Zum Internationalen Frauentag am 8. März fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) die sofortige und bedingungslose Freilassung aller inhaftierten Journalistinnen. Angesichts von sexuellen Übergriffen, Misshandlungen und verweigerter medizinischer Behandlung zählt jeder Tag. Die Organisation sorgt sich besonders um das Schicksal der afghanischen Journalistinnen, die inzwischen fast aus der dortigen Medienlandschaft verschwunden sind.
„In vielen Ländern sind weibliche Medienschaffende ganz besonders gefährdet – als Frau und als Journalistin“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „In vielen Teilen der Welt ist journalistische Arbeit für Reporterinnen oft weitaus schwieriger und gefährlicher als für ihre männlichen Kollegen. In manchen Ländern riskieren sie sogar ihr Leben. Wir müssen sie noch viel stärker schützen – und das fängt damit an, dass wir ihre enorm wichtige Rolle für Medienpluralität und Pressefreiheit würdigen.“
Unter den 550 Medienschaffenden, die derzeit weltweit inhaftiert sind, sind laut RSF-Barometer 73 Frauen. Das sind mehr als 13 Prozent, doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren. Mehr Frauen berichten vor Ort, sind in den Redaktionen sichtbarer – und damit auch häufiger unerbittlicher Verfolgung ausgesetzt. Derzeit sind in 14 Ländern der Welt Journalistinnen inhaftiert. Angeführt wird die Liste von China (21 inhaftierte Journalistinnen), Iran (12), Belarus (10), Vietnam (4) und der Türkei (4).
Journalistinnen und Reporterinnen in vorderster Reihe
Journalistinnen stehen in vielen der jüngsten Krisen und Konflikte in vorderster Reihe. Von den zwölf Journalistinnen, die derzeit im Iran inhaftiert sind, wurden elf im Zuge der Proteste nach dem Tod der kurdischen Studentin Jina Mahsa Amini verhaftet. Amini war am 16. September in Teheran in Polizeigewahrsam gestorben. Die Journalistin Nilufar Hamedi berichtete als erste aus dem Krankenhaus, in dem Amini im Koma lag. Elahe Mohammadi schrieb über ihre Beerdigung. Die beiden Journalistinnen trugen damit wohl am meisten dazu bei, die Öffentlichkeit auf diesen Fall aufmerksam zu machen. Das Regime in Teheran beschuldigt sie der „Propaganda gegen das System“ und der „Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“, worauf die Todesstrafe stehen kann.
In Myanmar verurteilte die Junta Htet Htet Khine zweimal zu drei Jahren Haft mit Zwangsarbeit. Die freiberufliche Journalistin ist seit August 2021 im berüchtigten Insein-Gefängnis in Yangon inhaftiert, weil sie über die Gewalt der Streitkräfte nach dem Putsch der Junta im Februar 2021 berichtete.
Belarus war in der RSF-Jahresbilanz aus dem Jahr 2021 das einzige Land, in dem mehr weibliche (17) als männliche (15) Medienschaffende inhaftiert waren. Derzeit werden noch immer neun Journalistinnen festgehalten, weil sie über nicht genehmigte Proteste berichtet hatten. Die Haftstrafen sind oft extrem lang, in den Gefängnissen fehlt es selbst an elementaren Grundrechten, etwa medizinischer Behandlung. Katerina Andrejewa wurde zu insgesamt zehn Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie im November 2020 eine Anti-Lukaschenko-Demonstration auf dem „Platz der Veränderung“ in Minsk gefilmt hatte. Sie droht zu erblinden, erhält aber nicht die notwendige ärztliche Versorgung. Ihre Kollegin Ksenia Lutskina verbüßt eine achtjährige Haftstrafe und leidet an Asthma und einem Gehirntumor. Beides wird nicht behandelt.
In Haft herrschen oft entsetzliche Bedingungen
Die Behörden in Vietnam verlegten die Journalistin Pham Doan Trang, Preisträgerin des RSF Press Freedom Award von 2019 für besonders wirkungsvollen Journalismus, in ein Gefängnis 1.000 Kilometer südlich von Hanoi. Damit wollen sie jegliche Berichterstattung über den kritischen Gesundheitszustand der Journalistin unterdrücken. Weibliche Medienschaffende in China sind ähnlich entsetzlichen Bedingungen ausgesetzt; auch dort wird ihnen regelmäßig die medizinische Behandlung verweigert, Misshandlungen sind häufig. Huang Xueqin (Sophia Huang), eine Journalistin, die durch ihr Engagement für die #MeToo-Bewegung in China bekannt wurde, leidet unter Schmerzen, nachdem sie misshandelt und sogar gefoltert wurde.
Einigen Journalistinnen gelingt es, aus ihren Zellen zu berichten, was sie und ihre Mitgefangenen erdulden müssen. „In den vergangenen Tagen haben einige Häftlinge […] darüber gesprochen, auf welch schockierende Weise sie misshandelt wurden“, schrieb die Iranerin Narges Mohammadi in einem offenen Brief, der am 24. Dezember 2022 veröffentlicht wurde. RSF hat Mohammadi kurz zuvor mit dem Press Freedom Award in der Kategorie Mut ausgezeichnet. Im November 2022 beschrieb sie in einem Buch mit dem Titel „Weiße Folter“ eine verbreitete Form der Misshandlung, bei der die Inhaftierten über lange Zeit hinweg in ihren Zellen isoliert sind, ohne Zugang zu natürlichem Licht.
Afghanistan: Sorgen vor einer Medienlandschaft ganz ohne Journalistinnen
Reporter ohne Grenzen kämpft weiterhin auf verschiedenen Wegen für Medienschaffende in Afghanistan. Rund anderthalb Jahre nach der Machtübernahme der Taliban ist die Medienlandschaft in dem Land nicht wiederzuerkennen. Von den 526 Medien, die bis August 2021 noch berichtet hatten, musste die Hälfte schließen. Besonders betroffen sind Frauen im Journalismus: Von den insgesamt 2300 Journalistinnen arbeiten heute noch weniger als 200. Fast alle Journalistinnen (90 Prozent) mussten ihren Beruf aufgeben, einige haben das Land verlassen. Wie viele es genau geschafft haben, zu fliehen, ist RSF nicht bekannt.
Die Frauen, die noch im Journalismus arbeiten, müssen immer drakonischere bis unmögliche Bedingungen hinnehmen. Die Taliban haben es Journalistinnen untersagt, Männer zu interviewen und an Pressekonferenzen in manchen Provinzen teilzunehmen. Journalistinnen dürfen auch keine Radio- und Fernsehsendungen mehr gemeinsam mit männlichen Kollegen moderieren oder männliche Gäste empfangen.
Das sogenannte Tugendministerium – offiziell „Taliban-Ministerium für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters“ – hat zudem eine strenge Kleiderordnung eingeführt. Wenn Journalistinnen vor der Kamera stehen, müssen sie demnach von Kopf bis Fuß bedeckt sein und nur ihre Augen dürfen sichtbar sein.
Frauen berichten in RSF-Videos über ihre Erfahrungen mit Sexismus und Bedrohungen
Zum Internationalen Frauentag veröffentlicht Reporter ohne Grenzen Videostatements von Journalistinnen unter anderem aus Indien, Mexiko, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Deutschland, Österreich, den Philippinen, Brasilien, Syrien, Russland und Dänemark. Darin berichten die Reporterinnen über ihre persönlichen Erfahrungen mit Sexismus im Journalismus und darüber, wie dieser die Pressefreiheit bedroht. Die Videos aller Journalistinnen finden Sie ab Mittwoch auf unserem YouTube-Kanal.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 07.03.2023
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