Doch bei der Presse- und Informationsfreiheit bleiben die Ziele der Strategie vage. Dies zeigte sich auch während der ersten Bundestagsdebatte über die Digitalstrategie am vergangenen Donnerstag: Weder Internetfreiheit noch Informations- und Pressefreiheit spielten bei der Plenardiskussion eine wesentliche Rolle.
„Die Ziele der Digitalstrategie bei diesen Freiheitsrechten müssen jetzt dringend konkretisiert werden“, fordert Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Zudem ist völlig ungeklärt, wie die Umsetzung der Strategie finanziert werden soll. In den anstehenden Haushaltsverhandlungen muss die Bundesregierung schnell eine Lösung finden.”
Digitalstrategie: unkonkrete Ziele und fehlende Visionen
Schwammig bleibt die Digitalstrategie beispielsweise im Bereich der Überwachung. Wer gehofft hatte, mehr zur angedachten Überwachungsgesamtrechnung – also der Überprüfung der Sicherheitsgesetze auf Qualität und Notwendigkeit – zu erfahren, wurde von Digitalstrategie und Bundestagsdebatte gleichermaßen enttäuscht. Auch bei einer geplanten Leitlinie für internationale Digitalpolitik zum Schutz von Menschenrechten, Grundfreiheiten und Privatsphäre bleibt die Digitalstrategie im Ungefähren. Welche Aspekte aufgegriffen werden sollen, wird nicht konkretisiert. Dabei gibt es genug Probleme: So zeigen die Überwachungsskandale um die Spähsoftware Pegasus in Polen, Ungarn und die Software Predator in Griechenland, dass Journalistinnen und Journalisten, ihre Quellen und Menschenrechtsverteidiger und Menschenrechtsverteidigerinnen umfassend geschützt werden müssen – in und außerhalb der EU. Zu einer internationalen Strategie für Digitalpolitik sollten daher ein Moratorium für Überwachungssoftware sowie eine umfassende Kontrolle der Geheimdienste gehören, wie Reporter ohne Grenzen seit Langem fordert.
Nur schemenhaft erkennbar sind zudem die Vorstellungen der Bundesregierung beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Deren Potential solle genutzt werden, um der Verbreitung illegaler und strafbarer Inhalte im Internet entgegenzutreten, heißt es in der Digitalstrategie. Was das konkret bedeutet, bleibt offen. Es hätte der Digitalstrategie gutgetan, weniger auf vermeintlich innovative Technologien zu setzen und stattdessen fundierte, tiefgründige Ansätze zum Kampf mit Hass im Netz, digitaler Gewalt und Desinformation zu erarbeiten. RSF hat dazu schon Ende 2020 eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet, um die Plattformen beispielsweise beim Umgang mit Desinformation stärker in die Pflicht zu nehmen. Dazu gehören unter anderem Transparenzpflichten, die Umsetzung der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie die Förderung von vertrauenswürdigen Online-Inhalten mittels anerkannter Standards wie im Rahmen der Journalism Trust Initiative vorgeschlagen.
Expertise der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung einbeziehen
Insgesamt fehlt es der Digitalstrategie an gesellschaftlichen Visionen. Zu sehr will sich die Bundesregierung wirtschaftlich mit den EU-Staaten im technologischen Wettbewerb messen lassen. Dies geht auch aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Abgeordneten Anke Domscheit-Berg hervor: Demnach haben vor allem Wirtschaftsvertretungen Einfluss auf die Formulierung der Digitalstrategie genommen, darunter der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Bitkom und der Startup-Verband. Dabei hat die Bundesregierung aus den Augen verloren, dass Digitalpolitik vor allem Gesellschaftspolitik ist – obwohl in der Digitalstrategie steht, dass die “digitale Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der digitalen Gesellschaft” spiele.
Jetzt ist es höchste Zeit, die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich der Digitalpolitik kontinuierlich bei allen Umsetzungsschritten einzubeziehen, um die Strategie mit Leben zu füllen. Dafür steht Reporter ohne Grenzen zur Verfügung und wird sich weiterhin mit Empfehlungen und Vorschlägen einbringen.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 30.09.2022
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