Deutschland schiebt trotz massiver Verfolgung regelmäßig in die Türkei ab. Die Zahlen haben ersten Einschätzungen zufolge im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Doch über die Abschiebungen hinaus werden die Betroffenen durch die Datenweitergabe durch deutsche Behörden gefährdet. Nach Aussagen von Beamten gegenüber Journalist:innen der Tageszeitung DIE WELT verlangen die türkischen Behörden zur Ausstellung der zur Abschiebung erforderlichen Reisepapiere oftmals umfangreiche Informationen über abzuschiebende Staatsangehörige, darunter den vollständigen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und gegebenenfalls ein entsprechendes Gerichtsurteil. Das sind hochsensible Datensätze, welche entscheidende im Asylverfahren getätigte Aussagen enthalten.
Bünger: „Behörden geben sensible Informationen ohne Rechtsgrundlage weiter“
Diese Information veranlasste Clara-Anne Bünger (DIE LINKE), bei der Bundesregierung nachzufragen. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass angeblich zwar keine BAMF-Bescheide übermittelt würden, den türkischen Behörden aber regelmäßig umfangreiche und teils auch sehr sensible Informationen zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung kann ein solches Vorgehen jedoch auch nicht ausschließen, da die Mehrheit der Abschiebungen in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt. Die Bundesregierung bestätigt aber, dass sensible Informationen, wie über den Grund der Abschiebung, die Daten der Ersteinreise nach Deutschland sowie der Entscheidung zur Ausreisepflicht bzw. zur Abschiebungsandrohung, die Daten der Rechts- und Bestandskraft der Entscheidung zur Ausreisepflicht und Informationen zur Ausschöpfung der Rechtsmittel übermittelt werden.
Bünger kommentiert: „Die genannten Informationen betreffen allein das Verhältnis der ausreisepflichtigen Person zur Bundesrepublik Deutschland – für deren Weitergabe an die türkischen Behörden gibt es keinerlei Rechtsgrundlage. Sie sind weder im Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei von 2014 vorgesehen noch für den Zweck der Verfahren, also die Durchsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger, erforderlich. Die Datenübermittlungen müssen daher sofort gestoppt werden.“
Übergabe von Gerichtsurteilen ist „nicht geregelt“
Die Bundesregierung erklärt, Gerichtsurteile würden von türkischen Behörden „in der Regel“ nicht verlangt. Damit bestätigt die Bundesregierung, dass die türkischen Behörden in Einzelfällen sehr wohl diese Urteile verlangen. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, eine Aussage dazu zu tätigen, ob solche Urteile übermittelt würden. Es gebe dazu „keine spezifischen internen Regeln und Weisungen“. In diesem Zusammenhang zeigt die Aussage des Beamten gegenüber DIE WELT, er wolle keine BAMF-Bescheide an die Türkei übermitteln, diese Ermessenslücke deutlich auf.
Bünger: „Informationen aus Asylverfahren dürfen nicht in Hände von Verfolgerstaaten geraten“
Bünger kommentiert: „Die Aussage eines Beamten, er ‚wolle‘ sensible Daten wie BAMF-Bescheide oder Asylgerichtsurteile nicht an die türkischen Behörden übermitteln, lässt aufhorchen. Ich hoffe doch sehr, dass diese Entscheidung nicht dem persönlichen Gutdünken einzelner Behördenmitarbeiter:innen unterliegt. Bund und Länder müssen dafür Sorge tragen, dass in den zuständigen Behörden klar ist, dass sensible Informationen aus dem Asylverfahren nicht in die Hände potentieller Verfolgerstaaten geraten dürfen!“