Einer der renommiertesten Journalisten Polens, Tomasz Piatek, ist zu acht Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden – und hat davon erst aus den regierungsnahen Medien erfahren. Piatek wurde bereits am 27. Oktober verurteilt, ohne vom Gericht angehört zu werden. Reporter ohne Grenzen (RSF) unterstützt den Journalisten in seinen Bemühungen um eine Revision des Urteils und steht zugleich in einem weiteren Verfahren, das heute (30.11.) verhandelt wird, an seiner Seite. Beide Prozesse wurden vom Lager der polnischen Regierungspartei PiS angestrengt.
„Tomasz Piatek ist ein herausragender Journalist, den Reporter ohne Grenzen nicht ohne Grund 2017 als Journalist des Jahres ausgezeichnet hat“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die gegen ihn laufenden Klagen sollen ihn mundtot machen. Das dürfen wir nicht zulassen!“
Stein des Anstoßes ist die investigative Arbeit des Journalisten. 2019 hatte Piatek in seinem Sachbuch „Morawiecki und seine Geheimnisse“ die Verbindungen des amtierenden Premierministers Mateusz Morawiecki nach Russland offengelegt. Ein Morawiecki nahestehender Milliardär hatte Piatek daraufhin wegen übler Nachrede verklagt – Ende Oktober 2022 schließlich wurde er zu den genannten acht Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt, pro Monat jeweils 20 Stunden. Piatek erfuhr von diesem Urteil erst, als regierungsnahe Medien nach Ablauf der Revisionsfrist darüber berichteten.
Die Klage stützte sich auf Artikel 212 des Strafgesetzbuches. In diesem ist unter anderem aufgeführt, dass das Gericht verpflichtet ist, dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Tomasz Piatek erhielt jedoch nie eine Vorladung an seine aktuelle Adresse. Der offizielle Grund: Die Justizbehörden schickten die Post an seine alte Adresse, wo er offiziell gemeldet war und wohin ihm auch die Anklageschrift gesendet worden war.
Man kann argumentieren, dass Piatek dem Gericht seine neue Adresse hätte mitteilen müssen. Allerdings drückte der Journalist sich nicht bewusst vor einem Prozess, sondern glaubte, dass er über seine den Justizbehörden bekannten Anwälte oder über seinen Verleger erreicht werden kann. Piatek ist wegen seiner Recherchen häufig angeklagt.
RSF ist der Ansicht, dass der Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Recht auf ein faires Verfahren ernsthaftere Versuche des Gerichts erforderlich gemacht hätten, Piatek ordnungsgemäß vorzuladen. Es hätte zum Beispiel ausgereicht, die Vorladung erneut an Piateks Verleger zu senden. Solange ein Angeklagter sich nicht zu den strafrechtlichen Vorwürfen äußern kann, muss ein Prozess verschoben werden.Klagen aufgrund von Piateks investigativer Arbeit
2017 hatten Piatek in einer Kolumne für die Gazeta Wyborcza und dem Sachbuch „Macierewicz und seine Geheimnisse“ die Verbindungen des ehemaligen polnischen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz zum Umkreis des russischen Präsidenten Wladimir Putin, zum russischen Geheimdienst und zu kriminellen Gruppen in Russland aufgedeckt. Daraufhin hatte Oberst Krzysztof Gaj, ein ehemaliger Berater des Ministerpräsidenten und ehemaliger Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, gegen den Journalisten geklagt. Im Juni 2022 wurde Piatek zu einer Geldstrafe von 1.000 Euro und einer über die Medien zu verbreitenden Entschuldigung verurteilt. Piateks Berufung wird am 30. November 2022 vor einem Warschauer Bezirksgericht verhandelt. RSF fordert, das Urteil aufzuheben.
Der Europäische Gerichtshof hat Polen im vergangenen Jahr wegen seiner umstrittenen Justizreform verurteilt. Am 20. Oktober 2022 wurde Polen im Rahmen des europäischen SLAPP-Wettbewerbs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) zum „SLAPP-Land des Jahres“ erklärt. Laut einer Koalition von Nichtregierungsorganisationen, denen auch RSF angehört, bot Polen in den Jahren 2021 und 2022 „die günstigsten Bedingungen“ für solche Knebelklagen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegt Polen auf Platz 66 von 180 Ländern. Seit die PiS in Polen regiert, hat das Land so viele Plätze verloren wie kein anderer Staat der EU.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 30.11.2022
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