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Garzweiler-Paragraph im Kohleausstiegsgesetz verfassungswidrig

Rechtsgutachten

Es geht um den Paragraphen 48 im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG), der Garzweiler II als einzigen Tagebau Deutschlands für energiepolitisch und energiewirtschaftlich notwendig erklärt.

Die Sonderbehandlung des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II im Kohleausstiegsgesetz ist verfassungswidrig. Das zeigt ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Thomas Schomerus von der Universität Lüneburg im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland. Es geht um den Paragraphen 48 im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG), der Garzweiler II als einzigen Tagebau Deutschlands für energiepolitisch und energiewirtschaftlich notwendig erklärt. Ein rechtlicher Irrweg, wie sich jetzt zeigt: Der Garzweiler-Paragraph halte einer juristischen Prüfung nicht stand. Gesetzliche „Bedarfsfeststellungen” bedürfen einer eingehenden Begründung und Abwägung mit allen betroffenen Belangen. Nach dem Gutachten fehle es mit Blick auf den Garzweiler-Paragraphen hieran. Insbesondere beziehe die Regelung sich auf die inzwischen veraltete Ausgangslage aus dem Jahre 2016. Diese sei mit rechtlich verbindlichen Klimazielen unvereinbar.

Auch fehle eine Erfassung und Abwägung mit den Rechten und Belangen der betroffenen Menschen, die in den noch nicht abgebaggerten Dörfern leben und ihr Zuhause nicht aufgeben wollen. Wohngrundstücke können nur unter besonders erhöhten Anforderungen enteignet werden. Die Erforderlichkeit und der Bedarf seien im Falle des Paragraphen 48 aber weder begründet noch darstellbar. Mehrere energiewirtschaftliche Gutachten belegen außerdem, dass Deutschland seinen Beitrag zum 1,5 Grad Limit nicht einhalten kann, wenn der Tagebau Garzweiler bis 2038 betrieben und die Dörfer abgebaggert werden.

Die Klima-Allianz Deutschland fordert, dass spätestens eine neue Bundesregierung den Paragraphen 48 aus dem KVBG streicht und dafür Sorge trägt, dass der Kohleausstieg in Deutschland bis 2030 abgeschlossen wird.

Jasmin Ziemacki, Kohleexpertin der Klima-Allianz Deutschland, erklärt: „Die Fortführung des Tagebaus Garzweiler II bis 2038 ist nicht mit den neuen Klimazielen und klimarechtlichen Vorgaben vereinbar. Diese Planung entspricht nicht Deutschlands fairem Beitrag um das 1,5 Grad-Limit einzuhalten. Zudem greift die Bundesregierung hier ohne vorherige Prüfung auf unzulässige Weise in die Grundrechte der Menschen in den von Abbaggerung bedrohten Dörfern ein. Jetzt muss die nächste Bundesregierung ran und dafür sorgen, den Paragraphen 48 streichen zu lassen. Um die Klimakrise aufzuhalten, muss der Kohleausstieg beschleunigt und der Tagebau Garzweiler II vor den Dörfern gestoppt werden.”

Der Gutachter Prof. Dr. Schomerus bezeichnet den Garzweiler-Paragraphen im Gutachten als „evident unsachlich“: „Eine gesetzliche Bedarfsfeststellung bedarf einer belastbaren Begründung, einer Erforderlichkeitsprüfung und einer eingehenden Abwägung mit den Auswirkungen auf geschützte Grundrechte betroffener Bürgerinnen und Bürger. Hieran fehlt es. Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Spielraum mit dem Garzweiler-Paragraphen überdehnt. Dass die Weiterführung des Tagebaus und die Verstromung der dortigen Braunkohle mit den Klimazielen vereinbar ist, kann auf Grundlage der Gesetzesmaterialien und sonstigen Erkenntnisse und Gutachten nicht festgestellt werden. Die Annahmen in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung beruhen auf veralteten Annahmen und übersehen die Belange der im Abbaugebiet lebenden Menschen.”

Schomerus verweist auch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März, derzufolge das Bundes-Klimaschutzgesetz 2019 teilweise verfassungswidrig ist. Aufgrund des großen Anteils an CO2-Emissionen, die mit einer Verstromung der Garzweiler-Kohle einherginge, lässt sich schlussfolgern, dass der Weiterbetrieb des Tagebaus Garzweiler II ohne umfassendes Konzept anderweitiger CO2-Einsparung die Freiheitsrechte künftiger Generationen verletzt.

Die Solidargemeinschaft Menschenrecht vor Bergrecht erregte heute mit einer Lichtinstallation am Kraftwerk Neurath Aufsehen. „Menschenrecht vor Bergrecht“ ist eine Gemeinschaft von Anwohnern des Tagebaus Garzweiler II im Rheinischen Revier, deren Zuhause für den Braunkohleabbau weichen soll. Um den Tagebau Garzweiler weiterzuführen, braucht RWE das Gemeinschaftsgrundstück der Gruppe. Dass eine Abbaggerung der gefährdeten Dörfer für die Braunkohle in Zeiten des Klimawandels nicht mehr recht- und verfassungsgemäß sein kann, belegt das Gutachten von Prof. Schomerus. Daher lehnt die Gemeinschaft den Verkauf des Grundstückes ab und wird vor Gericht ziehen.


Hintergrund:
Der Tagebau Garzweiler II wird im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) im Paragraphen 48 Abs. 1 als energiepolitisch und energiewirtschaftlich notwendig erklärt. Damit bekommt der Konzern RWE zugesichert, den Tagebau bis 2038 komplett auskohlen zu können.

Das neue Bundes-Klimaschutzgesetz der großen Koalition macht mit seinen Einsparzielen für den Energiesektor einen deutlich schnelleren Kohleausstieg unumgänglich. Laut eines Gutachtens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dürfen im Tagebau Garzweiler II noch 70 Mio. Tonnen Braunkohle  gefördert werden, damit Deutschland seinen fairen Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Budgets des Pariser Klimaabkommens nicht übersteigt. Die aktuelle Braunkohlenplanung sieht jedoch noch über 600 Mio. Tonnen Braunkohle vor.

Klima-Allianz Deutschland / 09.09.2021

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