Kunst trifft Wissenschaft: Die Helmholtz-Gemeinschaft vergibt im Rahmen des ArtScience-Programms interactions 2022 ein Stipendium an Jessika Khazrik, Künstlerin, Komponistin, Autorin und Technologin. Das mit 10.000 Euro dotierte Stipendium bietet jeweils einer Künstlerin oder einem Künstler die Möglichkeit, sich direkt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an einem der 18 Helmholtz-Forschungszentren auszutauschen und ein Kunstprojekt vor Ort zu realisieren.
Kunst und Wissenschaft inspirieren sich immer gegenseitig. Deshalb lädt die Helmholtz-Gemeinschaft im Rahmen des ArtScience-Programms interactions Künstlerinnen und Künstler ein, mit den Helmholtz-Forschungszentren zusammenzuarbeiten. Jessika Khazrik, Künstlerin, Komponistin, Autorin und Technologin, wurde für die erste Ausgabe des Residenzprogramms im Jahr 2022 ausgewählt.
Hermann von Helmholtz war der Wissenschaft und der Kunst sehr verbunden. Er betrachtete Kunst und Wissenschaft als zwei gleichberechtigte Methoden, um verschiedene Phänomene in dieser Welt zu verstehen. Er selbst war ein brillanter Physiker und Arzt, aber auch ein leidenschaftlicher Pianist.
„Hermann von Helmholtz und Jessika Khazrik haben diese Offenheit im Denken über Grenzen hinweg gemeinsam“, so die Jury des Helmholtz ArtScience Programms Interactions. Die Künstlerin Khazrik wird das Stipendium in Höhe von 10.000 Euro nutzen, um in den kommenden Monaten das Projekt „Polymathic Exposomes“ (Arbeitstitel) am Forschungszentrum Helmholtz Munich umzusetzen. Die Arbeit kombiniert Film, Sound, Installation und maschinelles Lernen und wird in enger Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler:innen vor Ort entstehen.
Jessika Khazrik erläutert den Hintergrund des Projekts: „Hermann von Helmholtz hat mich als letzter Vertreter der Polymathie viel gelehrt, nicht nur durch seine vielfältigen, bahnbrechenden Beiträge ‚in den Wissenschaften von unendlich weitem Inhalt‘ (Zitat Helmholtz in seiner Rede zu seiner Berufung an die Universität von Heidelberg), sondern auch durch seine selbstreflexiven Schriften über die Zeit im Streben nach Wissenschaft, die Biophysik des Denkens, die physiologischen und physikalischen Grundlagen der Musiktheorie und die Auflösung der Figur des Universalgelehrten im 19. Jahrhundert. Es ist eine große Ehre für mich, mich zwei Jahrzehnte später durch das Interaktionsstipendium intensiv und aus nächster Nähe mit dem Erbe von Helmholtz beschäftigen zu können.“
Die Jury hatte die Aufgabe, aus 44 Bewerbungen auszuwählen. Besonders beeindruckt waren die Mitglieder von Jessika Khazriks enormen Kreativität: Die Künstlerin setzt in ihren Arbeiten zahlreiche Medien ein und stellt immer wieder Bezüge zu gesellschaftlichen, philosophischen und wissenschaftlichen Themen her.
Das Helmholtz-Programm ArtScience interactions wurde im vergangenen Jahr anlässlich des 200. Geburtstages von Hermann von Helmholtz ins Leben gerufen. Initiatoren sind die Helmholtz-Gemeinschaft und Nachkommen von Hermann von Helmholtz. Das mit 10.000 Euro dotierte Stipendium bietet einer Künstlerin oder einem Künstler die Möglichkeit, sich direkt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an einem der 18 Helmholtz-Forschungszentren auszutauschen und darauf aufbauend ein Kunstprojekt vor Ort zu realisieren.
Die 44 Bewerbungen wurden von einer hochkarätigen Jury begutachtet, die sich aus folgenden Mitgliedern zusammensetzt (in alphabetischer Reihenfolge):
– Sibylle Anderl: Journalistin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Astrophysikerin, Philosophin, Frankfurt am Main
– Sara Arnsteiner: Leiterin der Abteilung Kommunikation und Projektleitung Interaktionen, Helmholtz-Gemeinschaft, Berlin
– Anselm Franke: Leiter der Abteilung Bildende Kunst und Film, Haus der Kulturen der Welt (HKW), Berlin
– Peter L. Galison: Wissenschaftshistoriker und Helmholtz-Experte, Harvard University
– Andreas Kosmider: Leiter der Abteilung Strategische Initiativen, Wissenschaftler, Helmholtz-Gemeinschaft, Berlin
– Susanne Pfeffer: Direktorin MMK Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main
– Leonie Radine: Kuratorin Museum Ludwig, Köln
Jurybegründung zur Auswahl von Jessika Khazrik, Berlin 15. Februar 2022:
„Hermann von Helmholtz war ein außergewöhnlicher Wissenschaftler, weil er seine Gedanken und Methoden nicht auf die Erforschung und das Verständnis des Lebens beschränkt hat. Er dachte über die Disziplinen hinaus. Darin treffen sich Hermann von Helmholtz und Jessika Khazrik. Jessika Khazrik arbeitet medien- und disziplinübergreifend und hat in ihrem Schaffen bereits künstlerische, philosophische und wissenschaftliche Bezüge zum Denken von Hermann von Helmholtz hergestellt. Sie verbindet unbändige Kreativität mit einer tiefen Verwurzelung im Denken von Helmholtz und dem entsprechenden philosophischen und theoretischen Hintergrund. Die Kombination aus enger Interaktion mit Helmholtz-Wissenschaftlern und einem aktuellen und höchst relevanten Thema wie der Wechselbeziehung zwischen dem menschlichen Körper und seiner Umwelt macht Khazriks Ansatz sowohl tiefgründig als auch gewagt. Er zeigt eine tiefe Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Erbe von Helmholtz und verortet es pointiert in der Gegenwart und der Arbeit der Helmholtz-Zentren. Und, was vielleicht am wichtigsten ist, es spricht wirklich von und zu einer erkenntnistheoretischen Passage, in der die modernen disziplinären Trennungen nicht mehr greifen. Das Projekt „Polymathic Exposomes“ erfüllt alle Ziele des Programms interactions perfekt.“
Jessika Khazrik über das Projekt:
„Die letzten Jahre haben uns in einem ungeahnten globalen Ausmaß gezeigt, dass unser Körper eine Umwelt und unsere Gesundheit eine Beziehung ist. Der Körper ist ein bisschen wie ein Ort, ein komplexer Träger oder ein poröses Terrain, in dem Belastungen reisen, sich niederlassen oder passieren können. Genau wie bei der Energie interagiert das, was hereinkommt, und muss sich festsetzen oder anderswo umgewandelt werden. Inspiriert von Helmholtz‘ bahnbrechenden Arbeiten über die Erhaltung der Energie, die Interanatomie der Kognition und die akustische Strahlung halte ich „Helmholtz Munich“ für das am besten geeignete Zentrum für meinen Projekt und meine Praxis, da es die Forschung im Bereich der Umweltmedizin und die historische Arbeit im Bereich des Strahlenschutzes und der gesunden Lagerung nuklearer Abfälle miteinander verbindet. Dies deckt sich mit meiner eigenen persönlichen Umweltgeschichte und Forschung, da ich in einer Stadt aufgewachsen bin, in der heimlich Giftmüll (vermutlich Atommüll) importiert, entsorgt und vergraben wurde. Dies hat in mir das tiefe und dringende Bedürfnis geweckt, die Beziehung zwischen Krankheit und Umwelt besser zu verstehen und in einen engen Dialog mit Wissenschaftlern, Nachbarn, Ärzten und all jenen zu treten, die sich für Umweltgerechtigkeit und eine Wissensproduktion einsetzen, die nicht vor der Komplexität unserer übermenschlichen, anthropogenen und agnotologischen Gegenwart zurückschreckt.“
„Der Begriff „Exposom“ wurde 2005 von dem Molekularepidemiologen Christopher Wild geprägt. Als Sammelbegriff ist das Exposom die Summe aller Umwelteinflüsse im Lebensverlauf von der vorgeburtlichen Zeit bis zum Tod, einschließlich chemischer Kontaminanten, Umweltschadstoffe und Nährstoffe in der Nahrung, um nur einige zu nennen. Ich betrachte das Aufkommen von Exposomstudien als eine dringende, ökologisch-konnektivistische Entwicklung innerhalb der Medizin, die die Grenzen der traditionellen Diagnose, die auf dem Wissen (‚gignōskein‘) im Einzelnen (‚dia‘) beruht, kritisch hinterfragen kann. Mit meinem Projektvorschlag „Polymathische Exposome“ (Arbeitstitel) möchte ich über mehrere Disziplinen, Zeugnisarten und Stimmen hinweg die gemeinsamen Ursprünge sowie Missverständnisse zwischen Medien, Heilmitteln und der Umwelt untersuchen. Dazu möchte ich meine eigene Körper- und Umweltgeschichte und die HELS-Methode, die die Grundlage für verschiedene biomedizinische Bildgebungsverfahren und akustische Strahlungstechniken bildet, erneut untersuchen. Für dieses Projekt bin ich besonders an der Zusammenarbeit mit den IBMI-Arbeitsgruppen ‚Molekulare EXposomik‘, ‚Translationale Optoakustik‘ und dem ‚Institut für Maschinelles Lernen in der Biomedizinischen Bildgebung‘ bei Helmholtz Munich interessiert.“
Über Jessika Khazrik:
Jessika Khazrik (geboren 1991 in Beirut, lebt in Berlin) ist eine Künstlerin, Komponistin, Technologin und Autorin, deren interdisziplinäre Praxis von Steganografie über Performance, maschinelles Lernen, Ökotoxikologie, visuelle Kunst, Philosophie der Intelligenz und Wissenschafts- und Musikgeschichte reicht. Khazrik arbeitet mit einer transmillennialen Wissensproduktion, die auf einem ökologischen Verständnis der Techno-Politik von Stimme, Medien und Code basiert. Während sie der Geschichte, der politischen Ökonomie und den Mythen der Disziplin nachspürt, dreht sich ihre indisziplinäre Praxis um die kollektive Suche und das Bedürfnis nach polymathischer Resonanz im 20. und 21. Khazrik hat einen Bachelor-Abschluss in Linguistik und Theaterwissenschaften von der Libanesischen Universität (LB) und einen Master-Abschluss in Kunst, Kultur und Technologie vom MIT (USA), wo sie mit dem Ada Lovelace-Preis ausgezeichnet wurde. Ihre Mehrkanal-Klanginstallationen und Performances wurden u. a. von Para Site (HK), der Kunsthalle Wien (AT), LACE (US), dem Muzeum Sztuki w Łodzi (PL), ar/ge kunst (IT) und der LUMA Foundation (CH) in Auftrag gegeben. Ihre Essays und Kurzgeschichten wurden in Sammelbänden und zahlreichen internationalen Publikationen in über 5 Sprachen veröffentlicht. Ihre interdisziplinären Forschungsarbeiten wurden u. a. am Stanford Research Institute (USA), der Arab Image Foundation (LB), der Birbeck’s School of Law am UCL (UK), dem Center for Documentary Arts and Research am UCSC (USA) und Amnesty International (UK & DE) vorgestellt. Khazrik war Fellow beim Home Workspace Programme (2012-13), Digital Earth (2018-19), HfK Bremen (2020) und SHAPE Platform (2021-22) und ist derzeit PI beim Research on the Arts Programme von ACSS und AFAC (2021-22), Fellow bei If I Can’t Dance (2022-23) und Gastdozent am Critical Media Lab (CH).
Über Helmholtz:
Wir sind die größte deutsche Forschungsorganisation und entwickeln Lösungen und Technologien für die Welt von morgen. Dabei stellen wir uns zentrale Fragen: Was hilft im Kampf gegen lebensbedrohliche Krankheiten? Wie kann der Klimawandel gebremst werden? Wie wird die nächste Quantenrevolution unser Leben verändern?
Um solche Herausforderungen zu meistern, braucht es Spitzenforschung. Bei Helmholtz arbeiten mehr als 43.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 18 Zentren zusammen, um Außergewöhnliches zu schaffen. Gemeinsam wollen wir innovative Technologien entwickeln und damit die Lebensgrundlagen des Menschen erhalten.
Mit einem Jahresbudget von fünf Milliarden Euro und langfristigen, interdisziplinären Forschungsprogrammen ist Helmholtz auch im internationalen Vergleich eine der führenden Forschungsorganisationen: Wir kooperieren mit den besten Einrichtungen weltweit.
Über Helmholtz Munich:
Helmholtz Munich konzentriert sich auf das Zusammenspiel von Gesundheit und Umwelt bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Allergien, Lungenerkrankungen, viralen und neurologischen Erkrankungen und erforscht die biologischen Mechanismen, die Gesundheit und Krankheit bestimmen. Fortschritte in der interdisziplinären Grundlagenforschung kommen so schnell den Patienten zugute. Neue Wege in der Diagnostik, Behandlung und Prävention von Volkskrankheiten zu gehen, ist das Leitmotiv des Zentrums.
Mit rund 2300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 70 verschiedenen Nationen ist Helmholtz München eingebettet in ein starkes Netzwerk aus regionalen, nationalen und internationalen Partnern aus Universitäten und der pharmazeutischen Industrie sowie aus Forschungseinrichtungen innerhalb und außerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft.
Über die Jury:
Sibylle Anderl studierte Physik und Philosophie und promovierte in Astrophysik. Anschließend arbeitete sie von 2013 bis 2017 als Postdoc zu Sternentstehung und Astrochemie am Institut de Planétologie et d’Astrophysique de Grenoble, wo sie noch immer als Gastwissenschaftlerin tätig ist. Seit 2010 arbeitet sie als freie Wissenschaftsjournalistin für die FAZ, seit Januar 2017 ist sie als Redakteurin im Feuilleton und Wissenschaftsressort der FAZ tätig.
Sara Arnsteiner ist Kulturwissenschaftlerin und seit April 2020 Leiterin der Kommunikation in der Helmholtz-Geschäftsstelle. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Kunst und Kultur und hat als Kunstkommunikatorin mit renommierten Museen und Sammlungen wie dem Belvedere Wien, Leopold Museum, Kunsthalle Wien u.v.m. sowie mit international bekannten Künstlern wie Ai Weiwei, Sterling Ruby, Pipilotti Rist, Erwin Wurm, Daniel Richter oder Matt Mullican zusammengearbeitet. Die Erfahrung und das Interesse an Kultur entfaltet sich auch während ihrer Arbeit bei Helmholtz, als Projektleiterin der Kooperation zwischen dem Theater Berliner Ensemble und Helmholtz sowie des ersten Helmholtz-Kunstprogramms interactions.
Anselm Franke ist seit 2013 Leiter der Abteilung Bildende Kunst und Film am Haus der Kulturen der Welt. Zuvor war er Kurator bei den KW Berlin und Direktor der Extra City Kunsthal in Antwerpen. Im Jahr 2005 gründete er das Forum Expanded der Internationalen Filmfestspiele Berlin und ist seither Ko-Kurator. Außerdem kuratierte er u.a. die Taipei Biennale 2012 und die Shanghai Biennale 2014. Franke hat am Goldsmiths College in London promoviert.
Peter Galison ist Joseph Pellegrino Universitätsprofessor für Wissenschafts- und Physikgeschichte an der Harvard University. Er befasst sich mit philosophischen und historischen Fragen in Bezug auf die Forschungsmethoden (Theorie und Experiment) der modernen Physik. In diesem Zusammenhang hat er sich insbesondere mit Fragen der wissenschaftlichen Visualisierung beschäftigt. Zu seinen Werken gehören Black Holes: The Edge of All We Know (2021). Er lehrt über die Geschichte der Physik des 20. Jahrhunderts, Experiment, Wissenschaft und Realismus der Einstein-Revolution und Theorie der Physik des 20. Jahrhunderts. 1999 wurde er mit dem Max-Planck-Preis der Max-Planck-Gesellschaft und der Humboldt-Stiftung ausgezeichnet.
Andreas Kosmider ist Astroteilchenphysiker und hat am Karlsruher Institut für Technologie promoviert. Seit 2018 leitet er die Helmholtz Information & Data Science Academy, das größte strukturierte Weiterbildungsprogramm für Informations- und Datenwissenschaften in Deutschland. Gemeinsam mit dem Chefdramaturgen des Berliner Ensembles kuratiert er seit 2017 die Gesprächsreihe „Theater trifft Wissenschaft“ und initiiert 2020 gemeinsam mit der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund ein Forschungsstipendium zwischen Darstellender Kunst und Informations- und Datenwissenschaften.
Susanne Pfeffer ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Museumsdirektorin. Seit 2018 ist sie Direktorin des Museums für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main. Susanne Pfeffer kuratierte 2017 den deutschen Beitrag auf der 57. Biennale in Venedig. Der Pavillon wurde mit dem Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag ausgezeichnet.
Leonie Radine ist Kuratorin und lebt in Köln. Seit 2015 ist sie am Museum Ludwig in Köln tätig. Derzeit arbeitet sie als Assistenzkuratorin für den Deutschen Pavillon auf der 59. Biennale von Venedig (2022). Zuvor war sie unter anderem als kuratorische Assistentin an den KW Institute for Contemporary Art in Berlin tätig. Sie studierte Kunstgeschichte in Marburg und Berlin.
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V. / 14.04.2022
Foto: Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V. / Robert Sieg