Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die heute durch Bundesbildungs- und -forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) präsentierten Eckpunkte für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) begrüßt, aber zugleich als zu kurz gesprungen kritisiert. „Dauerstellen für Daueraufgaben – diesen GEW-Slogan haben SPD, Grüne und FDP 2021 in ihrem Koalitionsvertrag zitiert und zur Richtschnur für die geplante WissZeitVG-Reform erklärt. Die Eckpunkte, die die Ampelkoalition ausgehandelt hat, zeigen Schritte in diese Richtung auf, bleiben aber insgesamt hinter den eigenen Versprechen zurück. Keine halben Sachen – die Koalition muss bei der jetzt anstehenden Ausarbeitung des Gesetzentwurfs deutlich nachlegen“, sagte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und Hochschulexperte, am Freitag in Frankfurt a.M.
„Während die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag noch vereinbart haben, die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase deutlich zu erhöhen, sehen die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) präsentierten Eckpunkte lediglich eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer für promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von derzeit sechs auf maximal drei Jahre vor. Im Ergebnis würde der Druck auf Postdocs damit deutlich erhöht: Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssten sie drei Jahre früher auf die Straße setzen als heute, denn verbindliche Vorgaben für eine Entfristung danach fehlen in den Eckpunkten. Ein reformiertes WissZeitVG muss Postdocs aber berechenbare Perspektiven für eine Dauerstelle geben“, mahnte Keller.
„Immerhin sieht der BMBF-Entwurf für Promovierende, wie von der GEW vorgeschlagen, eine konkrete Mindestvertragslaufzeit vor. Mit drei Jahren greift diese aber angesichts einer durchschnittlichen Promotionsdauer von 5,7 Jahren zu kurz. Die Vorgabe droht außerdem ins Leere zur laufen, solange als Sachgrund für eine Befristung nicht explizit die Promotion benannt wird. Hochschulen und Forschungseinrichtungen könnten ihre Beschäftigten weiter über Jahre befristet beschäftigen und sie am Ende auf die Straße setzen, ohne dass diese auch nur eine Seite an ihrer Doktorarbeit geschrieben haben. Dem muss der Gesetzgeber einen Riegel vorschieben – mit einer Mindestvertragslaufzeit von in der Regel sechs, mindestens aber vier Jahren und einer präzisen Definition des Qualifizierungsbegriffs“, sagte der GEW-Hochschulexperte.
Einen „Lichtblick“ sieht Keller in der Debatte um die Tarifsperre im WissZeitVG, die Gewerkschaften und Arbeitgebern verbietet, vom Gesetz abweichende Tarifverträge abzuschließen. „Die Ampelkoalition kann sich zwar noch nicht zu einer ersatzlosen Streichung der Sperre durchringen, sie soll aber Löcher bekommen. Zu einzelnen Themen wie Mindestvertragslaufzeiten sollen Tarifpartner Regelungen aushandeln dürfen. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, zeugt aber von wenig Vertrauen in Gewerkschaften und Arbeitgeber und steht in Widerspruch zur Ankündigung der Ampelkoalition, Tarifautonomie und Tarifbindung im Arbeitsleben zu stärken. Geben Sie Tariffreiheit, Frau Ministerin – ohne Wenn und Aber“, appellierte der GEW-Experte.
Für „halbherzig“ hält Keller den Gesetzentwurf auch in Sachen Familienfreundlichkeit. Zwar sei positiv zu bewerten, dass Drittmittelbeschäftigte künftig in den ersten Jahren mit aus Haushaltsmitteln Beschäftigten gleichgestellt werden und wie diese einen Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Mutterschutz und Elternzeit erhalten sollen. „Angetreten ist die Ampelkoalition aber mit der weiter gehenden Ankündigung, ‚die familien- und behindertenpolitische Komponente für alle verbindlich‘ zu machen. Dieses Versprechen wird nicht eingelöst. Die Verlängerung befristeter Verträge bei Kinderbetreuung, Behinderung und chronischer Erkrankung auch über die Höchstbefristungsdauer hinaus soll wie bisher eine völlig unverbindliche Option bleiben. Ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern oder Behinderung einen Nachteilsausgleich für Verzögerungen in der Forschung erhalten, bliebe damit weiter dem willkürlichen Ermessen der Arbeitgeber überlassen“, stellte der GEW-Sprecher fest.
Fortschritte sieht Keller bei den Regelungen für studentische Beschäftigte. „Die Anhebung der Höchstbefristungsdauer von sechs auf acht Jahre könnte in vielen Fällen verhindern, dass Studierende ausgerechnet in der Schlussphase des Studiums auf ihren Job an der Hochschule verzichten müssen. Eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr wäre ein erster Schritt gegen extreme Kurzzeitverträge – wenn das Recht der Gewerkschaften, in Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern weitergehende Regelungen durchzusetzen, unangetastet bliebe“, sagte Keller mit Blick auf die Initiative der Gewerkschaften für einen bundesweiten Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud). Die von GEW und ver.di im Januar veröffentlichte Studie „Jung, Akademisch, Prekär“ habe gezeigt, dass die Laufzeiten der Arbeitsverträge mit studentischen Beschäftigten durchschnittlich nicht einmal ein halbes Jahr betragen und Kettenverträge üblich sind.
„Es ist erfreulich, dass das BMBF mit seinen Eckpunkten endlich den Startschuss für die überfällige Reform des WissZeitVG gibt – zwei Tage nach der GEW-Aktionskonferenz zum Thema. Inhaltlich bleiben die Eckpunkte aber nicht nur hinter den Ankündigungen der Ampelkoalition, sondern vor allem auch hinter den Hoffnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in den vergangenen zwei Jahren unter dem Twitter-Hashtag #IchBinHanna und in der GEW-Kampagne für #Dauerstellen für Daueraufgaben für eine umfassende WissZeitVG-Reform eingesetzt haben. Diese Hoffnungen darf die Ampelkoalition nicht enttäuschen und muss bei der Reform deutlich nachlegen“, sagte Keller.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) / 17.03.2023
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