Mit einer besonderen Fähigkeit schaffte es die Schottin Joy Milne vor ein paar Jahren in die Schlagzeilen: Treffsicher erkennt die ehemalige Krankenschwester Parkinson-Betroffene an ihrem Geruch, auch lange bevor sie selbst von der Krankheit wissen. Den moschusartigen Körperduft hatte sie erstmals an ihrem Mann bemerkt. Erst Jahre später erhielt er die Diagnose Morbus Parkinson. Joy Milnes ungewöhnliche Fähigkeit ließ die Wissenschaft aufmerksam werden. Inzwischen arbeitet sie mit Forscher*innen zusammen, die neue Tests zur Parkinson-Früherkennung entwickeln.
„Auf diese bemerkenswerte Geschichte bin ich bei der Recherche für meine Bachelorarbeit gestoßen“, erzählt Lisa Berlin, Studentin an der FH Münster. Die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin hatte sich als Thema gesetzt, ein Konzept für die Geruchsschulung von medizinischem Personal zur Erkennung von Krankheiten zu entwickeln. Die von Prof. Dr. Guido Ritter am Fachbereich Oecotrophologie – Facility Management betreute Arbeit ist inzwischen abgeschlossen – und erst kürzlich ausgezeichnet worden: mit dem „Förderpreis Jung-Sensoriker“ in der Kategorie Kreativität. Die Deutsche Gesellschaft für Sensorik (DGSens) hat die Auszeichnung auf ihrer jährlichen Tagung in Düsseldorf vergeben. Für ihre Bachelorarbeit erschien es ihr keineswegs abwegig, Medizin und Methoden der Sensorik miteinander zu verbinden. Die Sensorik als Fachgebiet innerhalb der Oecotrophologie befasst sich mit der Bewertung von Lebensmitteln mithilfe der Sinnesorgane.
Lisa Berlins Schulungskonzept basiert auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Interviews mit Medizinern und Geruchsforschern. Laut Interviewpartnern ist es durchaus sinnvoll, den Geruchssinn als zusätzliches diagnostisches Mittel einzusetzen. Außer vielleicht bei erfahrenem Medizinpersonal sei dieses Mittel in der Ausbildung und im Alltag jedoch etwas in Vergessenheit geraten. Dabei bietet es nach Lisa Berlin nicht zu unterschätzende Vorteile: Es kann schon bei der ersten Untersuchung zum Einsatz kommen und damit die Richtung für weitere Untersuchungen weisen, so lässt es wertvolle Zeit sparen. Es ist nicht invasiv, und es verursacht kaum Kosten.
Auf zehn Krankheiten konzentriert sich das Schulungskonzept vor allem für Ärzt*innen und Pflegefachkräfte. Die Krankheiten hat Lisa Berlin nach der klinischen Relevanz ausgesucht, außerdem sollten sie an ihrem charakteristischen Geruch erkennbar sein. Riecht beispielsweise die Atemluft von Typ-1-Diabetiker*innen nach Azeton, lässt das auf die Ketoazidose, eine schwere Stoffwechselentgleisung, schließen; Ammoniakgeruch deutet möglicherweise auf eine Niereninsuffizienz hin und der Geruch von Ahornsirup auf die Ahornsirupkrankheit. „Das übergeordnete Ziel der Schulung ist, die Teilnehmer*innen mit den Gerüchen vertraut zu machen, sodass sie den jeweiligen Erkrankungen zugeordnet werden können“, erklärt die Studentin. Lerninhalte seien beispielsweise die Schulbarkeit des Geruchssinns, Geruchswahrnehmung sowie Krankheiten und ihre Gerüche.
Ob das Schulungskonzept in der Praxis gut anwendbar ist, lässt sich erst bewerten, wenn das sensorische Material produziert ist und die Schulungen gegeben werden. Das Konzept obendrein zu evaluieren und weiterzuentwickeln, das hätte den Umfang einer Bachelorarbeit bei Weitem überschritten. „So steht das Thema für meine Masterarbeit schon fest“, sagt Lisa Berlin, jetzt Masterstudentin für das Lehramt an Berufskollegs in der Fachrichtung Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaft sowie einem weiteren Fach. Sensorikexperte Prof. Guido Ritter hat zugesagt, sie wieder zu betreuen, wenn es in ein paar Semestern so weit ist.
FH Münster / 22.11.2022
Foto: FH Münster/Dzemila Muratovic