- Der gesamte Bewegungsapparat leidet unter zu langem Sitzen in starrer Position, vor allem die Rückengesundheit. Am Arbeitsplatz kann das zu langwierigen Problemen führen.
- Gerade öffentliche Einrichtungen tragen eine Vorbildfunktion für andere Arbeitgeber und sollten ihren Mitarbeitern eine ergonomische Büroausstattung anbieten.
- Ausschreibungen wie die der Stadt Offenbach umfassen in den Vergabekriterien mittlerweile das renommierte Gütesiegel der Aktion Gesunder Rücken e. V.
Der Mensch ist nicht fürs Sitzen gemacht. Dennoch verbringen viele von uns endlose Stunden damit – insbesondere während der Arbeitszeit. Die Folgen: Verspannungen und Rückenschmerzen. Damit es gar nicht erst so weit kommt, sieht die Aktion Gesunder Rücken (AGR) e. V. die Arbeitgeber in der Pflicht, mehr auf Ergonomie zu achten und ihre Mitarbeiter zu unterstützen. Positiv ist, dass dieses Kriterium immer mehr Gewicht bekommt – in Unternehmen, aber auch in Ausschreibungen öffentlicher Einrichtungen.
Der Weg ins Büro ist nur 30 Schritte entfernt. Homeoffice macht dies möglich und ist seit Corona nicht mehr aus der Arbeitswelt wegzudenken. Doch so angenehm das Arbeiten von zu Hause auch ist, es hat Schattenseiten: Der Gang zur U-Bahn-Station entfällt, die zehn Minuten Radweg zum Büro sind passé und das Schlendern zur Kantine ebenso. „Kurz gesagt schrumpfen die Bewegungsmöglichkeiten, die ein gesunder Körper braucht, über den Tag enorm zusammen”, sagt Detlef Detjen, Geschäftsführer der Aktion Gesunder Rücken (AGR) e. V. und empfiehlt: „Das permanente Sitzen zu unterbrechen, ist das A und O. Sport nach oder vor der Arbeit ist zwar ein guter Ansatz, aber nicht genug, um Rückenschmerzen vorzubeugen. Jeder sollte Bewegung in seinen Tag integrieren, denn zu viel und zu langes Sitzen in einer Position ist in vielerlei Hinsicht ungesund.” Wer am Computer arbeitet, kennt die Verspannungen durch eine einseitige Haltung und monotone Bewegungsabläufe von Maus und Tastatur. Anfangs leichte Probleme schaukeln sich zu stärkeren Rücken- und Nackenschmerzen hoch. Die Muskulatur verkürzt sich und wird immer weniger beweglich. „Letztlich leidet der gesamte Bewegungsapparat unter einer starren Sitzposition und zu wenig Aktivität”, sagt Detjen. Und auch für das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel und die Psyche ist mangelnde Bewegung alles andere als gut.
Wer rastet, der rostet
Sitzen gilt bereits lange als das neue Rauchen, weil die Gesundheit massiv darunter leidet. Bedenklich ist, dass mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschland einen Job haben, bei dem sie dauerhaft am Schreibtisch und vor dem Bildschirm sitzen. „Menschen in westlichen Kulturkreisen verbringen schon von Kindesbeinen an zu viel Zeit im Sitzen. Fahrer oder Büroangestellte sitzen bis zu elf Stunden am Tag“, erklärt der renommierte Sport- und Bewegungswissenschaftler Dr. Dieter Breithecker. „Unsere Muskulatur ist für eine solche statische und passive Inanspruchnahme nicht geschaffen.“ Drei von vier Deutschen leiden laut einer Umfrage der Aktion Gesunder Rücken e. V. mindestens einmal im Monat unter Rückenschmerzen. Ein Drittel der Befragten sogar täglich. „Wie kein anderer Teil unseres Körpers ist der Rücken darauf angewiesen, dass wir ihn permanent bewegen”, erklärt Dr. Breithecker.
Mehr Ergonomie am Arbeitsplatz
Der DKV-Report 2021 stellte fest, dass noch nie so viel gesessen wurde wie im genannten Jahr: Werktags verbrachten die Deutschen durchschnittlich 8,5 Stunden in dieser Position. Junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren sind nach dem Bericht der Deutschen Krankenversicherung sogar „Sitzweltmeister” mit 10,5 Stunden an Werktagen. Der DKV-Report 2021 offenbarte zudem, dass die Befragten im Homeoffice folgende Schwierigkeiten wahrnehmen: 43 Prozent finden es – verglichen mit der Arbeit im Büro – schwierig, die Zeit im Sitzen zu reduzieren. 59 Prozent der Zuhause arbeitenden Menschen geben an, dass sie diesbezüglich keine Unterstützung von ihrem Arbeitgeber erhalten. „Gemäß den Arbeitsschutzvorschriften ist der Arbeitgeber aber auch im Homeoffice für eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung verantwortlich”, erklärt Detjen. „Obwohl Beschäftigte darauf einen Anspruch haben, beschränkt sich dies in der Realität häufig auf den Bürostuhl. Das ist aber zu kurz gedacht. Ein weiteres Problem ist, dass viele Arbeitgeber sehr bewusst den Begriff Homeoffice umgehen und stattdessen von mobilem Arbeiten sprechen. Hintergrund ist, dass in diesem Fall keine Verpflichtung zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung für den Arbeitgeber besteht, der Mitarbeiter ist dann selbst verantwortlich.“ Die Aktion Gesunder Rücken e. V. fordert deshalb: Prävention muss gelebt werden, damit Rückenschmerzen in der Bevölkerung nicht weiter zunehmen.
Arbeitgeber in der Pflicht
Eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung kommt dem gesamten Bewegungsapparat zugute und sorgt dafür, dass Beschäftigte langfristig schmerzfrei bleiben. Davon profitieren nicht nur Rücken und Muskulatur, sondern auch die Arbeit an sich, weil sie leichter von der Hand geht und die Beschäftigten ausgeglichener sind. „Unternehmen und im Besonderen öffentliche Einrichtungen sollten ihrer Rolle als vorbildlicher Arbeitgeber nachkommen und eine ergonomische Ausstattung anstreben”, betont Detjen. „Wir sind der Meinung, dass Unternehmen und öffentliche Einrichtungen die Verpflichtung haben, für eine zeitgemäße, ergonomische Ausstattung am Arbeitsplatz zu sorgen.” Nicht umsonst umfassen viele Ausschreibungen mittlerweile das AGR-Gütesiegel als Kriterium für die Auftragsvergabe.
Ein Vorzeigebeispiel ist in dieser Hinsicht die Stadt Offenbach: Die gesamte Stadtverwaltung setzt für die 1.300 Beschäftigten schon seit Jahren auf Ergonomie in Sachen Büroausstattung. Auch höhenverstellbare Bürotische sind Standard. „Damit werden wir unserer Verantwortung als moderner Arbeitgeber gerecht. Das renommierte AGR-Gütesiegel ist bei uns ein K. o.-Kriterium in der Beschaffung”, sagt Andreas Hummel, Abteilungsleiter im Bereich Hauptverwaltungsaufgaben, Beschaffung und Innere Dienste bei der Stadt Offenbach (mehr dazu im Interview). „Wir setzen schon seit vielen Jahren auf Ergonomie in unseren Büros.” Nach einer Ausschreibung im Jahr 2021 hat die Stadt Offenbach etwa 600 ergonomische Bürostühle der Marke Dauphin Shape und Stilo ES angeschafft – natürlich AGR-zertifiziert. Der Geschäftsführer des Möbelherstellers Dauphin, Dr. Jochen Ihring, erklärt: „Das AGR-Gütesiegel ist für unsere Kunden eine wichtige Entscheidungshilfe, wenn es um die Auswahl rückengerechter Sitzmöbel geht. Durch das Gütesiegel wird die ergonomische Qualität unserer Produkte sichtbar. Die Auszeichnungen durch Label online, die Eintragung als EU Gewährleistungsmarke sowie das unabhängige Prüfungsgremium aus Ärzten und Therapeuten unterstreichen darüber hinaus die besondere Wertigkeit des AGR-Gütesiegels. Und das Feedback der Prüfer ist für uns auch wertvoller Input bei der Weiterentwicklung unserer Produkte“.
Der rückengerechte Arbeitsplatz
Richtiges Sitzen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum gesunden Rücken. Aber: Was bedeutet das überhaupt und welche ergonomischen Anforderungen sind entscheidend? Detjen: „In der Ergonomie geht es darum, optimale Arbeits- und Arbeitsplatzbedingungen zu schaffen.” Diese sollten so ausgerichtet sein, dass sie der physischen und psychischen Gesundheit des Menschen zuträglich sind. Im Büro bedeutet das:
- Das Arbeitsumfeld sollte angenehm, geräuscharm und hell sein.
- Arbeitsabläufe und -umfang sollten auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sein. Das umfasst zum Beispiel geregelte Arbeitszeiten – auch im Homeoffice.
- Arbeitspausen und Bewegung gehören ebenfalls dazu, um die Konzentration über den Tag aufrechtzuerhalten.
- Zu den Arbeitsmitteln sollten ein verstellbarer Bürostuhl und ein höhenverstellbarer Tisch zählen. Eine ergonomische Maus und Tastatur schonen die Handgelenke. Wer einen Laptop benutzt, sollte für ein besseres Blickfeld unbedingt einen dazu passenden Laptopständer nutzen.
Ein ergonomischer, AGR-zertifizierter-Bürostuhl macht dank elementarer Verstellmöglichkeiten ein ergonomisches Sitzen erst möglich und zählt zur rückengesunden Basisausstattung.
In den letzten Jahren haben sich die ergonomischen Anforderungen an (Büro-)Stühle deutlich verändert. Es gibt inzwischen eine große Vielfalt und Weiterentwicklungen wie Aktiv-Bürostühle. „Die Bürostühle sollten nach neuen Erkenntnissen eben nicht nur auf die Körperproportionen anpassbar sein, sondern natürliche und spontane Veränderungen der Sitzposition zulassen und diese sogar fördern”, betont Detlef Detjen. Der Grund: Aktive und dynamische Konzepte unterstützen das Zusammenspiel von Beinen, Becken, Wirbelsäule, Schultern und Kopf. Ein solches physiologisches Sitzverhalten trägt entscheidend dazu bei, die Bewegungsarmut zu reduzieren. Der Aktiv-Bürostuhl bietet also mehr Bewegung im Sitzen und lässt dank seiner beweglichen Sitzfläche mehr unbewusste und bedarfsgerechte Haltungswechsel zu. Deshalb hat die AGR zusammen mit einem medizinischen Expertengremium sogenannte Aktiv-Bürostühle als besonders rückenfreundlich zertifiziert. Zudem gibt es Steh-Sitzstühle, die für Entlastung an Stehtischen und Stehpulten oder in der Produktion sorgen und zusätzliche Möglichkeiten für einen Positionswechsel bieten.
Immer wieder bewegen
Doch bei aller Ergonomie darf eines nicht zu kurz kommen, erklärt AGR-Geschäftsführer Detjen: „Es ist entscheidend, das permanente Sitzen zu unterbrechen, also immer wieder zwischen Sitzen, Stehen und Gehen zu wechseln. Mittlerweile gibt es sogar Konzepte fürs Büro, die für mehr Aktivität sorgen und diese ganz selbstverständlich werden lassen.” Wer seinen Papierkorb oder Drucker an das andere Ende des Raumes stellt, muss sich bewegen. Telefonate gehen dank Bluetooth und Headset wunderbar im Gehen oder Stehen. Und manche Meetings lassen sich auch mit einem Spaziergang verbinden. Mittlerweile setzen Unternehmen auch bei Konferenzen auf mehr Bewegung. Detjen: „Möbel wie höhenverstellbare Konferenztische und Stehtische, die die Sitzzeiten reduzieren und zu vermehrtem Stehen anregen, unterstützen diese Bemühungen. Sie sollten so gestaltet sein, dass sie ausreichend Platz für wechselnde Haltungen und Bewegungen bieten sowie genügend Beinfreiheit.” Als perfekte Ergänzung dazu gibt es Counterstühle, die auch an den Stehtischen eine Stehpause ermöglichen. Grundsätzlich sollte man „nicht länger als eine halbe Stunde sitzend“ verbringen, sagt Dr. Breithecker. Seine Empfehlung: maximal 50 Prozent der Arbeitszeit sitzen, 30 Prozent stehen und 20 Prozent bewegen.
Schwere Arbeit rückengesund ausüben
Während die einen im Sitzen arbeiten oder auf harten Böden stehen und unter monotoner, einseitiger Belastung leiden, müssen andere mit vollem Körpereinsatz ihre Arbeit verrichten und sind auf eine hohe körperliche Leistungsfähigkeit angewiesen. Es sind nicht nur die „Sitz-Jobs“, die den Rücken stressen, auch wenn viele daran als erstes denken. Wer sich in seinem Beruf viel bewegt, sollte ebenfalls auf seine Rückengesundheit achten: eine Pflegekraft, die gebrechlichen, teils schwergewichtigen Menschen beim Aufstehen, Umziehen oder Essen hilft, die Erzieherin, die sich zu den Kleinen bückt, oder der schwere Steine schleppende Maurer. „Rückenbelastend sind körperlich einseitige, wiederholende Bewegungsabläufe mit zum Teil unphysiologischen Hebe- oder Hebelkräften”, erklärt Dr. Breithecker. Diese können unseren Rücken nach einer gewissen Zeit überlasten und Rückenschmerzen, Fehlhaltungen oder auch sekundäre Probleme wie etwa Nacken- und Kopfschmerzen verursachen. Dr. Breithecker empfiehlt daher allen körperlich Arbeitenden, rückenfreundliche Techniken fürs Heben, Packen oder Tragen zu erlernen und – wo möglich – Hilfsmittel einzusetzen. Zudem hilft Ausgleichsgymnastik, muskuläre Dysbalancen zu vermeiden. „Ganz gleich, ob Schreibtischtäter, Handwerker oder Fahrzeuglenker – mangelnde Rückengesundheit der Mitarbeiter kann Arbeitgeber am Ende viel Geld kosten: Krankheitsausfall und Produktivitätsrückgang können die Folge sein, wenn die Arbeit nicht dem ergonomischen Standard entspricht”, fasst Detjen zusammen. „Es lohnt sich also für beide Seiten, auf Prävention zu setzen.”
Rückengesund on the road
Für Millionen von Menschen befindet sich der Arbeitsplatz in einem Fahrzeug. Lkw-Fahrer verbringen jährlich 2.000 Stunden hinter dem Lenkrad. Aber auch Gabelstaplerfahrer, Mitarbeiter der Städtereinigung bis hin zu Postboten und Außendienstmitarbeitern sind auf diese Weise unterwegs. Aus Sicherheitsgründen lassen die Fahrzeugsitze meist nur wenig bis keine Bewegung zu. Nicht nur für den Rücken ist das starre und lange Sitzen schädlich, sondern es leidet ebenso die Konzentrationsfähigkeit – zu Lasten der Verkehrssicherheit. Im Fahrzeug lauert für Mediziner und Therapeuten die „schlimmste Form“ des Sitzens. Positionswechsel wie bei Bürostühlen sind nicht möglich – oftmals über Stunden. Um Beschwerden zu vermeiden, benötigen Vielfahrer also unbedingt einen rückenfreundlichen Sitz, der zahlreiche ergonomische Anforderungen erfüllt. Er sollte an den anatomisch richtigen Stellen unterstützen. Dabei sind die Beckenpositionierung, die großflächige Abstützung der gesamten Lendenwirbelsäule sowie die individuell abstimmbare Sitzhöhe in Verbindung mit Sitzflächenverlängerung und -neigung entscheidend. Um Wirbelsäule und Bandscheiben besonders zu schützen, bieten beispielsweise pneumatische Schwingsysteme mit elektronischer Regelung eine optimale Lösung. Dadurch werden unerwünschte Vibrationen und Fahrbahnstöße deutlich reduziert.
Aktion Gesunder Rücken e. V. / 10.08.2023
Foto: Aktion Gesunder Rücken e. V.