Bei der Niederschlagung der anhaltenden Proteste setzt die Islamische Republik Iran zunehmend auf die Entführung von Jugendlichen, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) berichtet: „Seit Samstag sind mindestens 38 Kurden, meistens Jugendliche, von ‚Unbekannten‘ entführt worden. Tatsächlich stecken Sicherheitskräfte des Regimes dahinter. Sie wollen die Eltern der jungen Menschen einschüchtern, damit sie ihre Kinder nicht auf die Straße gehen lassen, um gegen das Regime zu protestieren“, erklärt Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV. Allein in Dehloran, in der Provinz Ilam im Westen des Landes, seien 20 junge Männer und Frauen entführt.
Parallel zu den Entführungen setzt das Mullah-Regime weiter auf Waffengewalt. „Seit Mitte September sollen mindestens 66 Kurden getötet und etwa 5.000 verletzt worden sein. Mindestens in 51 Fällen haben Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf friedliche Demonstrierende geschossen. Unter den Toten und Inhaftierten sind viele Frauen und Kinder“, berichtet Sido. „Die Gewalt trifft Minderheiten besonders hart. Über ein Drittel der insgesamt 300 Toten gehörten zur balutschischen Volksgruppe“. Die Belutschen sind eine Minderheit sunnitischen Glaubens. Im ganzen Land gab es mindestens 14.000 Verhaftungen. 960 davon sind Kurden, darunter 141 Frauen.
„Das Regime wird nicht müde, zu behaupten, dass hinter den Massenprotesten Separatisten und ausländische Feinde stecken. Damit will das Regime vom Offensichtlichen ablenken: Die landesweiten Proteste werden von nahezu allen Teilen der Bevölkerung unterstützt. Über alle ethnischen und religiösen Gruppen hinweg tragen vor allem Frauen die Freiheitsbewegung“, so Sido. „Um die Protestierenden zu spalten und gegeneinander auszuspielen, lässt das Regime nichts unversucht. Es instrumentalisiert konfessionelle Konflikte insbesondere zwischen der schiitischen Mehrheit und der sunnitischen Minderheit. Nun versuchen die Machthaber, Eltern zu verängstigen und so gegen ihre Kinder einzusetzen.“ Darum würden Jugendliche auf offener Straße, teils sogar von zu Hause von „Unbekannten“ entführt.
Die Politik der USA und der Nato genießt im gesamten Nahen Osten kein Vertrauen. Darum müssten westliche Regierungen wirkliche und glaubhafte Solidarität mit den Menschen im Iran zeigen. „Um den Protestierenden im Iran zu helfen, muss es international eine einheitliche Front gegen das Mullah-Regime geben – und eine glaubhafte Alternative. Dabei müssen die Interessen der Menschen im Zentrum stehen, nicht die machtpolitischen Interessen der Nato“, fordert Sido. „Die Menschen im Iran haben genügend negative Erfahrungen mit der Politik westlicher Regierungen gemacht. Nun darf es keinesfalls Absprachen mit Teheran geben, die der Demokratiebewegung schaden.“
Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) / 08.11.2022