Die Wirtschaft in Europa erholt sich schneller als erwartet: Zu diesem Schluss kommt die Europäischen Kommission in ihrer Sommerprognose, die sie Mittwoch in Brüssel vorgestellt hat. „Der europäischen Wirtschaft gelingt ein starkes Comeback, und alle Komponenten greifen dabei nahtlos ineinander. Dank einer wirksamen Eindämmungsstrategie und Fortschritten bei den Impfungen konnten unsere Volkswirtschaften schneller wieder öffnen als erwartet“, sagte Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission. „Der Handel ist recht stabil geblieben, und auch die Haushalte und Unternehmen haben sich bei der Anpassung an das Leben in der COVID-19-Krise flexibler gezeigt als erwartet.“
Schnelleres Wirtschaftswachstum dank Öffnung der Wirtschaft und Aufhellung der Stimmungsindikatoren
Laut Sommerprognose 2021 soll die Wirtschaft in der EU und im Euroraum in diesem Jahr um 4,8 Prozent und im Jahr 2022 um 4,5 Prozent wachsen. Im Vergleich zur Frühjahrsprognose wurde die Wachstumsrate für das Jahr 2021 deutlich (+0,6 Prozentpunkte in der EU und +0,5 Prozentpunkte im Euroraum) und für das Jahr 2022 leicht (+0,1 Prozentpunkte für beide Gebiete) nach oben korrigiert. Das reale BIP dürfte sowohl in der EU als auch im Euroraum im Schlussquartal 2021 wieder zum Vorkrisenniveau zurückfinden. Im Euroraum ist dies somit ein Quartal früher der Fall als in der Frühjahrsprognose erwartet.
Mehrere Faktoren tragen zu dem erwarteten Wachstum bei. Erstens übertraf die Konjunktur im ersten Quartal des Jahres die Erwartungen. Zweitens führten eine wirksame Strategie zur Eindämmung des Virus und die Fortschritte bei den Impfkampagnen zu sinkenden Zahlen bei den Neuinfektionen und Krankenhausaufnahmen, sodass die EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschaften im Folgequartal wieder öffnen konnten. Diese Öffnung macht sich insbesondere in der Dienstleistungsbranche positiv bemerkbar. Optimistische Umfrageergebnisse bei Verbrauchern und Unternehmen sowie Mobilitätsdaten deuten darauf hin, dass der private Konsum bereits wieder stark anzieht. Darüber hinaus gibt es Anzeichen für eine Wiederbelebung des Tourismus innerhalb der EU; ein Trend, der sich mit dem Inkrafttreten des neuen digitalen COVID-Zertifikats der EU am 1. Juli weiter verstärken dürfte. Wenn man diese Faktoren zusammen betrachtet, dürften sie gegenüber den negativen Auswirkungen der vorübergehenden Knappheit an Baukomponenten und der steigenden Kosten in Teilen des verarbeitenden Gewerbes überwiegen.
Privater Verbrauch und Investitionen werden sich wohl als die wichtigsten Wachstumsmotoren erweisen und von der Beschäftigungslage, die sich parallel zur Wirtschaftstätigkeit entwickeln dürfte, profitieren. Ein starkes Wachstum bei den wichtigsten Handelspartnern der EU dürfte den Warenausfuhren der EU zugutekommen; die Dienstleistungsexporte dürften dagegen unter den weiterhin bestehenden Beschränkungen im internationalen Tourismus leiden.
Es wird davon ausgegangen, dass die Aufbau- und Resilienzfazilität das Wachstum signifikant steigern hilft und mit dem durch sie generierten Wohlstand im Prognosezeitraum etwa 1,2 Prozent zum realen BIP 2019 der EU beitragen wird. Der erwartete Umfang dieses Wachstumsimpulses bleibt gegenüber der vorherigen Prognose weitgehend unverändert, da die Informationen aus den in den vergangenen Monaten offiziell vorgelegten Aufbau- und Resilienzplänen die im Frühjahr vorgenommene Bewertung weitgehend bestätigen.
Leichter Anstieg der Inflation, aber Verlangsamung im Jahr 2022
Auch die Inflationsprognose wurde für dieses und für das nächste Jahr nach oben korrigiert. Steigende Energie- und Rohstoffpreise, Produktionsengpässe aufgrund von Kapazitätsproblemen und die Knappheit bei einigen Baukomponenten und Rohstoffen dürften bei der gleichzeitig starken Nachfrage im In- und Ausland in diesem Jahr für einigen Aufwärtsdruck bei den Verbraucherpreisen sorgen. Im Jahr 2022 dürfte sich dieser Druck allmählich abschwächen, wenn sich die Produktionsengpässe auflösen und Angebot und Nachfrage stärker konvergieren.
Dementsprechend wird die Inflation in der EU nun auf durchschnittlich 2,2 Prozent in diesem Jahr (+0,3 Prozentpunkte gegenüber der Frühjahrsprognose) und auf 1,6 Prozent im Jahr 2022 (+0,1 Prozentpunkte) geschätzt. Für den Euroraum werden im Jahr 2021 1,9 Prozent (+0,2 Prozentpunkte) und im Jahr 2022 1,4 Prozent (+0,1 Prozentpunkte) erwartet.
Erhebliche Risiken
Die Wachstumsaussichten sind mit hohen Ungewissheiten und Risiken behaftet, die insgesamt aber ausgewogen bleiben.
Die Risiken im Zusammenhang mit dem Aufkommen und der Ausbreitung von COVID-19-Varianten unterstreichen die Bedeutung einer weiteren Beschleunigung der Impfkampagnen. Wirtschaftliche Risiken sind insbesondere mit der Frage verbunden, wie Privathaushalte und Unternehmen auf Änderungen der Beschränkungen reagieren.
Die Inflation könnte höher ausfallen als in der Prognose angenommen, falls die Angebotsengpässe länger anhalten und der Preisdruck stärker auf die Verbraucherpreise durchschlägt.
Hintergrund
Die Prognose basiert auf einer Reihe technischer Annahmen in Bezug auf Wechselkurse, Zinssätze und Rohstoffpreise mit Stichtag 26. Juni. Bei allen anderen herangezogenen Daten, wie etwa den Annahmen zu staatlichen Maßnahmen, wurden in dieser Prognose Informationen bis einschließlich 28. Juni berücksichtigt. Den Projektionen liegt die Annahme einer unveränderten Politik zugrunde, es sei denn, es wurden glaubwürdig konkrete neue politische Maßnahmen angekündigt.
Die Europäische Kommission veröffentlicht jedes Jahr zwei umfassende Prognosen (im Frühjahr und im Herbst) und zwei Zwischenprognosen (im Winter und im Sommer). Die Zwischenprognosen enthalten jährliche und vierteljährliche BIP- und Inflationszahlen für das laufende und das folgende Jahr für alle Mitgliedstaaten sowie die aggregierten Zahlen für die EU insgesamt und für das Euro-Währungsgebiet.
EU-Kommission / 07.07.2021