Die Region Hatay im Südosten der Türkei ist bei der Erdbebenserie ab dem 6. Februar weitflächig zerstört worden. In den ersten Tagen wurde der Bevölkerung nur von Freiwilligen geholfen, die sich vor Ort organisierten und aus anderen Regionen Hilfslieferungen schickten. Die Freiwilligen sind weiterhin im Einsatz, aber nicht alle Probleme können von ihnen gelöst werden.
Cansel Aslan stammt aus der Stadgemeinde Samandağ und arbeitet in dem zivilgesellschaftlich errichteten Koordinationszentrum für die Erdbebenhilfe. Die „Erdbebensolidarität Samandağ“ hat Tausenden Menschen mit Lebensmitteln und Unterkünften geholfen. Cansel Aslan kam einen Tag nach der Katastrophe in ihrem Heimatort an und hat sich gegenüber ANF zu der Situation geäußert. Zu diesem Zeitpunkt waren noch keine staatlichen Rettungsarbeiten angelaufen und auch der Katastrophenschutz AFAD war nicht vor Ort. Die Verschütteten wurden von der Bevölkerung und angereisten Freiwilligen aus den Trümmern geholt. Die erst nach langer Zeit eingetroffenen Rettungsteams hätten aufgrund von fehlender Ausrüstung keine wirksamen Bergungsarbeiten durchführen können, sagt Aslan: „Viele Menschen haben durch diese Kette von Versäumnissen ihr Leben verloren. Vom ersten Tag an waren die Menschen in Not, nirgends konnte man einkaufen und den Bedarf decken. In den ersten Tagen begannen wir, alles zu verteilen, was wir in die Finger bekamen. Dann kamen Freiwillige von außerhalb der Stadt, mit denen wir uns abzustimmen versuchten. Am zweiten Tag kamen wir in das Lager, in dem wir uns jetzt befinden. Am dritten Tag kamen Lastwagen hierher, aber wir wissen, dass viele Hilfslieferungen auf dem Weg hierher beschlagnahmt wurden. Wir begannen, die ankommenden Hilfsgüter an die Menschen hier zu verteilen: Kleidung, Hygienematerial, Lebensmittel. Dann wurde uns klar, dass es Dörfer gab, in die wir fahren mussten, weil die Menschen nicht kommen konnten, denn es gab keine Fahrzeuge und die Menschen trauerten. Also begannen wir, mit Fahrzeugen von Freiwilligen in die einzelnen Siedlungen zu fahren.“
Unkontrollierte Räumungsarbeiten
Aslan erzählt, dass die meisten Menschen in den besuchten Dörfern ältere Menschen und Familien mit Kindern gewesen seien. Die Freiwilligen erstellten für die Behörden Listen von Menschen mit kranken oder behinderten Verwandten, damit diese medizinische Hilfe leisten. In Samandağ herrsche nach wie vor Wasserknappheit, betont Aslan. Ein besonderes Problem sei aktuell auch die unkontrollierte Räumung der Trümmer. Da bei dem Abriss eingestürzter Gebäude kein Wasser verwendet werde, sei die Staubbildung extrem: „Überall liegt Staub und es ist sehr windig, der Wind wird hier noch zunehmen. Wir alle schlucken im Moment Staub, er berührt unsere Gesichter und Augen. Dafür werden keine Vorkehrungen getroffen. Wer Zugang zu Wasser hat, hat kein Shampoo, und wer Shampoo hat, dem fehlen andere Dinge. Es gibt keine Organisation und wir stehen vor einem ernsten Gesundheitsproblem. Nach dem zweiten Erdbeben wurden die Krankenhäuser evakuiert. Als wir uns mit freiwilligen Gesundheitshelfern und Mitarbeitern des öffentlichen Sektors trafen, sagten sie uns, dass sie keinen Impfstoff, keine Kühlfächer und nichts zum Registrieren haben. Alle tun etwas, aber für die Freiwilligen allein ist es sehr schwierig, die Gesundheitsprobleme hier zu bewältigen.“
Es muss eine neue Lebensgrundlage geschaffen werden
Die Menschen in Samandağ arbeiten freiwillig im Koordinationszentrum, sagt Cansel Aslan. Alle wollten etwas tun und versuchen, wieder Fuß zu fassen. Wichtig sei jedoch, dass eine neue Lebensgrundlage für die Bevölkerung geschaffen werden: „Die Menschen können nicht von Lebensmittelpaketen und Beihilfen leben. Was plant der Staat zum Beispiel für die Menschen hier, für die Landwirtschaft, wird er Wasser, Dünger, Futtermittel bereitstellen? Wir Freiwilligen sind hier und wir werden hier bleiben. Wir werden so lange hier bleiben, bis Samandağ wieder aufgebaut ist und wieder leben kann, aber es ist klar, dass einige Probleme nicht von Freiwilligen gelöst werden können. Der öffentliche Sektor muss dies auf eine besser organisierte Weise tun.“