in , ,

Studie beleuchtet Rolle der LVM Versicherung in der NS-Zeit

„Bauernführer, Direktoren und Vertrauensleute: Die LVM Versicherung im ‚Dritten Reich‘“

Diskutierten bei der Online-Veranstaltung die zentralen Ergebnisse der Studie (v. l. n. r.): Dr. Andrea Schneider-Braunberger (Geschäftsführerin der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte), Dr. Mathias Kleuker (LVM-Vorstandsvorsitzender), Prof. Dr. Johannes Bähr (Historiker) und Marko Feldbaum (Moderator). (Foto: LVM Versicherung/Bernd Schwabedissen)

Unter dem Titel „Bauernführer, Direktoren und Vertrauensmänner: Die LVM Versicherung im ‚Dritten Reich‘“ legt Prof. Dr. Johannes Bähr die erste wissenschaftlich-historische Untersuchung speziell zum Unternehmen in der NS-Zeit vor. Die Kernergebnisse präsentierte er gestern in einem Digital-Vortrag mit rund 120 Teilnehmenden. Die Untersuchung zeichnet detailliert nach, wie die LVM aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Ausrichtung und der ideologischen Zugehörigkeit ihrer Leitungsgremien eine besondere Nähe zum NS-Regime aufwies. Trotz dieser Verstrickung war die LVM nicht unmittelbar an den Verbrechen der NS-Diktatur beteiligt.

Historische Schuld und heutige Verantwortung
„Wir sind stolz auf unsere 125 Jahre erfolgreiche Unternehmensgeschichte. Dazu gehört aber auch, sich ehrlich und unvoreingenommen mit den Zeitabschnitten zu beschäftigen, die zu den dunkelsten in der deutschen Geschichte gehören“, erläutert Vorstandsvorsitzender Dr. Mathias Kleuker die Motivation des Unternehmens, die Studie zu beauftragen. „Wir haben uns bewusst für eine unabhängige und wissenschaftlich-fundierte Aufarbeitung entschieden, um Einsicht in die Verstrickungen des Unternehmens und seiner Persönlichkeiten zu erhalten. Die Studie sollte die Frage beantworten, ob und inwiefern die LVM zu dieser Zeit Schuld auf sich geladen hat. Und die Ergebnisse zeigen, dass sich die LVM am Unrecht jener Zeit beteiligt hat. Diese Schuld sichtbar zu machen und offen mit dieser dunklen Vergangenheit umzugehen, ist die Verantwortung für unsere Unternehmensgeschichte, der wir uns heute stellen.“

Die Kernergebnisse im Detail

Die LVM war in der Zeit des „Dritten Reichs“ ein Haftpflicht- und Tierversicherer für Landwirte in Westfalen mit rund 80 Mitarbeitenden. Die Zentrale in Münster wurde von bis zu 800 nebenberuflich tätigen Vertrauensleuten in ganz Westfalen unterstützt.

Da die Landwirtschaft in der NS-Ideologie einen besonderen Stellenwert einnahm, wurden nach der nationalsozialistischen Machtübernahme alle landwirtschaftlichen Verbände in eine Zwangsorganisation des NS-Staats, den Reichsnährstand, eingegliedert. Das betraf auch die Träger der LVM, den Westfälischen Bauernverein und die Landwirtschaftskammer Westfalen, und somit indirekt auch die LVM.

Aufsichtsrat und Vorstand der LVM wurden 1933 mit Nationalsozialisten neu besetzt. Dies hatte zur Folge, dass nach der „Gleichschaltung“ fünf der neun Aufsichtsratsmitglieder und fünf der sieben Vorstandsmitglieder in der NSDAP waren oder der NSDAP nahestanden. In den Jahren 1933 bis 1945 gehörten sieben von insgesamt elf Aufsichtsratsmitgliedern und sieben von insgesamt zehn Vorstandsmitgliedern der NSDAP an. Die hauptamtlichen Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer waren nicht Mitglieder der NSDAP.

Obwohl die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der LVM mehrheitlich aktive Nationalsozialisten und Funktionsträger der Landesbauernschaft waren oder sogar der SS angehörten, war das Unternehmen nicht unmittelbar an der Ausgrenzung und Ausraubung der Juden beteiligt. Aufgrund seines Geschäftsmodells konnte der Versicherungsverein aus der Verfolgung der Juden keine direkten Vorteile ziehen. Denn bereits vor 1933 konnten sich bei der LVM nur Mitglieder des Westfälischen Bauernvereins oder der Landwirtschaftskammer versichern. Juden waren hier nicht zugelassen.

Die LVM verzeichnete in der Zeit des Nationalsozialismus hohe Zuwächse bei der Mitgliederzahl und den Beitragseinnahmen. Dazu trugen die wachsende Nachfrage in der Kfz-Haftpflichtversicherung und ab 1937 die Ausweitung des Geschäftsgebiets bei. Durch die Zerstörung ihres Verwaltungssitzes bei einem Luftangriff auf Münster 1944 erlitt die LVM erhebliche Kriegsschäden.

Im Gegensatz zu den großen überregionalen Versicherungsunternehmen konnte die LVM ihren Geschäftsbetrieb nach dem Krieg fast nahtlos weiterführen. Allerdings änderte sich die Zusammensetzung der Verwaltungsgremien in den Jahren 1945/46 grundlegend. Die politisch belasteten Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands schieden auf Anordnung der britischen Militärregierung aus. Anders als in vielen Unternehmen kam keiner dieser Männer nach der Entnazifizierung zur LVM zurück. Aus dem letzten Vorstand vor Kriegsende blieb nur der politisch unbelastete Geschäftsführer übrig, der schon vor der „Gleichschaltung“ von 1933 im Amt war. Auch der 1933 ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende Hermann Winkelmann kehrte in sein früheres Amt zurück.

Mit der Gründung des Landwirtschaftsverbandes Westfalen-Lippe im August 1947 und der Wiederbegründung der Landwirtschaftskammer am 31. Juli 1949 erhielt die LVM einen neuen Rückhalt. In ihren Aufsichtsrat traten − anders als im „Dritten Reich“ und auch in der Weimarer Zeit − die Spitzen der landwirtschaftlichen Organisationen Westfalens ein.

Bewertung der Studienergebnisse

In seiner Bewertung der Studienergebnisse kommt Prof. Dr. Johannes Bähr zu dem Schluss, dass sich die „LVM zur NS-Zeit durch eine besondere Nähe zum NS-Regime auszeichnete. Dennoch gehört die LVM nicht zu den Unternehmen im ‚Dritten Reich‘, die schwere NS-Verbrechen begangen haben“. Kritisch sieht der Wissenschaftler vor allem die Rolle der Führungsgremien, die 1933 frühzeitig und geschlossen ihre Ämter zu Verfügung gestellt und somit den Weg frei gemacht hätten für die „ideologische und strukturelle Gleichschaltung“ durch das NS-Regime. Auch wenn die Eingliederung in den Reichsnährstand nicht hätte verhindert werden können, so müsse sich die LVM doch ihrer historischen Verantwortung für die Regimenähe in den Jahren 1933 bis 1945 stellen.

LVM-Vorstandsvorsitzender Dr. Mathias Kleuker dankte für die profunden Ergebnisse der Studie, die Erkenntnis und Mahnung zugleich seien. „Das Wissen um die eigene Geschichte und der zukunftsorientierte Umgang damit ist Teil unserer unternehmerischen Verantwortung, die wir sehr ernst nehmen und leben – gerade angesichts aktueller gesellschaftlicher Tendenzen, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Fragestellen, ist das wichtiger denn je“, stellte Dr. Mathias Kleuker die Relevanz historischer Studien für die Jetztzeit heraus.

Über das Studienprojekt

Bereits 2020 – im Zulauf auf das Jubiläumsjahr der LVM in 2021 – hat die LVM eigeninitiativ die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) mit einer Studie zum Thema „Die LVM in der Zeit des Nationalsozialismus“ beauftragt. Bei der GUG handelt es sich um eine international anerkannte wissenschaftliche Einrichtung, die auf unternehmenshistorische Forschung spezialisiert ist. Als Autor der Studie wurde Prof. Dr. Johannes Bähr als anerkannter Experte der Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte mit Schwerpunkt „Drittes Reich“ gewonnen. Für seine Studie konnte der Historiker auf eine insgesamt gute Quellenlage zugreifen. Dazu zählten insbesondere Akten aus dem gerade im Aufbau befindlichen historischen Unternehmensarchiv der LVM. Zudem recherchierte Prof. Dr. Johannes Bähr im Bundesarchiv, im Landesarchiv NRW und im Westfälischen Wirtschaftsarchiv. In Gänze haben die Arbeiten an der Studie rund 1,5 Jahre gedauert – teilweise erschwert durch pandemiebedingte Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Archiven.

Die Studie „Bauernführer, Direktoren und Vertrauensmänner: Die LVM Versicherung im ‚Dritten Reich‘“ ist im Buchhandel zu einem Preis von 20 Euro erhältlich.

LVM Versicherung / 10.03.2022

Foto: LVM Versicherung / Bernd Schwabedissen

What do you think?

10k Points
Upvote Downvote

Osteoporotik kalça kırıklarını önlemek için bu tavsiyelere dikkat

DİJİTAL PAZARLAMADA BAŞARILI OLMANIN 3 YOLU