Die Europäische Kommission hat heute Donnerstag das EU-Justizbarometer 2021, den Jahresüberblick über die Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit der Justizsysteme in allen Mitgliedstaaten, veröffentlicht. In etwa zwei Fünfteln der Mitgliedstaaten wird die Unabhängigkeit der Justiz von der Öffentlichkeit skeptischer beurteilt. Der am häufigsten genannte Grund für die als unzulänglich wahrgenommene Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern ist Einmischung bzw. Druck durch Regierungen und Politiker. Im Mittelpunkt des diesjährigen Justizbarometers steht die Digitalisierung der Justiz, die es den Gerichten ermöglicht hat, ihre Arbeit während der COVID-19-Pandemie fortzusetzen, und durch die sich allgemein die Leistungsfähigkeit der Justizsysteme und der Zugang zur Justiz verbessert hat.
Die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin der Kommission Věra Jourová sagte: „Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten ihre Justizsysteme modernisieren müssen. Das Justizbarometer zeigt, dass die Gerichte in den meisten Mitgliedstaaten bereits unterschiedliche digitale Lösungen zugunsten der Bürgerinnen und Bürger nutzen, dass es aber durchaus noch Raum für Verbesserung gibt. Mich beunruhigt, dass in den Augen der Bevölkerung die Unabhängigkeit der Justiz in einigen Ländern während der Pandemie weiter abgenommen hat. Politiker sollten der Versuchung widerstehen, den Druck auf unabhängige Richter mit der Pandemie zu entschuldigen.”
„Das EU-Justizbarometer ist eine Säule unserer Politik, mit der wir Qualität und Modernisierung der Justizsysteme in der EU gewährleisten wollen,“ so EU-Justizkommissar Didier Reynders. „Dieses Analyseinstrument bietet wertvolle Einblicke in die Justizsysteme der Mitgliedstaaten. Seine Ergebnisse werden auch in unseren Bericht über die Rechtsstaatlichkeit einfließen, den wir in Kürze vorlegen werden. Im Mittelpunkt des EU-Justizbarometers 2021 stehen die Digitalisierung der Justizsysteme und die Unabhängigkeit der Justiz – zwei wichtige Triebkräfte unserer Justizpolitik. Die Neuerungen in der Ausgabe von 2021 legen Chancen und Risiken offen und ermöglichen eine sinnvollere politische Debatte über die Justizpolitik in der Union. Diese ist nötiger denn je.“
Die wichtigsten Ergebnisse des Justizbarometers 2021 im Überblick:
- Digitalisierung der Justizsysteme: Das Justizbarometer liefert erstmals eine Bestandsaufnahme, wie weit die digitale Transformation in den Justizbehörden fortgeschritten ist – ein zunehmend wichtiger Aspekt besonders vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie. Die Ergebnisse zeigen, dass in fast allen Justizsystemen Videokonferenzsysteme genutzt werden und dass das Personal in den allermeisten Mitgliedstaaten geschützt im Homeoffice arbeiten kann. Was die Nutzung digitaler Lösungen wie Blockchain oder künstliche Intelligenz anbelangt, so werden diese von den meisten Mitgliedstaaten bereits genutzt, wenn auch in unterschiedlichem Maß; da ist noch viel Luft nach oben.
- Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Justiz in der Bevölkerung nach wie vor problematisch: In zwei Dritteln der Mitgliedstaaten hat sich die Unabhängigkeit der Justiz seit 2016 nach Ansicht der Öffentlichkeit verbessert. Jedoch ist im Vergleich zum Vorjahr festzustellen, dass in etwa zwei Fünfteln der Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Justiz skeptischer beurteilt wird. Der am häufigsten genannte Grund für die als unzulänglich wahrgenommene Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern ist Einmischung bzw. Druck durch Regierungen und Politiker.
- Unabhängigkeit der obersten nationalen Gerichte: Das Justizbarometer enthält zwei neue Indikatoren, die einen Überblick über die Stellen und Behörden geben, die an der Ernennung von Richtern an den obersten Gerichten beteiligt sind. Als letztinstanzliche Gerichte sind die obersten Gerichte von entscheidender Bedeutung für die einheitliche Anwendung des Rechts in den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten müssen das Ernennungsverfahren so gestalten, dass richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleistet sind. Das Unionsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass Richter nach ihrer Ernennung bei der Ausübung ihres Amtes keinem Druck ausgesetzt sind und keinen Weisungen der Ernennungsbehörde unterliegen.
Nächste Schritte
Die im EU-Justizbarometer enthaltenen Angaben tragen zum Monitoring im Rahmen des Europäischen Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit bei und fließen in den jährlichen Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit ein.
Hintergrund
Das im Jahr 2013 erstmals erschienene EU-Justizbarometer ist Teil des Instrumentariums der EU zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, mit dem die Kommission die Justizreformen in den Mitgliedstaaten begleitet. Das Justizbarometer konzentriert sich auf die drei Hauptbausteine eines leistungsstarken Justizsystems:
- Effizienz: Indikatoren für Verfahrensdauer, Verfahrensabschlussquote und Zahl der anhängigen Verfahren
- Qualität: Indikatoren für die Zugänglichkeit der Justiz, wie z. B. Prozesskostenhilfe und Gerichtsgebühren, Schulungen, finanzielle und personelle Ausstattung und Digitalisierung
- Unabhängigkeit: Indikatoren für die Wahrnehmung der richterlichen Unabhängigkeit in der breiten Öffentlichkeit und in Unternehmen, den Schutz von Richtern und die Garantien in Bezug auf die Arbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden
Wie in früheren Ausgaben werden in der Ausgabe 2021 Daten aus zwei Eurobarometer-Umfragen vorgestellt, in denen es darum geht, wie die Unabhängigkeit der Justiz in den einzelnen Mitgliedstaaten von der Öffentlichkeit und den Unternehmen wahrgenommen wird.
Die Ergebnisse des EU-Justizbarometers 2021 sind in die länderspezifische Bewertung im Rahmen des Europäischen Semesters 2021 und in die Bewertung der Resilienz- und Aufbaupläne der Mitgliedstaaten eingeflossen, in denen die aus der Aufbau- und Resilienzfazilität zu finanzierenden Investitions- und Reformmaßnahmen aufgeführt sind. Aus der Aufbau- und Resilienzfazilität werden mehr als 670 Mrd. Euro an Darlehen und Zuschüssen bereitgestellt, von denen jeder Mitgliedstaat mindestens Prozent der digitalen Transformation vorbehalten muss. Das EU-Justizbarometer 2021 spielt auch eine Rolle bei der Bewertung der Mittelzuweisung im Rahmen von NextGenerationEU.
Die Verbesserung der Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit der nationalen Justizsysteme gehört nach wie vor zu den Prioritäten des Europäischen Semesters. In der Jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum 2021, in der die strategischen Leitlinien für die Implementierung der Aufbau- und Resilienzfazilität festgelegt sind und mit der sichergestellt wird, dass sich die neue Wachstumsagenda auf eine ökologische, digitale und nachhaltige Erholung stützt, wird auf die Verbindung zwischen leistungsfähigen Justizsystemen und dem Unternehmensumfeld in den Mitgliedstaaten hingewiesen.
EU-Kommission / 08.07.2021