Die Europäische Kommission hat Mittwoch umfassende Vorschläge zur Überarbeitung der EU-Versicherungsvorschriften („Solvency-II“) vorgelegt. „Europa braucht eine starke und dynamische Versicherungsbranche, die in unsere Wirtschaft investiert und uns bei der Bewältigung der Risiken unterstützt, mit denen wir konfrontiert sind“, sagte Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis. „Die Versicherungsbranche kann dank ihrer Doppelrolle als Schutzinstanz und Investor zum Grünen Deal und zur Kapitalmarktunion beitragen. Die heutigen Vorschläge werden dafür sorgen, dass die Vorschriften dank einer angemesseneren Ausgestaltung weiterhin ihren Zweck erfüllen.“
Die Vorschläge sollen bewirken, dass die Versicherungsunternehmen ihre langfristigen Investitionen erhöhen und zur Erholung Europas von der Covid-19-Pandemie beitragen können. Gleichzeitig soll die Versicherungsbranche besser für künftige Krisen gewappnet werden und so die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen besser schützen. Außerdem sollen für bestimmte kleinere Versicherungsgesellschaften vereinfachte und verhältnismäßigere Vorschriften eingeführt werden.
Versicherungsverträge sind für viele Menschen sowie für die Unternehmen in Europa von wesentlicher Bedeutung, denn sie schützen die Menschen im Falle unvorhergesehener Ereignisse vor finanziellen Verlusten. Versicherungsunternehmen spielen auch für die europäische Wirtschaft eine wichtige Rolle, da sie Ersparnisse in die Finanzmärkte und die Realwirtschaft lenken und so den Unternehmen in Europa langfristige Finanzmittel zur Verfügung stellen.
Die heutige Überarbeitung umfasst folgende Bestandteile:
- einen Gesetzgebungsvorschlag zur Änderung der Solvency-II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG),
- eine Mitteilung zur Überarbeitung der Solvency-II-Richtlinie,
- einen Gesetzgebungsvorschlag für eine neue Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen.
Umfassende Überarbeitung von Solvency-II
Die heute vorgeschlagene Überarbeitung soll es den europäischen Versicherern ermöglichen, einen größeren Beitrag zur Finanzierung der wirtschaftlichen Erholung zu leisten, die Kapitalmarktunion voranbringen und Mittel für den europäischen Green Deal bereitstellen. So könnte EU-weit kurzfristig Kapital in Höhe von rund 90 Milliarden Euro freigesetzt werden. Mit diesem Kapital könnten die (Rück-)Versicherer in ihrer Funktion als private Investoren einen größeren Beitrag zur Erholung Europas von der COVID-19-Pandemie leisten.
Die vorgesehenen Änderungen der Solvency-II-Richtlinie sollen zu einem späteren Zeitpunkt durch delegierte Rechtsakte ergänzt werden. In der heutigen Mitteilung führt die Kommission dieses Vorhaben näher aus.
Die Kernpunkte des heute vorgelegten Pakets sind:
- Die heutigen Änderungen werden dazu beitragen, dass die Verbraucher besser geschützt werden und dass die Versicherungsunternehmen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten solide bleiben.
- Die Verbraucher (d. h. Versicherungsnehmer) werden besser über die finanzielle Lage ihres Versicherers informiert.
- Dank einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden werden die Verbraucher beim Erwerb von Versicherungsprodukten in anderen Mitgliedstaaten besser geschützt.
- Die Versicherungsunternehmen erhalten Anreize, mehr in langfristiges Kapital für die Wirtschaft zu investieren.
- Die Einstufung der Finanzkraft der Versicherungsunternehmen wird bestimmten Risiken – etwa klimabezogenen Risiken – wirksamer Rechnung tragen und weniger stark von kurzfristigen Marktschwankungen beeinflusst werden.
- Die gesamte Branche wird genauer beaufsichtigt, um einer Gefährdung ihrer Stabilität vorzubeugen.
Vorschlag für eine Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen
Mit der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen soll sichergestellt werden, dass Versicherer und zuständige Behörden in der EU besser für erhebliche finanzielle Notlagen gewappnet sind.
Sie sieht ein neues Verfahren zur ordnungsgemäßen Abwicklung vor, dass die Versicherungsnehmer sowie die Realwirtschaft, das Finanzsystem und letztendlich auch die Steuerzahler besser schützt. Die nationalen Behörden werden besser für den Fall einer Zahlungsunfähigkeit von Versicherungsgesellschaften gewappnet sein.
Durch die Einrichtung von Abwicklungskollegien werden die zuständigen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden in der Lage sein, zeitnah und auf koordinierte Weise entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um Probleme grenzübergreifender (Rück-)Versicherungsgruppen zu lösen und die bestmöglichen Ergebnisse für die Versicherungsnehmer und die Wirtschaft insgesamt zu gewährleisten.
Die heutigen Vorschläge bauen umfassend auf fachlichen Empfehlungen vonseiten der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) auf. Sie tragen ferner den einschlägigen Arbeiten auf internationaler Ebene Rechnung, wobei auch europäische Besonderheiten berücksichtigt wurden.
Äußerungen aus dem Kollegium der Kommissionsmitglieder:
Die für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion zuständige Kommissarin Mairead McGuinness sagte: „Der heutige Vorschlag wird die Versicherungsbranche in die Lage versetzen, ihr Potenzial zur Unterstützung der EU-Wirtschaft auszuschöpfen. So ermöglichen wir Investitionen in die Erholung und darüber hinaus. Außerdem fördern wir die Teilnahme der Versicherungsunternehmen an den Kapitalmärkten der EU, sodass langfristige Investitionen bereitgestellt werden, die für eine nachhaltige Zukunft von großer Bedeutung sind. Die fortschreitende Kapitalmarktunion ist sehr wichtig für unsere grüne und digitale Zukunft. Dabei tragen wir auch der Verbraucherperspektive gebührend Rechnung. Somit können die Versicherungsnehmer sicher sein, dass sie in Zukunft besser geschützt sind, wenn ihr Versicherer in Schwierigkeiten gerät.“
Nächste Schritte
Die genannten Gesetzgebungsvorschläge werden nun im Europäischen Parlament und im Rat erörtert.
Hintergrund
Versicherungsschutz ist für viele Privathaushalte, Unternehmen und Finanzmarktteilnehmer von wesentlicher Bedeutung. Die Versicherungsbranche bietet auch Lösungen für das Ruhestandseinkommen und zur Investition von Ersparnissen in die Finanzmärkte und die Realwirtschaft.
Die Solvency-II-Richtlinie ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten. Die Kommission hat die Anwendung der Richtlinie überwacht und die Interessenträger ausführlich zu möglichem Anpassungsbedarf konsultiert.
Am 11. Februar 2019 ersuchte die Kommission die EIOPA offiziell um fachliche Empfehlungen zur Vorbereitung der Überarbeitung der Solvency-II-Richtlinie. Die fachlichen Empfehlungen der EIOPA wurden am 17. Dezember 2020 veröffentlicht.
Über den in der Richtlinie genannten Mindestumfang der Überprüfung hinaus hat die Kommission nach Konsultation der Interessenträger weitere Bereiche des Solvency-II-Rahmens ermittelt, die überprüft werden sollten, wie etwa der Beitrag der Branche zu den politischen Prioritäten der Europäischen Union (wie dem europäischen Green Deal und der Kapitalmarktunion), die Beaufsichtigung grenzüberschreitender Versicherungstätigkeiten und die Erhöhung der Verhältnismäßigkeit der Aufsichtsvorschriften, einschließlich der Berichterstattung.
EU-Kommission / 22.09.2021