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Trauer um Ernst Tugendhat: Fürsprecher für verfolgte und bedrohte Minderheiten

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)

1984 hielt Ernst Tugendhat eine viel beachtete Rede in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. / Foto: Privat

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) trauert um ihr langjähriges Beiratsmitglied Ernst Tugendhat. Der Philosoph und konsequente Fürsprecher für verfolgte und bedrohte Minderheiten verstarb gestern im Alter von 93 Jahren. „Wir werden unser Beiratsmitglied, den Philosophen Ernst Tugendhat, schmerzlich vermissen. Seiner Familie sprechen wir unser tief empfundenes Beileid aus. Als Menschenrechtsorganisation, die für verfolgte und bedrohte ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten, indigene Völker und gegen Krieg und Vertreibung eintritt, wussten wir Ernst Tugendhat viele Jahrzehnte lang an unserer Seite. Er war bis ins hohe Alter für die Anliegen der GfbV ansprechbar, half mit Kontakten, Rat und Hilfe“, erklärte Eytan Celik, stellvertretende GfbV-Bundesvorsitzende.

Schon 1979 hatte Tugendhat das Vorwort der ersten deutschsprachigen Dokumentation zum Völkermord an den Sinti und Roma im Dritten Reich, zusammengestellt und herausgegeben von der GfbV, geschrieben. Sein Name verlieh dem Anliegen großes Gewicht. Als Jude, der die Shoa überlebt hatte, reichte er den Sinti und Roma als Opfergruppe die Hand und solidarisierte sich mit ihnen. Diese Fähigkeit, das Leid der anderen anzuerkennen und sich für ihre Rechte einzusetzen, jenseits der eigenen Leiderfahrung, zeichnete seine unbestechlich humanitäre Haltung aus. 1984 hielt Ernst Tugendhat eine viel beachtete Rede in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Die GfbV hatte dazu rund 500 yezidische Flüchtlinge aus der Türkei eingeladen, denn dort waren sie systematischer Verfolgung ausgesetzt. Im September 2008 durften wir Tugendhat in Göttingen begrüßen. Aus seiner Rede anlässlich des vierzigsten Jubiläums unserer Menschenrechtsorganisation wir zitieren hier: 

„Dasjenige Unrecht, das die GfbV zu ihrem Anliegen gemacht hat, die Entrechtung und Verfolgung von Minderheiten, ist zwar hauptsächlich ebenfalls von Regierungen zu verantworten, aber es durchdringt auch die Gesellschaft, wegen der unglückseligen Neigung aller menschlichen Gruppierungen, sich selbst für besser zu halten und andere abzuwerten. Die GfbV sieht sich also genötigt, sowohl Regierungen zu denunzieren als auch die Vorurteile von Gesellschaften aufzuzeigen, angefangen mit der eigenen, und so gehört zum moralischen Selbstverständnis der GfbV auch die Selbstaufklärung. (…) Das alles zusammengenommen erklärt, warum das Engagement in der GfbV kein gewöhnliches ist. Wer hier mitmacht, muss gegen Mauern anrennen, Mauern von Vorurteilen und von Macht, und er wird sich den Kopf wundschlagen.“ 

In Zeiten schwerster Kriege und Krisen versteht die GfbV diese Worte als Ermutigung für ihren weltweiten Einsatz. Wir werden Ernst Tugendhat ein ehrendes Andenken bewahren. 

Ernst Tugendhat, geboren am 8. März 1930 in Brünn als Sohn deutsch-jüdischer Eltern, flüchtete mit seiner Familie 1938 in die Schweiz und von dort 1941 weiter nach Venezuela. Er studierte in den USA und in Deutschland und lehrte später in Heidelberg, Berlin und Tübingen. Gastprofessuren führten ihn nach Santiago, Konstanz, Prag und Porto Alegre. Ernst Tugendhat verstarb am gestrigen 13. März in Freiburg im Breisgau. 

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) / 14.03.2023

Foto: Privat

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