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Istanbuler Polizei nimmt Samstagsmütter fest

Samstagsmütter

Die Istanbuler Polizei hat mehr als ein Dutzend Mitglieder und Unterstützende der Initiative der Samstagsmütter festgenommen. Unter ihnen sind auch die Menschenrechtlerinnen Eren Keskin, Leman Yurtsever und Gülseren Yoleri.

Die Polizei in der westtürkischen Metropole Istanbul hat mindestens fünfzehn Mitglieder und Unterstützende der Initiative der Samstagsmütter festgenommen. Grund sei ein Verstoß gegen ein behördlich angeordnetes Versammlungsverbot auf dem Galatasaray-Platz. Unter den Festgenommenen befinden sich unter anderem die renommierte Rechtsanwältin Eren Keskin, die auch Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD ist, die Vorsitzende der Istanbuler Zweigstelle Gülseren Yoleri, IHD-Vorstandsmitglied Leman Yurtsever sowie Angehörige von „Verschwundenen“.

Polizei ignoriert Urteil des Verfassungsgerichts

Zum 941. Mal kamen die „Samstagsmütter“ heute in Istanbul zusammen, um Protest zu äußern – dieses Mal mit einem Unterschied: Nicht die seit Jahrzehnten bestehende Forderung nach Auskunft um den Verbleib von Menschen, die in staatlichem Gewahrsam verschwunden sind, sowie die Bestrafung von „Morden unbekannter Täter“ zog die Gruppe an diesem Sonnabend auf die Einkaufsmeile Istiklal im zentralen Stadtteil Beyoğlu. Ziel der Zusammenkunft war es, gegen die Ignoranz der Sicherheitsbehörden gegenüber einem Urteil des türkischen Verfassungsgerichts zu protestieren und die Belagerung des Platzes vor dem Galatasaray-Gymnasium zu beenden.

Zum Hintergrund
Mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Tränengas hatte die türkische Polizei am 25. August 2018 die Demonstration der Samstagsmütter aufgelöst und knapp fünfzig Personen gewaltsam festgenommen. Die Frauen und Unterstützende wollten sich an diesem Tag zum 700. Mal zu ihrer wöchentlichen Mahnwache auf ihrem angestammten Platz versammeln, um Aufklärung über das Schicksal ihrer in den 1990er Jahren von Todesschwadronen verschwundengelassenen Angehörigen zu fordern. Innenminister Süleyman Soylu hatte die Kundgebung im Vorfeld wegen angeblichen Verbindungen zu einer „Terrororganisation“ verbieten lassen. „Hätten wir etwa die Augen davor verschließen sollen, wenn Mutterschaft von einer Terrororganisation ausgenutzt wird?“, begründete Soylu den brutalen Übergriff auf die Samstagsmütter und warf den Frauen vor, sich von Terrororganisationen instrumentalisieren zu lassen. Das 700. Treffen sei zudem in den sozialen Netzwerken von Gruppierungen beworben worden, denen er eine Nähe zur PKK unterstellte. Die Regierung wollte der „Ausbeutung und dem Betrug“ ein Ende setzen, so der Minister.

Galatasaray-Platz verbotene Zone für Samstagsmütter

Gegen 46 der damals Festgenommenen wurde in der Folge Anklage wegen Verstoß gegen das türkische Versammlungs- und Demonstrationsgesetz Nr. 2911 erhoben. Der im März 2021 eröffnete Prozess ist weiter anhängig und kommt wegen „ständiger politischer Interventionen“, wie der IHD kritisiert, nicht zu einem Ende. Drei Richter sind seit dem Verfahrensauftakt ausgetauscht worden, der für den 3. Februar 2023 angesetzte letzte Prozesstermin wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Verfassungsgericht stärkt Rechte von Samstagsmüttern
Der Galatasaray-Platz selbst ist für die Samstagsmütter seit dem Übergriff im Sommer vor fünf Jahren eine Sperrzone – auf Anordnung des Innenministeriums wird jede Woche eine neue Verbotsverfügung für Zusammenkünfte der Gruppe herausgegeben. Dies aber steht im Widerspruch zum Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, urteilte der türkische Verfassungsgerichtshof am 22. Februar 2023 und verwarf den Einwand des Ministeriums, das den „Schutz der öffentlichen Ordnung“ durch die Samstagsmütter bedroht sieht. „Jedermann hat das Recht, ohne vorherige Erlaubnis an unbewaffneten und friedlichen Versammlungen und Demonstrationen teilzunehmen“, heißt es in Artikel 34 der türkischen Verfassung, gegen den die Sicherheitsbehörden mit ihrer Verbotsverfügung für die gewaltsam aufgelöste Aktion der Samstagsmütter im August 2018 und alle folgenden verstoßen haben. Die Blockade des Platzes sei damit hinfällig.

Beschwerde von Maside Ocak Kışlakçı
Mit dem Urteil hatte die Verfassungsbeschwerde von Maside Ocak Kışlakçı Erfolg, die damals zusammen mit ihrer Mutter Emine gewaltsam festgenommen und mit auf dem Rücken gefesselten Händen über den Boden geschleift worden war. Kışlakçı stammt ursprünglich aus Dersim und ist die Schwester von Hasan Ocak. Der 30 Jahre alter Lehrer, der in Istanbul eine Teestube betrieb, wurde am 21. März 1995 festgenommen und zu Tode gefoltert. Sein Leichnam tauchte erst zwei Monate nach seinem Verschwindenlassen in einem anonymen Grab im Umland der Bosporus-Metropole auf. Seine Familie war es, die die Mahnwachen der Samstagsmütter, die am längsten andauernde Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei, initiierte.

Ministerium widersetzt sich Urteil
Auch wenn das Urteil des Verfassungsgerichts am 23. Februar im Staatsanzeiger erschien, dürfen die Samstagsmütter weiterhin nicht auf dem Galatasaray-Platz demonstrieren. Das von Soylu geführte Innenministerium und die Zentralbehörde der türkischen Polizei widersetzen sich dem Urteil des höchsten Gerichts des Landes und verhindern nach wie vor, dass sich die Initiative auf ihrem angestammten Platz versammelt. „Die Samstagsmütter sind aber entschlossen, ihren Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit in Bezug auf die ungeklärten Morde und das Verschwindenlassen und auch den Widerstand für ihre Rechte fortzusetzen“, sagte Eren Keskin noch unmittelbar vor den heutigen Festnahmen. Mit ihr, Gülseren Yoleri und Leman Yurtsever wurden unter anderem auch Hanife Yıldız, Irfan Bilgin, Mikail Kırbayır, Ayşe Tepe, Sebla Arcan, Ikbal Eren, Besna Tosun und Maside Ocak Kışlakçı festgenommen.

ANF

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