Nach einer kurzen Atempause lässt die iranische Regierung wieder verstärkt Medienschaffende verhaften. Reporter ohne Grenzen (RSF) ist beunruhigt über diese Entwicklung. Sie zeigt, dass die Behörden nicht nur die Berichterstattung über die Straßenproteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, sondern auch jegliche Debatte über mögliche Reformen unterdrücken wollen.
„Teheran will, dass unabhängige Medienschaffende in einem Klima der Angst leben“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das Regime setzt auf Razzien, körperliche Gewalt und Isolationshaft. Das ist nicht hinnehmbar. Die Herrscher müssen endlich verstehen, dass sich abweichende, unabhängige Stimmen nicht für immer unterdrücken lassen.“
Mehrmalige Haftstrafen, medizinische Vernachlässigung, Todesdrohungen
Zuletzt traf es die freiberufliche Fotojournalistin und Frauenrechtsaktivistin Alieh Motalebzadeh. Am 10. Mai stürmten sieben Polizisten Motalebzadehs Wohnung, durchsuchten sie und forderten die Journalistin anschließend auf, sich am 16. Mai zum Verhör bei der Staatsanwaltschaft im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis zu melden. Motalebzadeh geriet ins Visier der Behörden, weil sie am 21. April an einer Online-Konferenz mit dem Titel „Dialog zur Rettung des Iran“ teilgenommen hatte. Bei der Konferenz diskutierten Journalistinnen und Akademiker über die weit verbreitete Korruption in der Regierung und das harte Vorgehen gegen jegliche Andersdenkende.
Nach Motalebzadehs Festnahme twitterte ihre Tochter ein Foto von der aufgebrochenen Haustür. Obwohl ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt allein gewesen sei, sei einer der Polizisten gewalttätig geworden. Laut der Tochter durchwühlten die Beamten das Haus mehr als vier Stunden lang und nahmen Motalebzadehs Handy und alle weiteren elektronischen Geräte mit.
Die Journalistin und Aktivistin ist zudem Vizepräsidentin der Iranischen Vereinigung zur Verteidigung der Pressefreiheit. Bereits im November 2016 wurde sie gewaltsam festgenommen. Einen Monat später kam sie gegen Kaution frei, musste aber ab 11. Oktober 2020 im Evin-Gefängnis eine dreijährige Haftstrafe wegen „Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“ antreten. Nach einem kurzen Hafturlaub aufgrund medizinischer Vernachlässigung und Drohungen im Gefängnis wurde sie am 12. April 2022 erneut inhaftiert. Am 10. Februar 2023 wurde sie gemeinsam mit anderen Medienschaffenden begnadigt.
Wochenlange Isolationshaft, Folter in den Gefängnissen
Einen Tag vor der erwähnten Konferenz zum „Dialog zur Rettung des Iran“, am 20. April, ließen die Behörden Keyvan Samimi verhaften, einen bekannten Journalisten und früheren Herausgeber der Monatszeitschrift Iran Farda. Der 73-jährige hatte zuvor seine Teilnahme an der Konferenz angekündigt. Unter dem Vorwurf, Kontakt zu einer ausländischen Sekte aufgenommen zu haben, wurde er fast drei Wochen lang in Isolationshaft gehalten. Seit dem 10. Mai sitzt er im Evin-Gefängnis. Vor allem diese Haftanstalt ist seit vielen Jahren für Misshandlungen berüchtigt. Die iranische Journalistin und Menschenrechtlerin Narges Mohammadi – 2022 mit dem RSF Press Freedom Award in der Kategorie Mut ausgezeichnet – hatte in ihrem Buch „Weiße Folter“ von den grausamen Zuständen in Evin und anderen Gefängnissen berichtet.
Keyvan Samimi war erst im Januar nach mehr als zwei Jahren Haft entlassen worden. Nach einer Vorladung ins Evin-Gefängnis war er am 24. August 2020 noch vor Ort verhaftet und später zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Wegen seinen Tätigkeiten als Journalist und Aktivist hatte Samimi bereits vor und nach der Revolution von 1979 mehrere Jahre im Gefängnis verbracht.
Am 3. Mai 2023 wurde zudem Sajjad Shahrabi verhaftet, Journalist beim staatlichen iranischen Rundfunk IRIB. Die Behörden ließen das Haus seines Vaters, in dem Shahrabi lebt, durchsuchen, beschlagnahmten Telefon und Laptop und brachten ihn ins Evin-Gefängnis. Was genau ihm vorgeworfen wird, ist noch nicht bekannt.
Seit dem Beginn der landesweiten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 in Polizeigewahrsam haben die iranischen Behörden 75 Journalistinnen und Reporter verhaftet. 17 von ihnen sind noch immer in Haft. Trotz einer Reihe von Begnadigungen werden viele von ihnen weiterhin schikaniert, bespitzelt oder bedroht. Nach RSF-Informationen haben die Behörden mindestens eine Begnadigung für einen Exiljournalisten kürzlich widerrufen.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 19.05.2023
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