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Über die Veranstaltung „Vorurteile und Tabus / Minderheiten in der türkischen Literatur“ der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg

Essay

Detlef Rönfeldt (Patriotische Gesellschaft) und Dr. Hülya Çelik (Ruhr-Universität Bochum)

Bevor wir zu der Minderheitenliteratur der osmanischen Zeit kommen, sind ein paar Erklärungen unbedingt notwendig. Es gab bereits in Istanbul im 15. Jahrhundert Druckereien namens „Basmahane“. Diese Druckereien wurden schwerwiegend von Griechen, Armeniern und der jüdischen Gemeinde verwaltet und druckten Bücher in ihren eigenen Sprachen. Laut Quellenangaben gab es im Jahre 1493 in Thessaloniki eine jüdische Druckerei. Die Armenier lernten das Druckmaschinengeschäft in Italien kennen und eröffneten 1567 eine Druckerei in Istanbul, gefolgt von der ersten griechischen Druckerei im Jahr 1627. In Izmir hatten bereits 1658 Juden gedruckt, desgleichen schon 1515 in Selanik, 1554 in Edirne und 1552 in Belgrad. In Griechenland druckten im 16. Jahrhundert ebenfalls wandernde Juden. Sultan Murad III. Unterzeichnete ein Erlass im Jahre 1587, welcher den Verkauf der in Europa veröffentlichten Bücher auf Arabisch, Persisch und Türkisch auf osmanischem Boden erlaubte. Sultan Ahmed III. gab 1727 die endgültige Genehmigung zur Anlegung einer Druckerei in Istanbul für einen gewissen Ibrahim Müteferrika, mit ungarisch-jüdischer Abstammung, der wegen seinen Sprachbegabungen als Diplomat im Westen tätig war. Er sprach neben Osmanisch auch Latein, Arabisch, Persisch und Französisch. Er war in Österreich, Frankreich, Russland und Schweden als Diplomat tätig. Nach dem er die Erlaubnis zum Betrieb einer Druckerpresse bekam, veröffentlichte er vorerst nichtreligiöse Werke. Vor ihm gab es breites die Druckereien im Osmanischen Reich, die nur hebräische und armenische Werke hervorbrachten. Ibrahim Efendis Hauptarbeit basierte darauf historische, vor allem aber wissenschaftliche Übersetzungen zu veröffentlichen. Ungefähr brachte er im Jahr ein Werk (insgesamt 17 Werke -23 Bände) pro Auflage zwischen 500-1000 Stücke heraus.

Viele Literaten reden erst ab dieser Zeit von der Entstehung der Osmanischen Literatur, was natürlich nicht der tatsächlichen Wahrheit entspricht. Bevor ich weiter mache, möchte ich kurz erwähnen, dass die Osmanische Literatur bis zum Tanzimat (Neuordnung) Reformen (1839-1876) beinhaltete.Divan Litaratur, Halk Edebiyatı und Tasavvuf Edebiyatı haben die uralten Wurzeln in der Kunst und Kulturgeschichte des Reiches eingeprägt.

Nach dem Veröffentlichen der Bücher durch Ibrahim Efendi kamen aus dem Westen neue Ideen und Denkweisen in das Imperium. Man darf aber die literarischen Entwicklungen von den politischen Entwicklungen nicht getrennt behandeln. Das Reich ist bis zum Hals dem Westen verschuldet. Dementsprechend wurden die neuen Reformen teilweise wortwörtlich von Westen diktiert, um weiterzuexistieren, da sie lebensnotwendig waren. Die Armee wird neu reformiert, sagenhafte Yeniceriskorps wurden brutal abgeschafft. Westliche Militärschulen werden als Vorbild genommen. Das bis dahin religiös definierte Rechtssystem und Lehnswesen werden abgeschafft. Es wurde eine feste Frist für die Wehrdienstdauer eingeführt. Bald erhielten Christen das Recht, als Zeuge vor Gericht aufzutreten, was davor nie möglich war. In dieser Zeit wurde ein Handelsgesetz verabschiedet.

Zusammengefasst und vertieft mit dem Dekret des Sultans ernannt begann am 3. November 1839 „Hatt-ı Şerif“, die Epoche des Tanzimat. Dieser historische Erlass wurde im Gülhane Park neben dem Topkapi Palast bei der Anwesenheit der westlichen Diplomaten feierlich verkündet. Also die Modernisierung des Reiches erreichte somit sein Gipfel. Die Sicherheit des Lebens, Ehre und Vermögen der Untertanen wurden garantiert. Die Steuern müssen gerecht und geregelt festgesetzt und eingetrieben werden. Der Wehrdienst wurde nicht mehr willkürlich und auf Lebenszeit praktiziert, sondern auf fünf Jahre begrenzt und die Wehrpflichtigen wurden geordnet einberufen.

Man kann sich vorstellen, dass nach dem das über 500 jahrelang herrschende System sich der Maße umändert, plötzlich und in so kurzer Zeit, solche Reformen und Entwicklungen sich seine Literatur schafft oder dort einen Platz findet. Die namhaften Literaturkritiker in der Türkei behaupten immer wieder, die türkische Literatur sei in den Übersetzter Räumlichkeiten entstanden, was nur teilweise der Wahrheit entspricht. Den Übersetzter Raum, sollte man sich wie eine Behörde vorstellen, welche offiziell 1821 seine Tätigkeiten aufnahm. Später regelte sie auch die modernen türkischen auswärtigen Angelegenheiten oder wurde dabei zumindest sehr behilflich.

Man darf nicht automatisch denken, dass all diese neuen Reformen und Modernisierungsversuche sofort und reibungslos umgesetzt wurden. Umgekehrt waren es ziemlich schmerzhafte Zeiten für die Konservativen, welche sich schwer taten sich von den jahrhundertelangen Traditionen und herrschenden Denk- und Lebensweise zu trennen oder umzuwandeln. Nach den Tanzimat Reformen bekam die Übersetzer Kammer große Unterstützung und wurde in ihrer Zahl erhöht, sodass nun ungefähr 40 Übersetzer fleißig zahlreiche literarische Werke aus den westlichen, vor allem Französischen Raum, ins Osmanische übersetzten. Dazu haben sie bei der Entwicklung der Osmanischen Sprache hervorragende Arbeiten geleistet. Die Osmanen hatten nun ein Parlament, eine erste Verfassung, neue Gesetze, in denen sie nicht mehr Untertanen, sondern Bürger waren. Die Minderheiten genossen gewisse Gleichheiten gegenüber Einheimischen.

Neben dem Übersetzer Raum wurde „Encümen-i Dâniş“, also Gesellschaft der Gelehrten, 1851 ebenfalls durch die Befehle des Sultans gegründet. Die sollten akademische Bücher wie bei den Franzosen vorbereiten und veröffentlichen. Außer der Tätigkeit des Übersetzten, schrieben und veröffentlichten sie auch viele wichtige Werke. Somit wurde die Verwestlichung der Osmanen beschleunigt.

So wurde die berühmte Tanzimat Literatur geboren. Sinasi, Ziya Pasa und Namik Kemal reformierten die Osmanischen Poesie. Bis dahin thematisierten die osmanischen Gedichten Liebe, Sehnsucht und Trennung. Nun wurden auch die Themen Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Justiz, Zivilisation behandelt. Das gleiche gilt auch für das Theater. Die traditionellen Themen und Spiele Karagöz und Hacivat, Orta Oyunu und Meddah wurden bei Seite geschafft und es wurden von William Shakespeare, Victor Hugo und Molierres die Werke durch osmanische Versionen adaptiert. Komödie, Patriotismus und viele sozialen Themen gaben dem osmanischen Theater ein neues Gesicht.

Nun kommen wir an den Roman: Yusuf Kamil Pasa übersetzte den Telemak, ein Roman von einem französischen Schriftsteller. Şemseddin Sâmi schrieb den Liebesroman Taaşşuk-ı Talat ve Fitnat, der bis heute als erster offizieller Türkischer Roman gilt. Namik Kemal schrieb als er im Exil war İntibah, den ersten Türkischen Historischen Roman. Auch Samipaşazade Sezai, der realistische Erzählungen und Romane schrieb, gehört dieser Zeit Ära an. Recaizade Mahmud Ekrem und sein berühmtes Werk Araba Sevdası darf ebenso nicht vergessen werden. Aber ein Name fällt sehr auf, welcher heute als der Vater von türkischen Romanen gilt: Ahmed Midhat Efendi mit seinem Fleiß und vielseitigen Werken. Er war Journalist, Autor, Übersetzer und Verleger. Dazu war er ein Vielschreiber, von ihm sind über 250 Werke überliefert, die er größtenteils selbst verlegte.

Wie die politischen Entwicklungen rauf und runter sich bewegten also vorwärts und rückwärts, so entwickelten sich auch die literarischen Epochen. Die Tanzimatszeit dauerte bis 1895 an. Somit lernte das Reich mit dem Roman, Kurzgeschichten, Essays, kurz gesagt fast alle modernen westlichen literarischen Gattungen kennen. Dazu bekam Journalismus neue Dimensionen. Über so viele verschiedenen Themen erschienen neue Medien: von Satire, Wissenschaft und Kultur bis zur Politik und Frauenrechte erschienen zahlreiche Zeitschriften und Zeitungen. Kurz nach oder kurz bevor die Tanzimat Literaturepoche zu Ende ging, also von 1891 bis 1944 herrschte „Servet-i Fünun Edebiyatı“, also die Zeit des Reichtums der Geisteswissenschaften.

Ich möchte nicht die letztere Zeit Ära vertiefen und Literaten und deren Werke aufzählen. Mit dieser kurzen Schilderung hatte ich vor ein gesamtes Bild aufzuzeichnen, die Minderheitenliteratur oder Mehrheitenliteratur machten fast gemeinsame Entwicklungen, zumindest bis zum Verfall des Reiches. Wenn der Sultan es erlaubte, blühte die Literatur und gesamte Kunstwelt des Landes, wenn die Zensur und Verbote kamen, dann profitierten alle Intellektuellen gleichmäßig. Daher wäre es eine unwissenschaftliche Behauptung zu meinen, dass in dem Osmanischen Reich Minderheitenliteratur tabu oder verboten war.

Was für Prozesse und Entwicklungen die Armenische, Jüdische, Griechische oder Kurdische Literatur, dazu sollte man auch das sozialistische Gedankengut und deren Literatur mitzählen, unabhängig voneinander durchmachen mussten, sind umfangreiche Themen und Gebiete, mit denen man sich jahrelang beschäftigen kann. Die echten Verbote, Tabus und Zensuren die bis heute ihre Gültigkeit haben, kamen erst nach dem Verfall des Osmanischen Reiches, also erst nach der Gründung der modernen türkischen Republik. Alles wurde „türkisiert“, plötzlich war im Land der Türken, auch alles türkisch gewesen. Eine neue Geschichtsschreibung und Kulturverständnis hat bis heute, fragwürdiger Art und Weise, ihre Gültigkeit bekommen. Über 620 Jahre lang andauerte ein viel Völkerstaat, welcher nun nur auf so genannte Türken (!) reduziert wurde. Selbstverständlich hat sich diese Ausgrenzung und Verkleinerung jeglicher Denkweisen in der Politik bis in die Literatur und allen Ebenen des Staates und Landes bis heute fest verankert und wird so widergespiegelt. Als ob die Anpassung und Annäherung der westlichen Werte und Normen mit der Republiksgründung angefangen hätte, wird alles was davor geleistet wurde, geleugnet und abgelehnt.

Man darf nicht vergessen, dass im Endeffekt jeder Literat für den Leser schreibt, also für alle Menschen, nicht nur seine Landsleute, Ethnien oder bestimmte Kreise. Die künstlerischen Schöpfungsfähigkeiten geben unter Verbot und Unterdrückung neue Kraft, Ideen und Lösungswege. Somit erschafft man einen neuen Sprach- oder Schreibstil, Wortfindungen, eigene authentische Erzählungswege. Kurz gesagt kann man Minderheiten in der Literatur von der gesamten Minderheitenpolitik des jeweiligen Landes nicht getrennt denken und behandeln.

Natürlich ist was die Patriotische Gesellschaft in Hamburg versucht, so ein riesiges Thema wie die „Vorurteile und Tabus / Minderheiten in der türkischen Literatur“ zu behandeln, begrüßenswert aber zu erwarten, dass es mit einer kleinen Veranstaltung gelingt, ist nicht realistisch. Dennoch ist es immerhin ein positiver Anfang, muss einfach ohne wenn und aber unterstützt werden.

Süleyman Deveci

08.06.2022

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