich gibt es keine Theorien, die diese Situationen in allen Aspekten perfekt beschreiben können, aber jede Theorie kann mir helfen, einzelne Aspekte in diesem Konfliktgeschehen genauer zu betrachten.
Zum Beispiel beschreiben Kulturdimensionen bestimmte kulturell geprägte Dimensionen und Aspekte menschlichen Verhaltens. Diese Theorien haben mir sehr geholfen, bestimmte Zusammenhänge zu verstehen. Eine Dimension beschreibt den Unterschied zwischen Low-Context- und High-Context-Kulturen. Deutsche werden als tendenziell low-context bezeichnet. Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, neigen demnach dazu, wenig Kontext in ihrer Kommunikation einzubeziehen. Sie sagen, was sie meinen, und was sie nicht sagen, meinen sie nicht. Da wird wenig zwischen den Zeilen gesagt, während Menschen aus Japan tendenziell als High-Context-Kultur beschrieben werden, die in ihrer Sprache und Kommunikation viel Kontext einbeziehen. Es wird viel zwischen den Zeilen gelesen.
Auf der anderen Seite muss ich aufpassen, dass ich Menschen nicht in Boxen stecke und zu stark verallgemeinere.
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Vermittlung von interkultureller Mediation im Studiengang IWK gemacht?
Mediation als Verfahren ist für viele der Studierenden noch weitgehend unbekannt und ein bisschen abstrakt. Viele haben davon mal gehört, aber es noch nicht angewendet oder an einer Mediation teilgenommen. Das Thema Konflikte geht jedoch alle an. Konflikte gehören zum menschlichen Leben dazu. In der Familie, im Unternehmen, im Beruf, in Teams treten unweigerlich Konflikte auf. Die Frage ist nicht, ob sie auftreten, sondern wie wir damit umgehen und ob wir es schaffen, miteinander konstruktiv Konflikte auszutragen und gemeinsam Lösungen zu finden.
Egal in welchem Semester sie sind und egal woher die Menschen kommen – sie haben mit Konflikten zu tun gehabt und sie werden weiter damit zu tun haben. Das bringt eine gewisse Faszination mit sich. Wichtig ist letztlich, Verständnis für Konflikte zu entwickeln: Wie entstehen Konflikte? Wie eskalieren sie? Und wie können wir professionell auf einen guten Verlauf einwirken, auf eine Klärung im Konflikt? Das ist nicht nur im privaten Bereich wichtig, sondern auch im beruflichen.
Wie sieht die Zukunft der Mediation aus?
Die Mediation ist ein relativ junges Verfahren, das in den 70er Jahren in den USA aufgekommen und in den 80er Jahren nach Deutschland gekommen ist. Wir befinden uns weiterhin in einem Verbreitungsprozess.
Das Mediationsgesetz in Deutschland ist von 2012 und Bestandteil der Professionalisierung der Mediation. Mein Eindruck ist, dass mittlerweile viele Mediation kennen, aber noch nicht genau wissen, was es ist. Wir sprechen da auch von dem Mediationsparadox. Viele Menschen haben von Mediation gehört und können sich vorstellen, dass es eine gute Sache ist, aber wenn sie selbst im Konflikt stecken, gehen noch relativ wenig Leute dann wirklich in die Mediation.
Ich glaube, der Ansatz wird weiter Akzeptanz finden. Ähnlich vielleicht wie andere Formate: Therapie, Coaching, Supervision. Die haben vergleichbare Entwicklung hinter sich. Vermutlich wird das bei der Mediation in eine ähnliche Richtung gehen. Meine Hoffnung ist, dass es in einigen Jahren ganz selbstverständlich ist, sich in Konfliktsituationen professionelle Unterstützung zu holen, und zwar rechtzeitig und nicht erst dann, wenn der Konflikt schon völlig eskaliert ist.
Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass diese Entwicklung international auch sehr präsent ist, zum Beispiel durch die Singapore Convention of Mediation, die Mediation bei internationalen Wirtschaftsbeziehungen regelt. Singapur entwickelt sich gerade als ein internationales Mediationszentrum. Da tut sich international ganz viel und ich bin überzeugt, dass das auch in Europa zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.
Weiterführende Links:
M.A. Interkulturelle Wirtschaftskommunikation: https://www.iwk-potsdam.de/
MiKK e.V. Mediation bei internationalen Kindschaftskonflikten: https://www.mikk-ev.de/
Singapore Convention of Mediation: https://www.singaporeconvention.org/
Baumbach Mediation: https://baumbachmediation.com/
UP Transfer GmbH an der Universität Potsdam
Der Masterstudiengang Interkulturelle Wirtschaftskommunikation ist ein interdisziplinärer Studiengang, der auf das Verständnis der zunehmend komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen in der globalisierten Wirtschaftswelt ausgerichtet ist. Weitere Informationen zu dem Studiengang finden Sie unter www.iwk-potsdam.de.
UP Transfer GmbH an der Universität Potsdam / 02.08.2023
Foto: Christian von Baumbach