Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert die Entscheidung eines britischen Berufungsgerichts, das diese Woche einem Geschäftsmann in einer missbräuchlichen Klage gegen eine Journalistin teilweise Recht gegeben hat. Die Investigativjournalistin Carole Cadwalladr soll laut Urteil dem Geschäftsmann Arron Banks mit einer Äußerung in einem Vortrag auf einer TED-Konferenz potenziell geschadet haben und kann deshalb zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet werden. RSF fordert die britische Regierung auf, ihr Vorhaben zu beschleunigen, Medienschaffende besser vor solchen sogenannten SLAPP-Klagen zu schützen, die Berichte über Missstände von öffentlichem Interesse unterbinden sollen.
„Dass Carole Cadwalladr eventuell Schadenersatz wegen eines journalistischen Beitrags zahlen muss, und das obwohl das das Gericht anerkennt, dass er von großem öffentlichen Interesse war, ist enttäuschend“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Arron Banks führt einen Feldzug gegen eine einzelne Journalistin. Damit soll nicht nur sie persönlich eingeschüchtert werden, er will auch anderen Medienschaffenden vor Augen führen, was passieren kann, wenn sie es mit den Reichen und Mächtigen aufnehmen.“
Banks‘ Verleumdungsklage bezog sich auf einen einzelnen Satz Cadwalladrs in einem TED-Vortrag aus dem Jahr 2019 sowie einen darauf bezogenen Tweet Cadwalladrs. In dem Vortrag berichtete die Journalistin über ihre Recherchen zur gezielten Beeinflussung der britischen Bevölkerung über Facebook vor dem Brexit-Referendum. Sie warf Banks, der Financier der Pro-Brexit-Kampagne war, darin vor, über seine heimlichen Verbindungen zur russischen Regierung gelogen zu haben. In seinem Urteil vom Dienstag (28.02.) wies das Gericht zwei Punkte von Banks zurück, gab ihm aber in einem dritten Recht, laut dem der TED-Vortrag ihm ernsthaften Schaden zugefügt haben könnte.
RSF hat sowohl die Berufungsverhandlung am 7. Februar als auch den fünftägigen Prozess vor dem britischen High Court im Januar 2022 beobachtet. In seiner Entscheidung vom 13. Juni 2022 hatte der High Court festgestellt, dass der TED-Vortrag „eine politische Äußerung von hoher Bedeutung und großem öffentlichen Interesse“ gewesen sei und dies nicht nur für das Vereinigte Königreich, sondern weltweit gelte. Bei dieser Einschätzung blieb das Berufungsgericht.
Banks‘ Anwälte hatten allerdings argumentiert, dass nach dem 29. April 2020 das öffentliche Interesse nicht mehr gegeben gewesen sei. An diesem Tag entschied die britische Wahlkommission, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Banks in Zusammenhang mit seinen Geldspenden für die Brexit-Kampagne eine Straftat begangen habe. Cadwalladr solle daher von diesem Zeitpunkt an Schadensersatz zahlen. Dem schloss sich das Gericht nun an, auch wenn die andauernde Veröffentlichung des Videos durch den Veranstalter TED sich Cadwalladrs Kontrolle entziehe. Diese Einschätzung macht den Weg frei für Schadenersatzforderungen und weitere Klagen gegen Cadwalladr.
Als Reaktion auf das Urteil beschrieb Cadwalladr den Fall in einem Twitter-Thread als „Abfolge von Absurditäten“ und „kafkaesk“, betonte aber, dass sie in zwei von drei Punkten gewonnen habe. Am wichtigsten sei, dass die Einschätzung aus der ersten Instanz, dass das öffentliche Interesse Vorgang habe, Bestand habe.
Während High Court den Fall nicht als missbräuchliche Klage – eine sogenannte strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuit Against Public Participation, SLAPP) – wertete, sehen RSF und weitere Organisationen den Fall als anschauliches Beispiel für diese Art von Klage, die eine Journalistin einschüchtern und isolieren soll. Banks habe gezielt sie als Einzelperson verklagt und nicht die Medien, die ihre Recherchen veröffentlichten. Auf diese Weise werden bei SLAPP-Klagen Medienschaffende isoliert und hohen Gerichtskosten ausgesetzt, die die finanziellen Möglichkeiten vieler Journalistinnen und Journalisten übersteigen.
Banks hat wiederholt bestritten, dass es sich bei der Klage um Schikane handele, als Reaktion auf das Berufungsurteil aber getwittert: „Hoffentlich werden aus dieser Episode einige journalistische Lehren gezogen.“
Die Zahl der SLAPPs hat in London in den vergangenen Jahren stark zugenommen, was sich negativ auf die Lage der Pressefreiheit im Vereinigten Königreich auswirkt. Die Regierung hat sich bereits verpflichtet, Gesetze gegen SLAPPs einzuführen, dafür aber noch keinen Zeitplan vorgelegt.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 03.03.2023
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