Von Reporter ohne Grenzen (RSF) zusammengetragenes und geprüftes Video- und Audiomaterial deutet darauf hin, dass die israelischen Sicherheitskräfte auch nach der Tötung der Al-Dschasira-Journalistin Schirin Abu Akle am 11. Mai 2022 weiter Journalistinnen und Reporter attackiert haben. Mindestens elf Medienschaffende wurden seit diesem Tag angegriffen oder ins Visier genommen, während sie über Proteste oder Militäroperationen im Westjordanland und Jerusalem berichteten.
Heute (15. März) trifft der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für hochrangige politische Gespräche in Berlin ein. Reporter ohne Grenzen fordert Bundeskanzler Olaf Scholz auf, sich gegenüber Netanjahu für einen besseren Schutz aller Journalistinnen und Reporter in Jerusalem und den palästinensischen Gebieten einzusetzen. Das betrifft auch die Tötung von Schirin Abu Akle, für die bis heute niemand verurteilt worden ist. Hier braucht es dringend eine unabhängige Untersuchung.
Nach RSF-Erkenntnissen sind auch gegen die Verantwortlichen der elf hier zusammengetragenen Fälle keine Verfahren eingeleitet worden. Die An- und Übergriffe israelischer Sicherheitskräfte auf Medienschaffende sind ein deutlicher Beleg für die anhaltende Straflosigkeit, gegen die RSF wiederholt beim Internationalen Strafgerichtshof Beschwerde eingelegt hat.
„Die Video-, Bild- und Tonaufnahmen der Angriffe israelischer Sicherheitskräfte auf Reporterinnen und Reporter sind erschreckend“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Es steht zu befürchten, dass sie straffrei bleiben. Es ist dringend notwendig, den Schutz für Medienschaffende in Israel und den Palästinensischen Gebieten zu verbessern, bevor noch mehr von ihnen verletzt werden oder sogar sterben.“
24. Februar 2023, Ramallah – Gummigeschoss in Richtung einer Journalistin
In einem Video ist zu sehen, wie ein israelischer Soldat auf die Felestin-Post-Journalistin Sadscha al-Alami zielt. Es wurde von Rabia al-Munir aufgenommen, einer Fotojournalistin und Redakteurin des katarischen Fernsehsenders Al-Araby.
Im Video ist zu sehen, wie der Soldat stehenbleibt, offensichtlich mit Absicht auf al-Alami zielt und ein Gummigeschoss in ihre Richtung abfeuert, obwohl die Journalistin eine Weste mit der Aufschrift „Press“ trägt. Al-Alami berichtete über einen Protest gegen israelische Siedlungen in der Nähe von Rammun, einem Dorf im Zentrum des Westjordanlandes, zwölf Kilometer von Ramallah entfernt.
26. Januar 2023, Dschenin – Beschuss während einer IDF-Razzia im Geflüchtetenlager
Am 26. Januar 2023 war Laith Dschaar, ein Reporter der palästinensischen Nachrichten-Webseite JMedia, für den palästinensischen Fernsehsender Watan im Einsatz. Er berichtete live per Telefon von einem Angriff der israelischen Armee (IDF) auf das Geflüchtetenlager in der Stadt Dschenin.
Auf einem Mitschnitt dieser Tonaufnahme hört man Schussgeräusche und Dschaars Rufe, er und seine Kollegen würden von den „Besatzungstruppen“ unter Beschuss genommen. Danach bricht die Verbindung ab. Neben Dschaar waren sein Kollege Hafez Abu Sabra und der freiberufliche Fotojournalist Mahmud Fauzi von dem Angriff betroffen.
16. Dezember 2022, Beit Dadschan – Tränengasgranate in Richtung von Medienschaffenden
Mohammed Samrin, Journalist für Al-Dschasira Mubasher, und die Palestine TV-Journalisten Mohammed al-Chatib und Fadi al-Dschayyusi berichteten am 16. Dezember 2022 über eine Demonstration gegen die Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel in Beit Dadschan, im Norden des Westjordanlandes. Israelische Soldaten feuerten eine Tränengasgranate auf sie ab. Die drei waren eindeutig als Medienschaffende zu erkennen.
20. Oktober 2022, al-Bireh – Tätlicher Angriff auf Fotojournalisten
Fotos zeigen, wie ein israelischer Soldat den Al-Quds-Mitarbeiter Mutasim Saqf al-Hait körperlich angreift. Der Fotojournalist wollte am 20. Oktober 2022 über eine Demonstration in der Stadt al-Bireh im zentralen Westjordanland berichten. Der Soldat trat ihn zunächst und stieß ihn dann mit seinem Gewehr, obwohl der Journalist durch Presseweste und professionelle Kamera eindeutig als Medienschaffender zu erkennen war.
5. Oktober 2022, Deir al-Hattab – Zwei Medienschaffende durch Schüsse verletzt
Der freiberufliche Fotograf Mahmud Fauzi und der Palestine TV-Fotograf Loay Samhan wurden am 5. Oktober 2022 durch Schüsse verwundet. Nach einer IDF-Razzia im Haus eines aus dem Gefängnis geflohenen Palästinensers im Dorf Deir al-Hattab, nahe der Stadt Nablus, war es zu Zusammenstößen gekommen. Fauzi und Samhan berichteten über die Auseinandersetzungen.
Die Aufzeichnungen zweier verschiedener Kameras bieten ein erschreckendes Bild von den Bedingungen, unter denen Medienschaffende in den Palästinensischen Gebieten arbeiten müssen. Auf der ersten Aufnahme hört man die Schüsse auf die Medienschaffenden, dann ihre Schmerzensschreie und Hilferufe. Das zweite Video zeigt die beiden eindeutig als Medienschaffende zu erkennenden Journalisten, sichtlich unter Schock. Einer der beiden versucht unter Schmerzen aufzustehen, der andere wird von Kollegen gestützt und zu einem Krankenwagen gebracht.
26. September 2022 – Angriff durch die israelische Polizei in Jerusalem
Am 26. September 2022 waren viele Journalistinnen und Reporter auf dem Weg zum Al-Aqsa-Komplex auf dem Tempelberg in Jerusalem, wo sich Pilger und israelische Ultranationalisten zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana versammeln wollten. Die israelischen Behörden versuchen regelmäßig zu verhindern, dass Reporterinnen und Reporter über diese Versammlung berichten, und es kommt häufig zu Auseinandersetzungen.
Bei den Zusammenstößen 2022 wurde der Leiter des Jerusalemer Büros der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu, Anas Janli, von einem israelischen Polizisten auf einer Treppe gewaltsam zu Boden gestoßen; er trug allerdings keine Presse-Weste. Kollegen filmten den Übergriff.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 15.03.2023
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