Der Klimawandel führt zu psychischen Belastungen. Das hat mehrere Ursachen: Erstens ist da die Angst vor einer unsicheren Zukunft mit erheblichen Unwägbarkeiten, Wohlstandsverlust und Verteilungskämpfen. Zweitens sind immer mehr Menschen von Extremwetterereignissen wie im Ahrtal persönlich betroffen. Drittens aber setzen auch Umweltprobleme wie zunehmende Hitze und Luftverschmutzung den Menschen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu. Die DZPG-Sprecher Professor Andreas Heinz und Professor Andreas Meyer-Lindenberg benennen Auswege: Das DZPG will die Interaktion zwischen Umwelt und psychischer Gesundheit besser erforschen und auf der Basis neue Behandlungs- und Präventionsansätze entwickeln.
Die Forschung über seelische Wirkungen von Umweltproblemen fängt längst nicht bei null an. Denn bekannt ist: „Naturkatastrophen gehen mit einem Anstieg von Depressionen, Angst- und Traumafolgestörungen einher“, so DZPG-Sprecher Meyer-Lindenberg. Dieser Anstieg sei vor allem in Gebieten zu beobachten, in denen viele Menschen von einer Katastrophe wie Hochwasser direkt betroffen seien wie zuletzt im Ahrtal, im Saarland oder in Bayern, aber auch darüber hinaus. Das sei beispielsweise aus der Zeit nach Hurrikan „Katrina“ gut erforscht.
Zu den Traumafolgestörungen kommen indirekte Folgen des Klimawandels wie Nahrungsmittelknappheit, ökonomische Krisen, gewaltvolle Konflikte und unfreiwillige Migration. Auch sie sind psychische Risiko- und Belastungsfaktoren, die schon vor ihrem Eintreten zu Unsicherheit und Angst, danach zudem zu Traumata führen können.
Erderwärmung, Plastik, Überfischung: Rückzug vor der Masse der Probleme wird schwieriger
Zu den Folgen der gegenwärtig schon spürbaren ökologischen Krise kommen neben diesen beiden Faktoren noch die Trauer über den Verlust einer intakten Umwelt („Solastalgie“) und die Angst vor einer ungewissen Zukunft, auch „Klimaangst“ genannt. DZPG-Sprecher Andreas Heinz konkretisiert: „Die Menschheit steht ja nicht nur vor dem Problem der Erderwärmung und ihren Folgen. Dazu kommt der Verlust der Biodiversität, die Plastik-Krise der Meere, Überfischung, die Überdüngung der Böden und der schlechte Zustand der Wälder. Egal, wohin der Mensch blickt: Er sieht die Zerstörung von Lebensräumen, die in der Vergangenheit unbeschwerte Naturerlebnisse bieten konnten. Das erschwert Entspannung und belastet die Seele, und hier müssen wir als DZPG weiter forschen: Was erhöht die Resilienz? Wer ist besonders gefährdet?“ Ohne Prävention und wirksame Tools gegen die psychischen Folgen der Umweltzerstörung drohten nicht zuletzt erhebliche wirtschaftliche Schäden durch psychische Erkrankungen.
Auch in der Versorgung gibt es noch Fragen. „Auch wenn Symptome wie Angststörungen oftmals gut therapierbar sind: Das Grundproblem, der Zustand der Umwelt, ist kein traumatisches Erlebnis in der Vergangenheit, sondern eine rationale Sorge“, führt Andreas Heinz aus. Denn anders als zum Beispiel eine gewaltgeprägte Kindheit, die die Betroffenen hinter sich lassen können, hört die Umweltzerstörung nicht auf, räumliche oder zeitliche Distanz stehen als therapeutische Hilfsmittel nicht zur Verfügung.
Ökologischer Handabdruck kann Resilienz steigern
Ausgeliefert sei man seinen Gefühlen aber schon heute nicht, sagt Meyer-Lindenberg. Ein Weg kann sein, den eigenen „ökologischen Handabdruck“ zu vergrößern und sich seine Gestaltungsspielräume bewusst zu machen. „Sinnvolle Arbeit oder Ehrenämter, die der Umweltkrise etwas entgegensetzen und eine Lebensweise, die die Probleme der Gegenwart nicht ignoriert, können ein wirksamer Schritt gegen Verzweiflung sein.“ Zwar könne man die Umweltkrise nicht im Alleingang lösen, aber der Versuch, mit dem eigenen Verhalten und Tatkraft gegen die Umweltkrise zu wirken, kann die eigene seelische Resilienz erhöhen.
One Mental Health Hub
Der One-Health-Ansatz der WHO untersucht die Zusammenhänge zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und ihrer gemeinsamen Umwelt. Während sich dies derzeit auf die körperliche Gesundheit konzentriert, erweitert das DZPG dieses Konzept auf die psychische Gesundheit und wird hier die Interaktion mit der Umwelt besser erforschen und auf dieser Basis neue Behandlungs- und Präventionsansätze entwickeln. Dreh- und Angelpunkt der Forschungsaktivitäten ist der One Mental Health Hub, welcher planmäßig 2025 gegründet werden soll.
Über das DZPG
Seit Mai 2023 arbeiten im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) Expertinnen und Experten daran, durch gemeinsame Forschung die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. An sechs Standorten in Deutschland wirken hierfür Forscherinnen und Kliniker gemeinsam mit Expertinnen aus Erfahrung, also Betroffenen und ihnen Nahestehenden, sowie internationalen Wissenschaftlern zusammen. Unter www.dzpg.org finden Interessierte Informationen zur Organisation, zu Forschungsprojekten und Zielen sowie informative Texte und hilfreiche Links rund um das Thema psychische Gesundheit.
Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) / 02.09.2024
Foto: DZPG