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Drei Vorschläge für Immaterielles Kulturerbe der Menschheit

Hebammenwesen, manuelle Glasfertigung und traditionelle Bewässerung für internationale UNESCO-Liste nominiert

Der zuständige Ausschuss der UN-Organisation entscheidet voraussichtlich Ende 2023 über die Anträge.

Gemeinsam mit zahlreichen anderen Staaten hat Deutschland der UNESCO vorgeschlagen, das Hebammenwesen, die manuelle Glasfertigung und die traditionelle Bewässerung in die internationale Liste des Immateriellen Kulturerbes aufzunehmen. Der zuständige Ausschuss der UN-Organisation entscheidet voraussichtlich Ende 2023 über die Anträge.

„Dass sich Deutschland an gleich drei internationalen Nominierungen für das Immaterielle Kulturerbe beteiligt, macht deutlich, wie viele Erfahrungen, Traditionen und Wissen wir als Menschheit miteinander teilen“, betont die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Maria Böhmer. „Die Anträge zeigen, was uns verbindet. Der Schutz von Menschenrechten, der nachhaltige Umgang mit der Natur, die schöpferische Kraft des Handwerks, all das ist Teil unseres gemeinsamen kulturellen Erbes“, so Böhmer. „Ich freue mich, dass die UNESCO nun über die Vorschläge entscheiden wird!“

Hebammenwesen

Acht Länder aus vier Kontinenten haben das Hebammenwesen für die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit nominiert. Deutschland beteiligt sich gemeinsam mit Kirgisistan, Kolumbien, Luxemburg, Nigeria, Slowenien, Togo und Zypern an dem Antrag. Hebammen begleiten werdende Mütter vom Beginn der Schwangerschaft über die Geburt bis zum Ende der Stillzeit und unterstützen Familien beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Während der Schwangerschaft übernehmen und veranlassen Hebammen Vorsorgeuntersuchungen, beraten und begleiten bei Beschwerden oder der Wahl des Geburtsorts. Sie nutzen evidenzbasierte Forschung und Intuition ebenso wie empirisches und traditionelles Wissen.

„Rund 26.000 Hebammen begleiten in Deutschland Schwangere und ihre Familien“, erklärt Ulrike Geppert-Orthofer, die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, gemeinsam mit dem Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands und dem Verein Hebammen für Deutschland. „Sie stärken sie in der prägenden Lebensphase ihrer Gründung und sind dabei als erste und verlässliche Vertrauensperson unverzichtbar. Der Hebammenberuf gehört zu den ältesten Berufen der Welt und wird niemals durch Technik ersetzt werden können“, so Geppert-Orthofer. „Die Aufnahme des Hebammenwesens in das Immaterielle Kulturerbe der Menschheit würde dem herausragenden Stellenwert von Hebammen für Leben und Werden weltweit – auch in unserem Land – die notwendige Anerkennung verschaffen.“

Überall auf der Welt stehen erfahrene Hebammen Gebärenden zur Seite. Mit ihrer Arbeit schützen sie grundlegende Menschenrechte, insbesondere von Frauen. Neben ihren medizinischen und anatomischen Kenntnissen stützen sich Hebammen auf ihre Sinne: Betrachten, Berühren, Fühlen, Riechen. Anhand von Tastbefunden erfassen sie etwa die Größe, Lage und Vitalität des Kindes. Mithilfe eines Hörrohrs können sie Herztöne ausmachen. Ihre Fähigkeiten und ihr Wissen werden über Generationen hinweg bewahrt, weiterentwickelt und weitergegeben.

Manuelle Glasfertigung

Die manuelle Glasfertigung wurde von Finnland, Frankreich, Spanien, Tschechien und Ungarn gemeinsam mit Deutschland als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit nominiert. Das traditionelle Handwerk widmet sich der Formgebung und Gestaltung sowohl heißen als auch kalten Glases. Die ersten Glashütten in Deutschland, Frankreich und Spanien entstanden in vorchristlicher Zeit. Im frühen Mittelalter verlagerte sich die Herstellung in Regionen, die über große Holz- und Sandvorkommen verfügten, den damals wichtigsten Ausgangsprodukten der Glasfertigung. So entstanden Hütten in Tschechien und Ungarn. Die erste finnische Glashütte wurde 1681 gegründet.

„Für die Community der Glasmacherinnen und Glasmacher ist diese Bewerbung eine enorme Anerkennung ihres Könnens“, erläutern Katrin Holthaus und Korbinian Stöckle von der Glashütte Gernheim. „In der Regel benötigen sie etwa zehn Jahre, um die heißen Techniken der Glasbearbeitung zu beherrschen. Allein diese lange Lehrzeit lässt ahnen, wie groß auch die individuelle Leidenschaft für das Handwerk ist.“

Glas wird bei Temperaturen von weit über 1000 Grad Celsius geschmolzen und ist nur für kurze Zeit formbar. Mit einer Glasmacherpfeife blasen die Handwerkerinnen und Handwerker eine kleine Kugel heißen, zähflüssigen Glases auf und bringen sie durch Drehen, Schwenken und die Bearbeitung mit traditionellen Werkzeugen in die gewünschte Form. Handgearbeitetes Hohlglas ist für hochwertige Serienproduktionen, Design, die Fertigung von Prototypen und technische Spezialanwendungen bis heute unverzichtbar. Mundgeblasenes Flachglas wird für Restaurierungsarbeiten, aber auch in Architektur und Kunst verwandt. So haben etwa Marc Chagall, Gerhard Richter und Neo Rauch Werke mithilfe dieser traditionellen Handwerkskunst geschaffen.

Traditionelle Bewässerung

Die traditionelle Bewässerung wird der UNESCO von Belgien, Deutschland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit vorgeschlagen. Durch die Nutzung der Schwerkraft werden landwirtschaftlich genutzte Flächen mithilfe dieser jahrhundertealten Kulturtechnik bis heute bewässert. Diese nachhaltige und auf Kooperation basierende Wasserversorgung ist für den Menschen und die biologische Vielfalt von großer Bedeutung.

„Der Austausch mit den Akteuren aus anderen europäischen Ländern und Regionen im Prozess der multinationalen Bewerbung war sehr bereichernd“, sagt Pirmin Hilsendegen, Koordinator der Interessengemeinschaft Queichwiesen. „Durch zahlreiche persönliche Begegnungen konnten wir viel voneinander lernen und uns gegenseitig unterstützen. Es ist uns dabei erst richtig bewusst geworden, welchen Schatz wir mit dieser Tradition bewahren konnten“, so Hilsendegen. „Der europaweite Austausch wird weiter bestehen und intensiviert werden.“

Bewässerungsgemeinschaften leiten Wasser aus Flüssen und Kanälen auf Felder und Wiesen um. Dafür werden vorübergehend kleine Gräben ausgehoben oder das Wasser aufgestaut, um künstliche Überläufe zu schaffen. Hierfür ist ein umfangreiches Verständnis der Landschaft, des Wasserflusses und der Wetterbedingungen notwendig. Dieses Wissen bezieht alle natürlichen und technischen Faktoren ein und wird von Generation zu Generation weitergegeben. In Deutschland ist die traditionelle Bewässerung unter anderem entlang der Flüsse Rednitz, Regnitz und Wiesent in Franken sowie im Gebiet der Queich in Rheinland-Pfalz bis heute lebendig.

Hintergrund

Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Seit 2003 unterstützt die UNESCO den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt dieser Kulturformen. Bis heute sind 180 Staaten dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beigetreten. Deutschland gehört dem Vertrag seit 2013 an.

Einzelne Elemente aus den nationalen Verzeichnissen der Vertragsstaaten können für eine von drei internationalen UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen werden. Dazu gehören etwa die Saunakultur in Finnland und der Reggae aus Jamaika. Im vergangenen Jahr wurde das Bauhüttenwesen auf Vorschlag von Frankreich, Norwegen, Österreich, der Schweiz und Deutschland in das internationale UNESCO-Register guter Praxisbeispiele zum Erhalt Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Ein Ausschuss der UN-Kulturorganisation entscheidet jährlich über die Aufnahme neuer Kulturformen in die UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes. Das Gremium setzt sich aus 24 gewählten Vertragsstaaten der Konvention zusammen.
Deutsche UNESCO-Kommission / 06.04.2022

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