Die US-Regierung hat eine unabhängige Untersuchung der Giftanschläge auf Schülerinnen in Iran gefordert – und sieht möglicherweise die Vereinten Nationen am Zug. „Die Vergiftungen von Schulmädchen im Iran sind unerhört“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre. Wenn die Mädchen vergiftet würden, weil sie versuchten, eine Ausbildung zu erhalten, wäre dies „beschämend und inakzeptabel“. „Frauen und Mädchen haben überall ein Grundrecht auf Bildung“, sagte Jean-Pierre. Es müsse eine glaubwürdige, unabhängige Untersuchung und Rechenschaft für die Verantwortlichen geben.
Sollten die Vergiftungen im Zusammenhang mit der Teilnahme an Protesten gegen die iranische Führung stehen, dann könnte eine solche Untersuchung in den Aufgabenbereich einer bereits gegründeten UN-Mission zum Iran fallen, sagte Jean-Pierre weiter. Die Vereinten Nationen beauftragten im Dezember die Anwältin Sara Hossain aus Bangladesch, die pakistanische Juraprofessorin Shaheen Sardar Ali und die argentinische Menschenrechtsaktivistin Viviana Krsticevic damit, das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstrationen in Iran zu untersuchen.
Immer wieder wurden in den vergangenen Monaten Massenvergiftungen an iranischen Mädchenschulen gemeldet. Iranische Medien haben zwischen November und Anfang März über mehr als 2.400 Vergiftungsfälle an Schulen berichtet. Landesweit wurden Schülerinnen in Krankenhäusern behandelt, Ärzte sprechen von Gasvergiftungen. Mehr als 100 Schulen im gesamten Land sollen von den Anschlägen betroffen sein. Menschenrechtsgruppen gehen von einer Dunkelziffer aus.
Offizielle Zahlen zum Gesamtausmaß der Vergiftungswelle gibt es derzeit nicht. Behörden vermuten hinter den Gasattacken den Versuch, Mädchen von der Schulbildung auszuschließen. Der oberste geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, forderte am Montag in seiner ersten Erklärung zu den Fällen eine „strenge Strafe“ für die Verantwortlichen der Vergiftungen. „Es wird keine Amnestie für solche Leute geben“, sagte Chamenei und bezeichnete die Vorfälle als „unverzeihliches Verbrechen“. Die zuständigen Behörden, Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden sollten die Ursachen „dieses Verbrechens“ verfolgen und aufdecken.
Aktivist:innen gehen davon aus, dass die Vergiftungswelle an Mädchenschulen mit Billigung des Regimes stattfindet. Bereits seit September wird Iran von heftigen Protesten gegen den Klerus, vorwiegend von Frauen, erschüttert. Ausgelöst wurden sie durch den Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini im September. Die 22-Jährige war nach ihrer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die strenge Kleiderordnung auf einem Polizeirevier zu Tode geprügelt worden.
Die ersten Proteste hatten bei Aminis Beisetzung in deren ostkurdischer Geburtsstadt Seqiz (Saqqez) am 17. September stattgefunden – und den Funken der „Jin Jiyan Azadî“-Revolution gezündet. Das Regime ging brutal gegen die Revolutionsbewegung vor. Verschiedene Menschenrechtsgruppen gehen davon aus, dass weit mehr als 500 Demonstrierende von Regimekräften getötet worden sind, darunter mehr als 70 Kinder. Knapp 20.000 Menschen wurden verhaftet.