Die Proteste im Iran nach der Ermordung der Kurdin Jina Mahsa Amini dauern nun seit über drei Wochen an. Am 8. Oktober, während der Proteste in Rojhilat (Ostkurdistan), griffen Regimetruppen in Sine (Sanandadsch) die Bevölkerung an und erschossen vier Kurden. Insgesamt wurde seit Beginn der Proteste eine unbekannte Zahl von Teilnehmer:innen von Sicherheitskräfte getötet. Konservativen Zählungen zufolge wurden mindestens 185 Menschen, 19 von ihnen minderjährig, seit Beginn der Proteste von Sicherheitskräfte umgebracht. Am Wochenende kam es dennoch zu einer neuen massiven Protestwelle nach Streikaufrufen.
Generalstreik im Iran und Rojhilat
Trotz der Bemühungen des Regimes, die Proteste gewaltsam zu unterdrücken, breitete sich der Widerstand auf 175 Städte im ganzen Iran und Rojhilat aus. Der 8. Oktober war zum Tag des Widerstands ausgerufen wurden. Mehr als 400 Schriftsteller:innen im Iran und im Ausland sowie viele Initiativen und Gewerkschaften hatten zum Generalstreik aufgerufen. Damit wurde ein Streik, der zuvor vor allem in Rojhilat durchgeführt wurde, am Wochenende weiter verstärkt. In vielen Städten des Iran gingen die Menschen auf die Straße. Den Bildern in den sozialen Medien zufolge haben die Ladenbesitzer in vielen Städten, insbesondere in Städten wie Sine, Mahabad, Seqiz, Dîwandere, Bokan und Ciwanro in Rojhilat, ihre Läden geschlossen.
Unter anderem in Sine gingen die Menschen auf die Straße. Iranische Sicherheitskräfte griffen die sich unter der Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ Versammelnden an. Bereits zu Beginn der Proteste wurde der Teilnehmer Şerif Abad von der Polizei erschossen. Die Teilnehmenden reagierten mit Parolen wie „Tod dem Diktator“.
Proteste überall im Iran: „Ob Schah oder Mullah, Tod den Unterdrückern“
Im gesamten Iran fanden Proteste statt, insbesondere in Teheran, Maschhad, Isfahan, Schiraz und Karadsch. An der Al-Zahra-Universität, der Azadi-Universität, der Qazvin-Universität und der Scharif-Universität, an denen Frauen studieren, begannen erneut Proteste. Bei einem Besuch der Zahra-Universität wurde der iranische Präsident Raisi mit Parolen „Tod den Mullahs“ und „Ob Schah oder Mullah, Tod den Unterdrückern“ empfangen. Solche Parolen können im Iran mit dem Tod bestraft werden.
Weitere Proteste in Teheran
Die Demonstrationen in Teheran dauerten am Samstag bis spät in die Nacht an. Im konservativen Stadtteil Pars zündeten Demonstrant:innen Müllcontainer an, blockierten die Straßen und skandierten Parolen. Aufnahmen aus dem Stadtteil Nazi Abad zeigen ebenfalls große Proteste. Auch in der Azeri-Straße kam es zu großen Aktionen mit brennenden Barrikaden.
Wie fast jeden Tag fanden vor der Metrostation in der Scharia-Straße in Teheran Proteste statt. Bei den Demonstrationen auf dem Abuzer-Boulevard wurden Transparente des Regimes verbrannt, Barrikaden errichtet und Feuer entzündet. Auch in anderen Städten Irans dauerten die Proteste bis in die Nacht hinein an.
Staatliches Fernsehen gehackt
Im Rahmen der Proteste wurde Samstag das iranische Staatsfernsehen gehackt. Während der Nachrichtensendung um 21.00 Uhr wurde das Fernsehen von einer Gruppe namens „Adalet-i Ali“ gekapert und während der Übertragung der Rede des religiösen Führers Ayatollah Ali Khamenei wurden Fotos von Jina Mahsa Amini und weiteren drei Frauen, die während der Proteste ermordet wurden, auf den Bildschirm projiziert. Gleichzeitig war ein Bild des Regimechefs mit einem Fadenkreuz versehen sichtbar. Bei der wenige Sekunden dauernden Aktion wurde aufgerufen „Schließt euch uns an und steht auf“ und das Regime mit der Parole „Das Blut unserer Jugend tropft von euren Klauen“ angegriffen. Anschließend war die Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ zu sehen.
Mord durch Regime als „Selbstmord“ verschleiert
Staatliche Sender verbreiteten die Nachricht, dass die 16-jährige Sarina Esmailzadeh, die am 23. September in Gohardasht in Karadsch von Sicherheitskräften zu Tode geprügelt worden war, „Selbstmord“ begangen habe. So hieß es, sie habe sich von einem Dach gestürzt. Amnesty International gab dazu eine Erklärung ab und bestätigte, dass Sarina zu Tode geknüppelt wurde. Ihre Familie sei massiv unter Druck gesetzt worden, sich nicht zu äußern.
Wenige Tage zuvor war die 17-jährige Nika Shakarami am 20. September in Teheran verschwunden. Als ihre Leiche mit Spuren massiver Gewalt gefunden wurde, hatte das Regime behauptet, sie hätte sich von einem Dach gestürzt. Die Mutter von Nika sagte, das Regime habe ihre Tochter ermordet. Sie erklärte, der Staat habe sie gezwungen zu sagen, dass ihre Tochter Selbstmord begangen habe.
Sänger Hossein Safamanesh verhaftet
In Rojhilat kommt es zu vielen Verhaftungen. Wie die Menschenrechtsorganisation Hengaw berichtet, wurde unter anderem der bekannte Sänger Hossein Safamanesh aus Kirmaşan verhaftet. Der Künstler Safamanesh, der sich zu einem Konzert in Teheran aufhielt, gab auf seinem Instagram-Account bekannt, dass er sein Konzert in Südkurdistan aufgrund der Proteste für Jina Mahsa Amini abgesagt habe. „Ich betrachte mich selbst nicht als Künstler, aber ich weiß, dass es die Aufgabe eines Künstlers ist, in historischen Prozessen an der Seite seines Volkes zu stehen und nicht gegen es. Ich, Hossein Safamanesh, erkläre: Die Menschen sind auf der Straße, meine Bühne wird die Straße sein, nicht ein Salon in Teheran. Ich bin bei dir, mein Volk“, so Safamensh. Nach Angaben von Hengaw wurde Safamanesh am 6. Oktober vom iranischen Geheimdienst in Teheran vorgeladen und verhaftet.
Kurdische Frauenaktivistin Bahar Aslani verhaftet
Hengaw gab weiter bekannt, dass sechs kurdische Lehrer:innen in Sarvabad, Dehgulan, Bokan, Sine und Şino (Oshanviyeh) in Rojhilat festgenommen wurden, weil sie für Jina Mahsa Amini protestiert hatten. Am 8. Oktober wurde auch Reza Jodaki, ein Musikstudent der Universität Kurdistan aus Hormabad (Loristan), der an der Beerdigung von Nika Shakarami teilnehmen wollte, verhaftet. Darüber hinaus wurde bekannt, dass die kurdische Aktivistin und Fotografin Bahar Aslani am 26. September von den Regimekräften in Teheran verhaftet wurde. Wie Hengaw berichtet, hat Bahar Aslani schwere gesundheitliche Probleme.
Vier Kurden bei Protesten in Sine erschossen
Hengaw hat am Sonntag einen weiteren Bericht über die Proteste in Rojhilat veröffentlicht. Demnach wurden bei den Protesten in Sine am 8. Oktober mindestens vier Kurden von den Regimekräften getötet. Außerdem wurden 130 Menschen verletzt. Auch in der Nacht zum Montag hallten Parolen und Polizeischüsse durch die Straßen von Sine.
Selbstverteidigung: Regimepolizist getötet
In Jina Mahsa Aminis Geburtsstadt Seqiz gingen die Menschen nach heftigen Angriffen der Polizei zur Selbstverteidigung über. Dabei wurde ein Polizist getötet und ein Staatsanwalt verletzt. Auch am Sonntag wurden Proteste und heftige Auseinandersetzungen aus Bokan, Mahabad, Sine, Seqiz, Kamyaran und Ciwanro in Rojhilat gemeldet.