Vor den Wahlen holt die türkische Regierung zum Schlag gegen die Zivilgesellschaft aus. Im Fokus der Razzien befinden sich alle Bereiche der demokratischen Opposition von der Politik über die Presse bis hin zu Anwält:innen und Kulturschaffenden. In den Morgenstunden stürmte die die türkische Polizei Wohnungen in 21 Provinzen aufgrund eines von der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakır (ku. Amed) geführten Ermittlungsverfahrens. Nach Angaben der Anwaltskammer von Amed wurden bisher 150 Festnahmen gemeldet. Auf der Festnahmeliste stehen 216 Personen. Durchsucht wird auch die Zentrale der Freiheitlichen Juristenvereinigung ÖHD.
Nach bisherigen Erkenntnissen wurden bei den Razzien Abdurrahman Gök, (Redakteur der Nachrichtenagentur Mezopotamya Ajansi), die MA-Korrespondenten Ahmet Kanbal und Mehmet Şah Oruç, die JinNews-Korrespondentin Beritan Canözer, Osman Akın (Chefredakteur der Zeitung Yeni Yaşam), Kadri Esen (presserechtlich Verantwortlicher der Zeitschrift Xwebûn), die Journalisten Salih Keleş, Mehmet Yalçın, Remzi Akkaya, Arif Akkaya und Mikail Barut, Rechtsanwältin Halise Dakalı (Ko-Vorsitzende der freiheitlichen Juristenvereinigung ÖHD in Amed), die Rechtsanwält:innen Özüm Vurgun, Bünyamin Şeker, Berdan Acun und Pirozhan Karali, Sezen Mercan (Medienberaterin der DBP-Vorsitzenden Saliha Aydeniz), Yavuz Akkuzu, Özcan Ateş und Elvan Koçer Yıldırım vom Stadttheater Amed, die TJA-Aktivistin Maria Öztopuz und viele weitere Personen, unter ihnen auch Politker:innen, festgenommen. Ferhat Çelik, der Konzessionsinhaber der Nachrichtenagentur Mezopotamya, wurde nicht in seiner Wohnung angetroffen und somit nicht festgenommen. Die Zahl der Festgenommenen wird sich voraussichtlich weiter erhöhen.
Mindestens vier Festnahmen in Riha
Bei den Hausdurchsuchungen in der Provinz Riha wurden mindestens vier weitere Personen festgenommen. Dabei wurden in Sêwereg (Siverek) das ÖHD-Mitglied Rechtsanwalt Metin Özbadem und die Politiker:innen Halil Delen, Havva Bildik und Habat Mimkara festgenommen. Auch in Pirsûs (Suruç) und Wêranşar (Viranşehir) fanden Razzien und Festnahmen in diesem Zusammenhang statt.
Nach Angaben der ÖHD dürfen die Festgenommenen 24 Stunden keinen Kontakt zu einem Rechtsbeistand haben.
Anwaltskammer: Etwa 150 Menschen festgenommen
Der stellvertretende Ko-Vorsitzende der Anwaltskammer von Amed, Mehdi Özdemir, teilte mit, dass fast 150 Personen festgenommen wurden. Er berichtet: „Die Operation ist noch nicht abgeschlossen. Die Festnahmen gehen weiter. Die Durchsuchungen in den Büros vieler Anwaltskolleg:innen dauern an. Uns wurde bislang keine Begründung vorgelegt. Es handelt sich um eine Operation, die sich gegen verschiedene Berufsgruppen richtet. Darunter befinden sich Künstler:innen, Politiker:innen, Vertreter:innen von Nichtregierungsorganisationen und Anwält:innen. Es handelt sich um ein breit angelegtes Ermittlungsverfahren.“
ÖHD: „Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen“
Die ÖHD erklärt anlässlich der Festnahmen: „Heute Morgen wurden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens in Amed die Wohnungen vieler unserer Mitglieder durchsucht und diese festgenommen. Die Durchsuchungen in unserem Vereinsgebäude dauern an. Wir werden zu dieser politischen Operation gegen unseren Verein während des Wahlkampfes nicht schweigen! Wir haben Informationen erhalten, dass auch Journalist:innen, Künstler:innen, Politiker:innen und weitere Personen aus den Provinzen Amed, Êlih und Riha im Rahmen desselben Verfahrens festgenommen wurden. Wir werden zu diesem politischen Vorgehen gegen unseren Verein und andere demokratische Institutionen nicht schweigen! Unsere inhaftierten Mitglieder und Mandant:innen dürfen ihre Anwält:innen 24 Stunden lang nicht sehen. Politische Operationen, unrechtmäßige Einschränkungen und Repression können uns nicht abschrecken. Die Verteidigung wird nicht schweigen! Wir werden unseren Mitgliedern, Kolleg:innen und Mandant:innen beistehen!“
„Ihr werdet eure Niederlage nicht verhindern können“
Der stellvertretende Ko-Vorsitzende der HDP, Tayyip Temel, protestierte gegen die Festnahmen mit folgenden Worten: „Im Vorfeld der Wahlen hat die Regierung aus Angst vor einer Niederlage erneut eine Festnahmeoperation gestartet. Dutzende unserer Freund:innen, darunter Mitglieder des Parteivorstandes, stellvertretende Ko-Vorsitzende, Journalist:innen, Künstler:innen und Anwält:innen, wurden am Morgen in Amed festgenommen … Ihr werdet eure Niederlage nicht verhindern können!“