Die vietnamesischen Behörden haben offenbar die Seite der Tageszeitung taz gesperrt. Laut Quellen der Zeitung und einer Überprüfung von Reporter ohne Grenzen (RSF) ist taz.de derzeit in Vietnam nicht aufrufbar. Die Redaktion hatte gerade Recherchen über eine mögliche drohende Entführung einer vietnamesischen Staatsbürgerin durch den vietnamesischen Geheimdienst in Deutschland veröffentlicht. Um sich gegen die Zensur des Regimes zu wehren, macht RSF die Webseite der taz über das Projekt Collateral Freedom wieder zugänglich.
„Das vietnamesische Regime geht systematisch gegen kritische Berichte im In- und Ausland vor und setzt dafür verschiedene Taktiken ein“, sagte Helene Hahn, RSF-Referentin für Internetfreiheit. „Wir verurteilen die Sperrung von taz.de aufs Schärfste. Scheinbar hat das Regime in Hanoi Angst vor kritischen Recherchen. Wir entsperren die Seite und machen sie für die Leserinnen und Leser in Vietnam wieder verfügbar.“
Die Zeitung berichtete am Mittwoch, dass die Webseite in dem Land nur noch mit spezieller Software zur Umgehung von Zensur aufrufbar sei, etwa mithilfe eines VPN. Ohne solche Software wird die Verbindung zur Website zurückgesetzt und ein Zugriff ist nach RSF-Informationen nicht möglich.
Mit dem Projekt Collateral Freedom unterstützt RSF von Zensur betroffene Medien weltweit. RSF umgeht staatliche Zensur durch die Erstellung einer exakten Kopie beziehungsweise eines Spiegels („Mirror“) der betroffenen Medien-Website. Diese Kopie wird auf internationalen Servern bzw. Content Delivery Networks (CDNs) platziert. Diese hosten auch viele andere Dienste und können daher nicht so leicht blockiert werden. Wenn autoritäre Regierungen CDNs direkt angreifen, blockieren sie dadurch auch ihren eigenen Zugang zu allen anderen von CDNs bereitgestellten Diensten. Der drohende Kollateralschaden hält die Regime von diesem nächsten drastischen Schritt ab.
Es ist nicht das erste Mal, dass die vietnamesischen Behörden in Deutschland ansässige kritische Medien und Journalisten einschränken. So berichtete RSF bereits 2018, dass Facebook-Beiträge von im Exil lebenden vietnamesischen Bloggern wegen angeblicher Verletzungen der Community Standards gelöscht wurden. Die Organisation ging damals von einem politischen Hintergrund aus.
Im Oktober 2020 wurden in Vietnam zudem vier Facebook-Beiträge des in Deutschland lebenden Journalisten Trung Khoa Le „aufgrund lokaler rechtlicher Beschränkungen“ in Vietnam blockiert. Sie enthielten Links zu regierungskritischen Artikeln deutscher Medien, darunter auch die deutsche Seite von Reporter ohne Grenzen. Trung Khoa Le betreibt die in Berlin ansässige deutsch-vietnamesische Nachrichtenseite thoibao.de.
Ende vergangenen Jahres beanspruchte ein RSF unbekanntes Unternehmen das Urheberrecht an von thoibao.de produzierten Videos auf Facebook. Dadurch flossen die mit den Videos generierten Werbeeinnahmen an dieses Unternehmen statt an Thoibao. RSF kritisierte damals auch die schleppende Reaktion von Facebook.
Mit mindestens 41 inhaftierten Journalistinnen und Journalisten rangiert Vietnam derzeit an dritter Stelle auf der Liste der Länder, in denen die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen. Nur in China und Myanmar sind es mehr.
Eine rund 10.000 Personen starke „Cyber-Armee“ unter dem Kommando des Ministeriums für öffentliche Sicherheit spürt zudem „Verstöße“ und „reaktionäre Kräfte“ in den sozialen Netzwerken auf – also alle Kräfte, die in Opposition zur vietnamesischen Regierung stehen. RSF zählt diese sogenannte „Force 47“ zu den größten Feinden des Internets.
Reporter ohne Grenzen e.V. / 11.08.2023
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