Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat sechs Monate nach Beginn der „Jin, Jiyan, Azadî“-Revolte in Ostkurdistan (Rojhilat) und Iran Folter an Kindern und Jugendlichen dokumentiert. Demonstrantinnen und Demonstranten seien Schlägen, Auspeitschungen, Elektroschocks, Vergewaltigungen und anderen Formen sexualisierter Gewalt durch Revolutionsgarden, Geheimdienste und Polizei ausgesetzt gewesen, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht.
Laut der Organisation sei die Folter an Kindern einer gezielten Strategie gefolgt. Dadurch habe man die Jugend des Landes unterdrücken und ihren Protest für Freiheit und Menschenrechte brechen wollen. Dieter Karg, Iran-Experte bei Amnesty International in Deutschland, sagte laut Mitteilung: „Es ist abscheulich, dass Beamte ihre Macht auf diese Weise gegenüber schutzbedürftigen und verängstigten Kindern missbrauchen, ihnen und ihren Familien schwere Schmerzen und Ängste zufügen und sie mit schweren körperlichen und seelischen Narben zurücklassen.“
Amnesty dokumentierte die Gewalt vom Zeitpunkt der Festnahme, als Kinder und Jugendliche in den Gefängnistransportern geschlagen und in den Haftanstalten misshandelt wurden. Zu dem Folterrepertoire zählten auch Elektroschocks an Genitalien, die erzwungene Verabreichung unbekannter Tabletten, das Halten der Köpfe der Kinder unter Wasser sowie schwere Drohungen. Bevor sie freigelassen wurden, drohten Staatsbeamte den Kindern oft mit der Verhaftung ihrer Verwandten, falls sie sich beschwerten.
Auch Kinder unter zwölf seien gefoltert worden
Laut Amnesty wurden auch Kinder gefoltert, die unter zwölf Jahre alt waren. Ihren Bericht stützte die Menschenrechtsorganisation auf Zeugenaussagen Dutzender Inhaftierter und Angehöriger aus Provinzen im ganzen Land, darunter Kirmaşan (Kermanschah), Luristan sowie Sistan-Belutschistan. Wie viele Minderjährige unter den Tausenden verhafteten Protestierenden in Iran waren beziehungsweise sind, ist nicht bekannt.
Angesichts der überwiegend jungen Demonstrierenden schätzt Amnesty jedoch, dass Tausende Kinder betroffen waren. Diese seien wie Erwachsene zunächst − oft mit verbundenen Augen − in Haftanstalten gebracht worden. Erst vor wenigen Tagen hatte Irans Regimejustiz vermeldet, dass insgesamt mindestens 22.000 Demonstrierende inhaftiert worden seien. Ein Großteil von ihnen soll angeblich inzwischen im Zuge einer Generalamnestie freigekommen sein. Genaue Zahlen gibt es von staatlicher Seite nicht.
Karg kritisierte, dass es keine Aussicht auf wirksame unabhängige Untersuchungen der Folter von Kindern in Iran gebe. Amnesty fordert daher die sofortige Freilassung aller Kinder, die wegen friedlicher Proteste inhaftiert seien, und appelliert an „alle Staaten wie auch die Bundesregierung, universelle Gerichtsbarkeit über iranische Beamte auszuüben“, um Verdächtige mit Befehlsgewalt international zur Verantwortung zu ziehen.
Über 530 getötete Demonstrierende
Auslöser des Aufstands in Rojhilat und Iran war der Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini. Die 22-Jährige wurde Mitte September von Sittenwächtern wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Kleidungsvorschriften festgenommen und starb wenige Tage später im Polizeigewahrsam. Ihre Familie erhebt den Vorwurf, dass Amini zu Tode misshandelt wurde. Gegen die damit verbundenen Proteste gehen die Sicherheitskräfte massiv vor.
Vor allem die junge Generation protestiert gegen den autoritären Kurs des klerikalfaschistischen Mullah-Regimes. Der Großteil soll nicht älter als 25 Jahre sein. Unter dem Leitspruch „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) fordern sie einen Systemwechsel. Seit der Protestwelle im Herbst steht Irans Führung unter Druck wie noch nie seit der Islamischen Revolution 1979.
Die Menschenrechtsgruppe HRANA mit Sitz in den USA geht davon aus, dass mindestens 530 Demonstrierende von Regimekräften getötet worden sind, darunter mehr als 70 Kinder. Etwa 25.000 Menschen wurden laut HRANA verhaftet – mehr als hundert von ihnen in der Folge mit Anklagen belegt, die laut den islamistischen Gesetzen im Iran zu einem Todesurteil führen könnten. Mindestens vier Demonstranten wurden bereits im Zusammenhang mit der Revolutionsbewegung hingerichtet.