Die inspirierende wahre Geschichte zweier Schwestern, die 2015 von Syrien nach Deutschland flüchten, um ihren Traum von Olympia wahr werden zu lassen. Großartig inszeniert und mitreißend gespielt.
Im Jahr 2015 entscheiden sich die Schwestern Sara und Yusra Mardini, ihre Heimat Syrien zu verlassen. Zu bedrohlich nahe ist der Krieg, der ihr Land zerstört, zu wenig Chancen gibt es für sie, ihren Traum als Schwimmprofis zu verwirklichen. Und so begeben sie sich, ohne ihre Eltern und nur begleitet von ihrem Cousin, auf den gefährlichen Weg nach Europa, der ihnen alles abverlangt. Und auch als sie endlich in Deutschland sind, hört der Kampf um ein Leben in Freiheit und die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro nicht auf. Doch Sara und Yusra sind entschlossen, ihre Träume wahrzumachen. Denn sie haben Kraft, Mut – und einander.
Auf einer wahren Geschichte beruhend, erzählt die Regisseurin Sally El Housiani, die das Drehbuch zusammen mit Jack Thorne verfasste, den Film in drei Teilen, die gleichermaßen beeindrucken und berühren: Zunächst erhalten die Zuschauenden Einblick in die Welt der Teenager-Schwestern, die ein ganz normales Teenager-Leben in Damaskus führen. Mit Partys, Freunden, Flirten und gepackt vom Ehrgeiz, als Schwimmerinnen einmal bei Olympia starten zu können. Housiani inszeniert diese Szenen mit großer Leichtigkeit und die Schwestern Manal und Nathalie Issa, die die Mardini-Schwestern darstellen, gewinnen mit ihrem entwaffnend natürlichen Charisma sofort die Herzen des Publikums. Bei der sich anschließenden Flucht entwickelt der Film eine Wucht und Stärke, die auf beeindruckende Weise die Qualen, Gefahren und Umstände von Flüchtenden aus ihrer Perspektive rekonstruiert. Die Enge des Boots, die Angst jedes Einzelnen, der Zusammenhalt im Kampf ums Überleben – Houssaini und ihr Kameramann Christopher Ross inszenieren so nah, roh und authentisch, dass sich die Angst um das pure Leben, die Millionen flüchtender Menschen täglich empfinden, vermittelt. Dazu findet der Film eindrückliche Bilder, die er in ihrer Größe einfach mal stehen lässt, wie etwa die Ansammlung unzähliger Rettungswesten, die am Strand von Lesbos liegen und als ikonisches Bild mehr über das Schicksal der Flüchtenden auf der Welt aussagen als alle Worte. Bei aller realistischen Härte der Umstände verliert der Film nie die unverwüstliche Lebensfreude, die Sara und Yusra und auch die anderen Jungdarsteller:innen verströmen. Ganz besonders zu spüren ist diese mitreißende Energie beim Herzschlag-Finale bei den Olympischen Spielen in Rio, bei dem Yusra ihren großen Traum verwirklichen will und auch Sara herausfindet, was ihre Bestimmung im Leben ist. Sally El Housianis THE SWIMMERS ist weit mehr als ein Film über eine berührende wahre Geschichte, der die Perspektive von Flüchtenden sichtbar macht. Es ist ein hoffnungsvoller und inspirierender Film über zwei unfassbar starke junge Frauen, die den Mut haben, ihre Träume nie aufzugeben. Und deren Zusammenhalt als Schwestern sie dazu bringt, alle Hindernisse zu überwinden.
Jury-Begründung / Prädikat besonders wertvoll
Je schlimmer die Zeiten, desto wichtiger sind Geschichten von Menschen, für die sich Träume erfüllen. Und wenn die Zustände katastrophal sind, dann bringen manchmal nur die Erzählungen noch Hoffnung, in denen die Helden und Heldinnen sich gegen alle widrigen Kräfte durchsetzen. Sally El Hosaini erzählt in ihrem Spielfilm THE SWIMMERS solch eine Geschichte. Und das Wunderbare daran ist, dass sie wahr ist. Ihre Heldinnen sind zwei Schwestern, Yusra und Sara, die im Syrien der Zeit vor dem grausamen Bürgerkrieg aufwachsen. Beide sind talentierte Schwimmerinnen und werden von ihrem Vater trainiert, der seine eigene Karriere als Wettschwimmer abbrechen musste, und danach seinen ganzen Ehrgeiz auf die Töchter projizierte. Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs entscheiden sich Yusra und Sara, nach Deutschland zu fliehen, weil sie nur dort die Chance sehen, weiter zu trainieren und sich so für die Olympiade in Rio zu qualifizieren. Der Film THE SWIMMERS hat drei Teile mit verschiedenen Themen, Stilmitteln und Stimmungen. Im ersten Teil wird vom Leben der Familie in Damaskus im Jahr 2015 erzählt. Auch nachdem die Angriffe auf die Zivilbevölkerung bereits begonnen haben, fühlt sich die in bürgerlichen Verhältnissen lebende Familie noch sicher. Sally El Hosaini hat dafür ein starkes filmisches Bild gefunden: Während die beiden Schwestern nachts ausgelassen auf einem Dachgarten Party feiern und tanzen, sieht man in der Ferne, wie andere Stadtviertel bereits bombardiert werden. Es ist tatsächlich ein Tanz auf dem Vulkan. Und auch dafür, dass es für die Mädchen zu gefährlich wird und sogar ihr zögerlicher Vater sie auf die Reise nach Europa schickt, gibt es im Film ein dramatisches, großartig komponiertes Bild: Während eines Schwimmwettkampfes wird das Schwimmbad bombardiert und man sieht eine der beiden Schwestern alleine im Pool mit einer Bombe, die langsam zum Boden sinkt. Im zweiten Teil des Films wird die lange Reise der beiden beschrieben, die sich einer Gruppe von Flüchtlingen anschließen und schließlich im Mittelmeer in einem überfüllten Schlauchboot treiben, das zu sinken droht. Beide springen ins Wasser und es besteht die Gefahr, dass sie als professionelle Schwimmerinnen ertrinken – eine böse Ironie, die El Hosaini in einem Dialogsatz auf den Punkt bringt. Und auch hier hat sie wieder ein passendes Sinnbild für die Absurdität der Situation gefunden: Nachdem sie die Insel Lesbos erreicht haben, werfen die Flüchtlinge ihre Schwimmwesten weg und wenn das Bild zu einer Totalen aufgezogen wird, erkennt man, dass dort in den Dünen Tausende von Schwimmwesten liegen, sie also nur ein kleiner Teil eines riesigen Stroms von Flüchtlingen sind. Im dritten Teil wird dann davon erzählt, wie eine der beiden Schwestern in Berlin einen deutschen Trainer findet und dieser sie für die Olympiade in Rio fit macht. Hier wird schließlich mit den Stilmitteln des Sportfilms erzählt. Vor allem eine rasant geschnittene Sequenz, in der die Mühen und Erfolge des Trainings inszeniert werden, erinnert an berühmte Vorbilder wie ROCKY. Sally El Hosaini gelingt es, in allen drei Akten zugleich spannend und einfühlsam von den beiden jungen Protagonistinnen zu erzählen. Dabei vermittelt sie einen intensiven Eindruck von den Fluchterfahrungen der jungen Frauen. Yusra und Sara sind moderne Syrerinnen, deren Lebenshunger und Vitalität am besten in einigen Sequenzen spürbar wird, in denen sie ausgelassen tanzen. El Hosaini ist es gelungen, einen optimistischen Film über das Leben unter zutiefst deprimierenden Zuständen zu inszenieren. Gerne zeichnet die Jury diesen Film mit dem höchsten Prädikat BESONDERS WERTVOLL aus.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) / 07.11.2022
Foto: FBW