Die Revolutionärin Birsen Kars ist tot. Sie starb am Sonntag im Alter von 51 Jahren in Stuttgart nach langer und schwerer Krankheit an einem Krebsleiden. Wann und wo sie bestattet wird, soll zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben werden.
Birsen Kars war Überlebende der „Operation Rückkehr ins Leben“. Unter diesem zynischen Namen verübte der türkische Staat am 19. Dezember 2000 ein Massaker an politischen Gefangenen, um den Widerstand gegen die Einführung von Isolationshaft zu zerschlagen. Birsen Kars wurde zum Symbol des Massakers. Unvergessen sind ihre Worte „Wir waren zu sechst, als das Feuer gelegt wurde. Sechs Frauen. Sie haben uns bei lebendigem Leib verbrannt“, die sich tief in das kollektive Bewusstsein der Linken in der Türkei eingebrannt haben.
Verhaftet wurde Birsen Kars 1992 als Studentin des Wirtschaftsingenieurwesens an der Universität Istanbul. Die damals 21-Jährige hatte an einer „illegalen Demonstration“ teilgenommen und war wegen „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Beim Gefängnismassaker wurde sie schwer verletzt und erlitt großflächige und tief gehende Verbrennungen an Kopf, Händen und Rücken. Fünf Monate lag sie im Krankenhaus, wurde in dieser Zeit acht Mal operiert. Auch nach ihrer Entlassung musste die Behandlung jahrelang fortgesetzt werden.
„Operation Rückkehr ins Leben“
Am 20. Oktober 2000 hatten 1.150 politische Gefangene in 48 Gefängnissen der Türkei einen Hungerstreik gestartet, um die Einführung von Typ-F-Gefängnissen zu verhindern. Bis zur Eröffnung dieser Gefängnisse mit einem Zellensystem mit Einzel- und kleineren Gemeinschaftszellen wurden Strafgefangene in der Türkei in kasernenähnlichen Hafträumen mit 20 bis 100 Personen untergebracht. Dies bot in erster Linie politischen und vor allem linken Bewegungen die Möglichkeit, ihren organisatorischen Zusammenhalt auch im Gefängnis aufrechtzuerhalten.
Nach 45 Tagen wurde der Hungerstreik in ein Todesfasten umgewandelt. In der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember 2000 stürmten 8.500 schwerbewaffnete Soldaten und Beamte der Militärpolizei, darunter auch speziell ausgebildete Spezialbataillone und Eliteeinheiten der Geheimdienste, 20 türkische Gefängnisse. Mindestens 30 Gefangene und zwei Soldaten, die ihren Wehrdienst in Haftanstalten leisteten, wurden getötet, mehrere hundert zum Teil schwerverletzt. Insgesamt 34 Menschen gelten bis heute als offiziell „verschwunden“. Während diesem militärischen Großangriff mit Präzisionsgewehren, Nachtsichtgeräten, Flammenwerfern, Panzern, Hubschraubern, Nerven-, Rauch- und Gasbomben, Bulldozern, Baggern, Vorschlaghämmern, Schweiß- und Bohrmaschinen wurden etwa 20.000 Tränengas-, Nerven-, Pfeffer- und Rauchbomben in die Gefängnisse geworfen.
Die parallel dazu in Metropolen protestierenden Angehörigen der Gefangenen wurden brutal in Einsatzbusse geprügelt und festgenommen. Vielerorts waren Journalist:innen vor den Gefängnissen vertrieben und die Haftzentren hermetisch abgeriegelt worden. Die Krankenhäuser wies man an, Betten freizuhalten. Um Mitternacht wurden sogar die Mobilfunkverbindungen von Turkcell und Telsim außer Betrieb genommen. Vollständig beendet wurde die Erstürmung der Gefängnisse erst am 22. Dezember 2000. Aufgeklärt wurde das Massaker bis heute nicht.