Drohender Angriff auf Arzach (Berg-Karabach):
- Anzeichen für geplante Eskalation durch Aserbaidschan verdichten sich
- Bundesregierung muss Signale ernstnehmen
- Lemkin-Institut warnt vor massiver Gewalt
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt vor einem bevorstehenden Angriff Aserbaidschans auf das mehrheitlich armenische Arzach (Berg-Karabach): „Nach Angaben aus Armenien wurden heute Nacht gegen 1:30 Uhr wieder armenische Soldaten beschossen, in Norabak in der Provinz Gegharkunik. Schon am 1. September starben vier armenische Soldaten bei einem ähnlichen Angriff“, berichtete GfbV-Osteuropaexpertin Sarah Reinke heute in Göttingen. „Die Bundesregierung sollte diese Signale sehr ernst nehmen. Ja, es hat auch in den vergangenen Jahren immer wieder Scharmützel gegeben. Doch aktuell ist die Lage brandgefährlich.“ Durch die seit über acht Monaten andauernde Blockade Arzachs sei Armenien geschwächt. In einem Brief der GfbV an Bundeskanzler Olaf Scholz appelliert die Menschenrechtsorganisation, die Bundesregierung möge die sofortige Aufhebung der Blockade fordern.
Konkrete Anzeichen für eine geplante Eskalation habe es bereits Mitte August gegeben: „Präsident Alijew hat ein neues Dekret unterzeichnet, das alle Staatsbürger ab 18 Jahren verpflichtet, sich zwischen dem 1. Oktober und dem 31. Oktober 2023 zum Militärdienst zu melden“, so Reinke. „Außerdem hat Aserbaidschan seine Truppen entlang der gesamten Kontaktlinie mit Arzach konzentriert.“ Vor einem Krieg warnt auch das renommierte Lemkin-Institut. Demnach könne ein militärischer Angriff auf Arzach zu einem Massenmord im Sinne eines Genozids führen. „Eine Vertreibung der Armenier aus Arzach würde nicht nur eine enorme Flüchtlingsbewegung auslösen, die die Region weiter destabilisieren könnte. Es würde auch zur genozidalen Zerstörung eines Volkes führen, da die Armenier ihre eigene Identität als Arzacher verlieren, eine Identität, die sich über Jahrhunderte, ja Jahrtausende unabhängiger kultureller Blüte in ihren Bergen und Tälern geformt hat“, führt das Institut aus.
Daher fordert die GfbV in ihrem heutigen Brief an Bundeskanzler Scholz auch dessen Initiative für eine von der EU zu organisierende, humanitäre Luftbrücke, um die Menschen in Arzach zu versorgen. Ein unabhängiges Untersuchungsteam solle die aktuelle Situation dort dokumentieren. Die Bundesregierung müsse endlich alle diplomatischen Maßnahmen ergreifen, um die Alijew-Regierung mit Sanktionen zu belegen. „Üben Sie Druck auf Aserbaidschan aus, damit es seine Drohungen gegen die Bevölkerung von Arzach und Armenien unverzüglich einstellt und einen nationalen Mechanismus zur Verhinderung des Völkermordes als notwendige Voraussetzung für jegliche ausländische Hilfe einsetzt“, heißt es in dem Brief weiter.
Seit über acht Monaten blockiert Aserbaidschan den Latschin Korridor und damit die Versorgung der 120.000 Bewohner Arzachs. Die humanitäre Lage vor Ort wird immer verzweifelter, insbesondere für Kranke, Alte und Kinder.