Die hessische Polizei hat nach türkischen Medienberichten am Mittwochfrüh die in Frankfurt angesiedelte Europa-Redaktion der Zeitung „Sabah“ durchsucht und zwei Mitarbeiter festgenommen. Dabei soll es sich um den Deutschland-Koordinator des Blattes, Ismail Erel, und den Chefredakteur Cemil Albay handeln. Bei der Razzia sollen Handys und Computer beschlagnahmt worden sein. Auch die Wohnungen von Erel und Albay seien durchsucht worden.
Zur Begründung der Durchsuchungen gebe es noch keine genauen Informationen, heißt es. Das türkische Außenministerium habe sich eingeschaltet, um die Freilassung der Zeitungsleute zu erwirken. In einer Beschwerde an die Bundesregierung sei von einem „inakzeptablen Angriff auf die Pressefreiheit“ die Rede. Die auflagenstarke Tageszeitung „Sabah“ gilt als wichtigstes Sprachrohr der Regierung des amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Wie auch der TV-Sender ATV gehört sie zur Turkuvaz Mediengruppe. 2007 wurde sie vom regierungsnahen Mischkonzern Çalık Holding erworben und 2013 an die Erdoğan-treue Kalyon-Gruppe weiterverkauft, die vor allem im Bausektor tätig ist.
Ausspähaktionen Grund für Festnahmen?
In Deutschland und Europa fällt das Blatt vor allem mit aggressiven Denunzierungs-Kampagnen gegen kritische Medienschaffende im Exil auf. Im September fand sich etwa der Journalist Cevheri Güven auf dem Titelblatt wieder. „Propaganda-Imam dreht weiter Lügen- und Hetzvideos in Deutschland, wohin er geflohen ist“, stand neben einem heimlich aufgenommenen Foto, das Güven mit einer Einkaufstüte in der Hand zeigte. „Sabah“, so verkündete die Zeitung weiter stolz, habe den „Provokateur“ und sein „Verleumdungsnest“ ausfindig gemacht. Auch das Wohnhaus in Babenhausen, in dem Güven gemeinsam mit seiner Familie lebt, wurden auf der Titelseite des Blattes abgelichtet. In dem dazugehörigen Artikel bezeichnete die Zeitung den Journalisten unter anderem als „Terroristen“.
„Sabah“ bezieht Informationen vom MIT
Güven hat auf seinem YouTube-Kanal hunderte Videos veröffentlicht, in denen er unter anderem Korruptionsfälle aus dem Umkreis von Erdoğan und die Verbindungen von Regierungsmitgliedern zur organisierten Kriminalität offenlegt. Immer wieder wird er auch in anderen regierungsnahen Medien in der Türkei kritisiert. Unter anderen sei er Mitglied der Bewegung um dem im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen, die laut Ankara für den vermeintlichen Putschversuch am 15. Juli 2016 verantwortlich sein soll und von der Türkei als Terrororganisation eingestuft wird.
Auch Betroffene in Schweden
Güven geht davon aus, dass nicht allein die Redaktion der „Sabah“ hinter der Ausspähaktion steckt. Er glaubt, dass seine Adresse vom türkischen Geheimdienst MIT an das Blatt weitergegeben wurde, da eine Auskunftssperre im Melderegister bestand. Unter normalen Umständen kann ein Wohnort so nicht ausfindig gemacht werden. Auch die Adresse anderer Regimekritiker hat die „Sabah“ öffentlich gemacht, unter anderem die des in Schweden lebenden Exil-Journalisten Abdullah Bozkurt.
Türkei bestellt deutschen Botschafter ein
Gegen zwei leitende Mitarbeiter der Europa-Redaktion der AKP-nahen Zeitung „Sabah“ wird in Darmstadt wegen Verdachts des gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten ermittelt. Die Türkei ist empört und hat den deutschen Botschafter einbestellt.
Das türkische Außenministerium hat den deutschen Botschafter in der Türkei einbestellt. Hintergrund sei „die unbegründete Festnahme von Vertretern des Frankfurter Büros der Zeitung „Sabah“ vonseiten der deutschen Polizei“, teilte das Ministerium am Mittwoch in Ankara mit. Türkische Medien hatten zunächst berichtet, dass die hessische Polizei am Mittwoch in den Redaktionsräumen der in Frankfurt angesiedelten Europa-Redaktion des AKP-nahen Blattes eine Razzia durchgeführt haben soll.
Ermittlungen wegen Verdacht des gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten
Tatsächlich wurden der Deutschland-Verantwortliche Ismail Erel sowie „Sabah“-Nachrichtenchef Cemil Albay von der Polizei Darmstadt in Mörfelden-Walldorf festgenommen. Zudem wurden ihre Privatwohnungen durchsucht. Dabei gehe es laut zuständiger Staatsanwaltschaft um den Verdacht des gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten, wie es in Paragraf 126a des Strafgesetzbuches geregelt ist. Bei dem Einsatz seien Speichermedien und andere Beweismittel sichergestellt worden. Nach Abschluss der kriminalpolizeilichen Maßnahmen wurden Erel und Albay wieder entlassen.
Von regierungsnahem Konzern kontrolliert
Die auflagenstarke Tageszeitung „Sabah“ gilt als wichtigstes Sprachrohr der Regierung des amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Wie auch der TV-Sender ATV gehört sie zur Turkuvaz Mediengruppe. 2007 wurde sie vom regierungsnahen Mischkonzern Çalık Holding erworben und 2013 an die Erdoğan-treue Kalyon-Gruppe weiterverkauft, die vor allem im Bausektor tätig ist. Der Medienkonzern wird von Serhat Albayrak kontrolliert, Bruder von Erdoğans Schwiegersohn und Ex-Finanzminister Berat Albayrak.
Grund für das Ermittlungsverfahren gegen die „Sabah“-Redakteure könnte die Veröffentlichung der deutschen Privatanschrift des Exil-Journalisten Cevheri Güven im vergangenen Jahr in dem Blatt und weiterer in Deutschland lebender Kritiker der Erdoğan-Regierung sein. Güven war Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Nokta“. Er wurde 2015 nach einem Erdoğan-kritischen Titelbild verhaftet und verbrachte einige Monate im Gefängnis. Nach dem vermeintlichen Putschversuch 2016 wurde die Zeitschrift per Notstandsdekret verboten. Güven gelang die Flucht nach Deutschland.
Neben Güven werfen zahlreiche weitere regierungskritische Medienschaffende der „Sabah“ vor, als Hetz- und Propagandablatt der türkischen Regierung zu fungieren. Die Zeitung beziehe viele ihrer Informationen vom türkischen Geheimdienst MIT und diene dazu, Oppositionelle zu kriminalisieren und diffamieren und missliebige Personen als „Terroristen“ zu brandmarken. Den Ausspähaktionen der „Sabah“ und Bekanntmachungen von Privatadressen fielen in der Vergangenheit auch der in Berlin lebende Exil-Journalist Can Dündar und der in Schweden lebende Journalist Abdullah Bozkurt zum Opfer.
Ankara: „Haltlose Anzeige“ eines Mitglieds der Gülen-Organisation
Das türkische Außenministerium schrieb in der Mitteilung, Erel und Albay seien einer „haltlosen Anzeige“ eines Mitglieds der Gülen-Organisation zum Opfer gefallen. Gemeint dürfte Cevheri Güven sein, der in „Sabah“-Berichten oftmals als „Propaganda-Imam“ bezeichnet wird. Die Türkei sieht die Gülen-Bewegung um den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen hinter dem sogenannten Putschversuch und listet diese als Terrororganisation. Ankara brachte den Vorfall zudem in Zusammenhang mit der Parlaments- und Präsidentenwahl von Sonntag. Dass sich die Aktion unmittelbar nach der ersten Runde der Wahl ereignet habe, sei eine „vorsätzliche Handlung“. Bei der Präsidentenwahl in der Türkei am Sonntag hatte Amtsinhaber Erdoğan laut offiziellen Zahlen die absolute Mehrheit knapp verfehlt und muss am 28. Mai gegen den Zweitplatzierten, Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu, in einer Stichwahl antreten.