Am 29. Juli veröffentlichter Abschlussbericht der öffentlichen Untersuchung zum Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 schreibt dem maltesischen Staat eine Mitverantwortung für die Tat zu. Die staatlichen Institutionen hätten eine Atmosphäre der Straflosigkeit geschaffen und zudem die reale, unmittelbare Lebensgefahr für Caruana Galizia vor ihrem Tod missachtet und keine Schutzmaßnahmen ergriffen, heißt es in dem Bericht.
„Wir begrüßen die Ergebnisse der öffentlichen Untersuchung, die sich mit unseren Eindrücken decken. Die maltesische Regierung muss sich der Verantwortung stellen, die himmelschreienden Versäumnisse der Behörden im Fall Daphne Caruana Galizia aufzuarbeiten und Journalistinnen und Journalisten in Malta künftig aktiv und effektiv zu schützen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Nach unserem ersten Eindruck hat der Untersuchungsausschuss mit seinem Abschlussbericht erfreulicherweise seine Unabhängigkeit von den maltesischen Behörden unter Beweis gestellt. In den kommenden Tagen werden wir den Bericht weiter analysieren.“
Der detaillierte Bericht umfasst 437 Seiten in maltesischer Sprache und wurde von einem dreiköpfigen Untersuchungsausschuss verfasst, bestehend aus dem pensionierten Richter Michael Mallia, dem ehemaligen Obersten Richter Joseph Said Pullicino und der Richterin Abigail Lofaro. Ihr Fazit: „Obwohl es keinen Beweis dafür gibt, dass der Staat per se eine Rolle bei der Ermordung von Daphne Caruana Galizia gespielt hat, muss der Staat … die Verantwortung für die Ermordung übernehmen, da er eine Atmosphäre der Straflosigkeit geschaffen hat, generiert von den höchsten Ebenen im Herzen der Verwaltung des Büros des Premierministers.“ Im Jahr 2017 war Joseph Muscat Premierminister Maltas; er trat im Januar 2020 wegen Vorwürfen zurück, er habe an dem Mord Beteiligte geschützt.
Fast zwei Jahre lang hatte sich RSF gemeinsam mit der Familie von Caruana Galizia und ihrem Anwaltsteam sowie einer Koalition internationaler NGOs intensiv für die Einrichtung einer unabhängigen öffentlichen Untersuchung („public inquiry“) eingesetzt, die klären sollte, welche Rahmenbedingungen den Mord ermöglicht hatten. Die Regierung von Ex-Premier Muscat zögerte die Maßnahme immer wieder heraus, bis kurz vor Ablauf einer dreimonatigen Frist, die die Parlamentarische Versammlung des Europarats dem maltesischen Staat im Juni 2019 in einer Resolution gesetzt hatte.
Im Juli 2020 beschrieb die internationale Sprecherin von RSF, Pauline Adès-Mével, in einer Anhörung im Rahmen der öffentlichen Untersuchung besorgniserregende Entwicklungen in Malta, die RSF schon in den Monaten vor der Ermordung beobachtet hatte und die klar zeigen, dass die Tat hätte verhindert werden können, wären rechtzeitig die richtigen Schutzmaßnahmen ergriffen worden. RSF reichte zudem gemeinsam mit acht weiteren NGOs eine schriftliche Stellungnahme für die öffentliche Untersuchung ein.
Wie Rebecca Vincent, RSF-Direktorin für internationale Kampagnen, Anfang dieser Woche in Malta gegenüber The Shift News sagte, könnte die Arbeit des public inquiry als Vorbild für die Aufarbeitung von Verbrechen gegen Medienschaffende in anderen Ländern dienen und mithelfen, Journalistinnen und Journalisten in Zukunft besser zu schützen.
In Malta beobachtete Vincent diese Woche zudem eine Gerichtsanhörung im Verfahren gegen den mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes, Geschäftsmann Yorgen Fenech, in der Daphne Caruana Galizias Sohn Matthew aussagte. Matthew Caruana Galizia, selbst Journalist, beschrieb, wie seine Mutter vor der Tat gemeinsam mit ihm zu mutmaßlichen illegalen Geschäften Fenechs recherchiert hatte, welchem Druck sie sich ausgesetzt fühlte und welche Vorsichtsmaßnahmen sie beide aus Sicherheitsgründen getroffen hatten.
„Auch wenn die Ergebnisse der öffentlichen Untersuchung ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Gerechtigkeit für Daphne Caruana Galizia und ihre Familie sind, dürfen wir nicht vergessen, dass es sich um einen vom Strafverfahren getrennten Vorgang handelt. Es ist nach wie vor unerlässlich, das laufende Strafverfahren genau zu beobachten und sicherzustellen, dass alle an diesem abscheulichen Attentat Beteiligten vor Gericht gestellt werden“, sagte Vincent.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Malta Platz 81 von 180 Ländern. Seit der Ermordung von Caruana Galizia im Jahr 2017 ist das Land um 34 Plätze abgerutscht.
RSF / 30.07.2021