UN-Sonderberichterstatter lesen Deutschland die Leviten:
- Aussöhnungsabkommen zum Genozid an Herero und Nama muss neu verhandelt werden
- UN-Sonderberichterstatter teilen Kritikpunkte der Opferverbände und der GfbV
- Neues Abkommen muss Nachkommen der Opfer einbeziehen und echte Reparationszahlungen beinhalten
Nach Jahren der Kritik durch Organisationen der Herero und Nama sowie der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sind nun mehrere UN-Sonderberichterstatter zur selben Einschätzung gekommen: Die sogenannte „Gemeinsame Erklärung“, die Deutschland und Namibia im Jahr 2021 ausgehandelt hatten, muss dringend neu verhandelt werden. „Offenbar braucht es mindestens sieben UN-Sonderberichterstatter, um der Bundesregierung klar zu machen, dass das Aussöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia wegen des Völkermords an den Herero und Nama gescheitert ist. Das ist peinlich für Deutschland und passt nicht ins Bild eines Landes, das sich seiner Vergangenheit stellen will“, kritisierte GfbV-Direktor Roman Kühn am heutigen Donnerstag in Göttingen. „Noch vor wenigen Tagen habe ich in Namibia an den Gedenkfeierlichkeiten für den Völkermord teilgenommen. Das Leben der Nachfahren ist bis heute von den entsetzlichen Verbrechen der Deutschen zwischen 1904 und 1908 geprägt – und von der großen Enttäuschung darüber, dass die Opfergruppen nicht angehört oder beteiligt wurden. Der Schmerz ist noch heute greifbar. Da haben Regierungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg etwas verhandelt, was weder Hand noch Fuß hat.“
Die exakten Kritikpunkte der UN-Sonderberichterstatter hatten die Ovaherero Tradiotional Authority (OTA), die Nama Traditional Leaders Association (NTLA) sowie die GfbV den Verantwortlichen in der Bundesregierung immer wieder vorgehalten. „Nun hoffen wir sehr, dass der neue Report der Weckruf ist, den die Bundesregierung offenbar braucht“, erinnerte Kühn. „Als Gesellschaft für bedrohte Völker fordern wir die Bundesregierung und besonders den mit den Verhandlungen beauftragten CDU-Abgeordneten Ruprecht Polenz dringend und endlich zum Handeln auf!“
Das 2021 unterzeichnete Abkommen wurde ohne Beteiligung der Herero und der Nama ausgehandelt. Es sieht keine völkerrechtlich bindende Anerkennung des Genozides und auch keine echten Reparationszahlungen vor. Stattdessen sollten ohnehin geplante Entwicklungsgelder in geringem Umfang aufgestockt werden. Daher stand die „Gemeinsame Erklärung“ von Anfang an in der Kritik. Das namibische Parlament hat sie bis heute nicht ratifiziert.
Die Nachfahren der überlebenden Herero und Nama gedenken jedes Jahr um den 22. April des Völkermordes und seiner Opfer. Bei den Feierlichkeiten in diesem Jahr wurde ein Gedenkstein für die Opfer enthüllt, den die GfbV auf Wunsch der Betroffenen finanziert hatte. Trotz expliziter Einladung waren keine Vertreter der Bundesregierung und auch keine Angehörigen der deutschen Botschaft zugegen.
Gesellschaft für bedrohte Völker / 27.04.2023