Die Situation in den Gefängnissen der Türkei ist gezeichnet von Unterdrückung, Repression und der Verletzung der Menschenwürde. Für kranke politische Gefangene ist die Lage besonders dramatisch. Trotz festgestellter Haftunfähigkeit durch unabhängige Gutachten werden sie nicht vorzeitig entlassen. Das Institut für Rechtsmedizin (ATK), eine dem Justizministerium unterstehende Einrichtung, nimmt eine Schlüsselfunktion bei der Legalisierung der ohnehin schon seit Jahren existierenden Rechtsverletzungen in türkischen Haftanstalten ein. Menschenrechtsorganisationen und Berufsverbände wie die Ärztekammern fordern seit Jahrzehnten, dass das Institut eine autonome Struktur erhält und jenseits des Justizministeriums angesiedelt wird. Denn die bestehende Struktur führt zur direkten Einmischung des Staates und stellt damit ein Hindernis für faire Verfahren und einen entsprechenden Umgang mit den Gefangenen dar. Skandalöse Entscheidungen wie im Fall der kurdischen Politikerin Aysel Tuğluk, die in Haft an einer fortschreitenden Alzheimer-Demenz erkrankt ist, vom ATK jedoch als haftfähig eingestuft wird, stehen charakteristisch für die Institutionalisierung von Menschenrechtsverletzungen an Gefangenen.
Laut Prof. Dr. Ümit Biçer, renommierter Forensiker und Vorstandsmitglied der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV), stehen die Entscheidungen des ATK im Widerspruch zu internationalen Konventionen. Die Rechtsmedizin in der Türkei würde ähnlich wie die Institution einer Militärjunta agieren, kritisiert der Experte. Vor allem unter dem AKP/MHP-Regime habe sich die Einrichtung zu einer vollkommen abhängigen Institution entwickelt, die vollständig „im Dienst der Herrschaft“ stehe. Aufgrund fehlerhafter Entscheidungen seien viele kranke Gefangenen in Haft gestorben. „Das ATK stellt menschenrechtlichen und wissenschaftlichen Grundsätzen widersprechende Gutachten aus und verfolgt eine politische und diskriminierende Entscheidungslogik“, hebt Biçer hervor.
Die ATK-Entscheidungen sind tödlich
Die Haltung des ATK trifft die kranken Inhaftierten am härtesten. Hunderte von Gefangenen, die sich aufgrund ihrer schlechten gesundheitlichen oder körperlichen Verfassung nicht selbst versorgen können, werden dem Tod überlassen, obwohl behandelnde Krankenhäuser ihre Haftunfähigkeit deutlich attestieren. Autopsien verstorbener Gefangener werden in Windeseile durchgeführt, der Zugang zu Obduktionsberichten wird Familienangehörigen und Rechtsanwälten verweigert. Obwohl keine Statistiken zu den vom ATK zu verantwortenden Rechtsverletzungen existieren, ist hinlänglich bekannt, dass in den letzten beiden Jahren mindestens 104 Gefangene in Haft gestorben sind. Die überwiegende Mehrheit dieser Häftlinge waren kranke Gefangene, die aufgrund von Gutachten des ATK nicht freigelassen worden waren.
Internationale Konventionen werden durch ATK verletzt
„In Zeiten, in denen der Staat demokratische Rechte und Freiheiten einschränkt und Sicherheitspolitik und terroristische Bedrohungen priorisiert, nehmen Berichte über Verletzungen der persönlichen Sicherheit, bis hin zu Folterwürfen zu. Es werden absolute Verbote verletzt und so internationale Konventionen gebrochen“, sagt Ümit Biçer. „Gefangene, ihre Angehörigen und Menschenrechtsorganisationen weisen seit Jahren darauf hin, dass in Vollzugsanstalten massive Verstöße mit der Dimension schwerer Menschenrechtsverletzungen und Folter stattfinden, die Zahl schwerkranker Gefangener gestiegen ist und ihnen der Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund der Pandemie unmöglich gemacht wurde und Insassen dem sicheren Tod überlassen werden. So nimmt die Todesstrafe eine neue Form an. Die letzten Todesfälle in den Gefängnissen bestätigen die Richtigkeit dieser Beobachtungen.“