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„Müssen schneller werden“

Roman Müller-Böhm (FDP)

Roman Müller-Böhm: „Ich habe gerade in der Corona-Zeit gemerkt, wie viel Positives man als Abgeordneter erreichen kann“

Der mit 28 Jahren jüngste Abgeordnete im Bundestag, Roman Müller-Böhm (FDP), zieht nach Ende der Wahlperiode eine gemischte Bilanz der Arbeit im Parlament. „Ich habe gerade in der Corona-Zeit gemerkt, wie viel Positives man als Abgeordneter erreichen kann“, „, sagte Böhm im Interview mit der Wochenzeitung “Das Parlament„ (Erscheinungstag der Themenausgabe “Vor der Wahl„: 20. September 2021). Andererseits werde im Bundestag “stur an bestimmten Ritualen festgehalten, die ein effizientes und zielführendes Arbeiten behindern„. Gesetzesvorlagen würden “Monate oder sogar Jahre zwischen Regierung und Parlament hin-und hergeschoben„, Anträge der Opposition dagegen von den Koalitionsfraktionen grundsätzlich abgelehnt. Gute Ideen scheiterten damit an “reinem Formalismus„, was nach Ansicht von Böhm vom “Soll-Zustand einer parlamentarischen Demokratie„ maximal abweicht.

Laut dem FDP-Politiker, der im neuen Bundestag nicht mehr vertreten sein wird, muss der Bundestag schneller zu Entscheidungen kommen und unabhängiger von der Bundesregierung agieren. “Der Ort der Entscheidungsfindung sollte das Parlament sein und nicht das Kanzleramt oder die Ministerien„. Böhm plädierte außerdem für  mehr fraktionsübergreifende Initiativen und eine Abkehr von “starren Koalitionsverträgen„ hin zu einem Bündnis von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP mit grundsätzlichen Einigungen in Bereichen wie Außenpolitik und Staatshaushalt.

Herr Müller-Böhm, vor vier Jahren sind Sie mit nur 24 Jahren als jüngster Abgeordneter in den Bundestag eingezogen. Wie würden Sie Ihre erste Legislatur in drei Worten zusammenfassen?

Spontan: Zwiespältig. Ausnahmezustand. Neue Erfahrungen.

Als wir damals miteinander sprachen, erzählten Sie mir, dass Sie bald Ihr erstes juristisches Staatsexamen ablegen wollen. Hat das geklappt?

Leider nicht. Die Wochen in Berlin und im Wahlkreis sind zu voll, um nebenbei noch 30, 40 Stunden zum Lernen aufzubringen. Das hätte ich in dem Umfang nicht erwartet. Aber da ich im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein werde, kann ich mich bald wieder um mein Studium kümmern. Als Direktkandidat der FDP in meinem Wahlkreis Oberhausen habe ich keine Chance auf einen Wiedereinzug und einen Listenplatz habe ich nicht bekommen.

Hätten Sie gern weitergemacht?

Das war natürlich mein Ziel. Ich habe die Arbeit als große Bereicherung empfunden und gerade in der Corona-Zeit gemerkt, wie viel Positives man als Abgeordneter erreichen kann. Aber innerhalb meiner Partei wurden Entscheidungen zu meinen Ungunsten getroffen und das akzeptiere ich.

Was sehen Sie als Ihren größten Erfolg an?

Im Tourismusausschuss haben wir zum Beispiel gemeinsam erreicht, dass die Bundesregierung bei ihren Hilfspaketen zur Bewältigung der Corona-Krise auch die Tourismusbranche berücksichtigt. Die ist bei den ersten Programmen komplett leer ausgegangen, obwohl sie früh stark betroffen war von der Pandemie. Das war ein wirklich schöner Moment zu sehen: Wir haben den notwendigen Druck aufgebaut, die Bundesregierung tut endlich was.

Sie haben auch ordentlich Kritik einstecken müssen. Ihnen wurde vorgeworfen, als Schatzmeister der Jungen Liberalen, Aufträge intransparent an Ihr eigenes Unternehmen vergeben zu haben. 2019 hieß es, Sie hätten Likes auf sozialen Netzwerken gekauft. Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?

Was den ersten Punkt betrifft, habe ich sowohl meine Aufgabe als Schatzmeister als auch meine Firmenanteile abgegeben. Zum zweiten Punkt äußere ich mich nach wie vor nicht öffentlich. Nur so viel: Es ist sicher nicht alles gut gelaufen und ich habe daraus gelernt. Unter anderem, dass ich auch andere Dinge jetzt mehr hinterfrage.

Welche?

Es wird meiner Meinung nach viel zu wenig darüber diskutiert, was wirklich produktiv und sinnvoll an der Arbeit im Bundestag ist. Stattdessen wird stur an bestimmten Ritualen festgehalten, die ein effizientes und zielführendes Arbeiten behindern.

Jetzt müssen Sie aber Beispiele nennen.

Nehmen Sie den Vorgang einer namentlichen Abstimmung: Da werfen wir Abgeordneten 20, 30 Minuten lang Karten in ein Behältnis. An manchen Sitzungstagen machen wir das sechs, sieben Mal. Was könnte man an Zeit sparen, wenn man das digital organisieren würde! So endet die Plenarsitzung statt um 21 Uhr schnell um Mitternacht. Die ständigen Nachtsitzungen machen die Arbeit aber auch nicht besser. Welches öffentliche Interesse wird dadurch befriedigt, dass wir um zwei Uhr nachts vollkommen übermüdet Debatten im Bundestag führen?

Wie sollen die Themen sonst behandelt werden?

Der Bundestag muss schneller zu Entscheidungen kommen. Die Entwicklungsgeschwindigkeit unserer Gesellschaft hat extrem zugenommen, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung. Krisen und globale Konflikte erfordern kurzfristige Reaktionen. Da geht es nicht, dass Gesetzesvorlagen Monate oder sogar Jahre zwischen Regierung und Parlament hin-und hergeschoben werden. Gleichzeitig sorgt die Koalitionsmehrheit häufig dafür, dass Anliegen der Opposition immer wieder von der Tagesordnung abgesetzt werden. Das weicht vom Soll-Zustand einer parlamentarischen Demokratie maximal ab.

Dass die Opposition es schwerer hat, ihre Themen durchzubringen, liegt doch aber in der Natur der Sache – Mehrheit entscheidet.

Naja, im Tourismusausschuss haben wir Fachpolitiker oft über die Fraktionsgrenzen hinweg einen guten Konsens gefunden. Aber im Plenum hat das keine Rolle mehr gespielt, da stimmen die Koalitionsfraktionen grundsätzlich gegen die Anträge der Opposition. Gute Ideen werden so aus reinem Formalismus nicht umgesetzt. Faktisch leben wir in einer Regierungsdemokratie. Weil jede mehrheitsfähige Vorlage im Bundestag von der Regierung oder aus einem Ministerium kommt, haben deren Fachreferenten oft mehr Einfluss auf einen Gesetzestext als wir, die Abgeordneten.

Wie kann das Ihrer Meinung nach anders gehen?

Der Ort der Entscheidungsfindung sollte das Parlament sein und nicht das Kanzleramt oder die Ministerien. Man sollte die Fachpolitiker hier machen lassen und offener sein für fraktionsübergreifende Initiativen. Ich würde mir ohnehin wünschen, dass wir wegkommen von starren Koalitionsverträgen hin zu einem Bündnis von CDU/CSU, SPD, Grünen und uns, das sich in grundsätzlichen Fragen wie der Außenpolitik und dem Staatshaushalt einigt. Bislang spiegeln die Entscheidungen im  Bundestag die Stimmenanteile der verschiedenen Parteien nur ungenügend wider.

Eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken lehnen Sie ab? Die AfD hat im Bundestag mehr Sitze als die FDP…

Es gibt viele Kollegen der Linken, die ich persönlich sehr schätze. Es gibt jedoch bei beiden Parteien grundlegende Differenzen, die eine Zusammenarbeit verhindern: das fehlende Bekenntnis zu EU und Nato sowie ein destruktives Verhalten gegenüber unserer Demokratie und sozialen Marktwirtschaft. Dies ist für mich nicht verhandelbar und mir erscheint eine Zusammenarbeit unter diesen Voraussetzungen unmöglich.

Das Durchschnittsalter der Abgeordneten liegt in der aktuellen Legislaturperiode bei 49,9 Jahren. Ist es ein Manko, dass so wenig junge Menschen im Parlament sitzen?

Grundsätzlich denke ich, dass 80-Jährige gute Politik für 20-Jährige machen können und umgekehrt. Andererseits sehe ich schon, dass viele Entscheidungen nicht im Sinne von jungen Menschen getroffen werden. Die Corona-Regeln belasten sie in besonderem Maße. Themen wie Staatsfinanzen, Schulden, die Zukunft unserer Sozialversicherungssysteme und Klimaschutz werden seit Jahren und Jahrzehnten nicht grundlegend angegangen. Trotzdem kann niemand sicher sagen, ob ein Parlament mit einem Durchschnittsalter von 25 automatisch bessere Entscheidungen für Jüngere treffen würde. Da spielen immer auch der allgemeine Zeitgeist und der politische Mainstream eine Rolle.

Welchen Rat würden Sie jungen Abgeordneten im neuen Bundestag mit auf den Weg geben?

Dass ich mit Ende 20 belehrende Ratschläge gebe, wollte ich immer vermeiden. Aber eines würde ich schon empfehlen: Mehr Mut! Folgt Eurem politischen Instinkt. Als Neuling im politischen Betrieb ist man anfangs oft eingeschüchtert und will keine Fehler machen. Ich habe gelernt, dass es besser ist, lieber einmal zu viel die Meinung gesagt zu haben als zu wenig.

Das Gespräch führte Johanna Metz.

Roman Müller-Böhm (FDP) sitzt seit 2017 im Deutschen Bundestag und ist Mitglied im Rechtsausschuss und im Tourismusausschuss.
 

Das Parlament / 20.09.2021

Foto: fdpbt

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