Ein Istanbuler Gericht hat Untersuchungshaft gegen den Journalisten Sezgin Kartal angeordnet. Gegen ihn werde wegen des Verdachts der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ ermittelt, teilte die Strafabteilung des Amtsgerichts Istanbul am Freitag mit. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Kartal demnach, dem „Pressekomitee der PKK/KCK“ anzugehören. Mit KCK ist die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans gemeint, die als Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung und ihrem Rückgrat, der PKK fungiert.
Kartal war am 10. Januar, dem „Tag des arbeitenden Journalisten“, bei einer frühmorgendlichen Razzia in seiner Istanbuler Wohnung festgenommen worden und befand sich bis heute in Polizeigewahrsam in dem als Folterzentrum berüchtigten Präsidium Vatan. Worauf sich die Vorwürfe gegen den Journalisten, der unter anderem als Chefredakteur des alevitischen Senders Özgün TV arbeitet und für das linke Medium Karşı Mahalle schreibt, konkret beziehen, ist nicht bekannt. Die Ermittlungsakte ist von der Staatsanwaltschaft als Geheimhaltungssache eingestuft worden.
Die HDP-Abgeordnete Serpil Kemalbay sieht hinter den Terrorvorwürfen einen Vorwand, um einen Kritiker der Regierung von Recep Tayyip Erdogan mundtot zu machen. „Mit Sezgin Kartal wurde ein weiterer kritischer Journalist auf Grundlage konstruierter Anschuldigungen seiner Freiheit beraubt. Seine Verhaftung stellt einen Angriff auf die freie Presse dar“, sagte die Parlamentarierin bei einem Protest vor dem Justizpalast Çağlayan. Kezban Konukçu, Ko-Sprecherin der Plattform für sozialistische Solidarität (SODAP), warnte vor weiteren Festnahmen im Bereich der Presse. „Je angespannter die innenpolitische Lage um die Regierung in Ankara herum ist, desto stärker wird der Druck auf oppositionelle Medien und alle anderen unliebsamen Andersdenkenden“, sagte Konukçu. Erdoğan zählt seit Jahren zu den größten Feinden der Pressefreiheit.
Sezgin Kartal, der auch als Aktivist für die Rechte der alevitischen Minderheit bekannt ist, befindet nicht zum ersten Mal im Fokus staatlicher Repression. 2017 wurde er wegen angeblicher „Verbreitung von Propaganda für eine verbotene Organisation“ zu 15 Monaten Haft verurteilt. Die Strafe wurde zunächst ausgesetzt und Kartal blieb auf freiem Fuß, bis das Revisionsgericht das Urteil 2018 bestätigte. 2020 erhielt der Journalist eine knapp 19-monatige Haftstrafe, ebenfalls wegen angeblicher Terrorpropaganda. Das Urteil geht auf die Teilnahme Kartals an Protesten in der südtürkischen Provinz Hatay zurück, die 2015 stattfanden und sich gegen ein Massaker auf der anderen Seite der Grenze richteten. Im April jenes Jahres war in der nordsyrischen Stadt Dschisr asch-Schughur das alawitische Dorf Ischtabrak von den Dschihadistenbündnissen Dschaisch al-Fatah und Freie Syrische Armee (FSA) zunächst bombardiert und danach überrannt worden. Mindestens 68 Menschen wurden ermordet, viele weitere überlebten das Massaker verletzt. Neben Kartal wurden auch zehn weitere Personen verurteilt.
Zuletzt stand Sezgin Kartal im vergangenen Dezember vor Gericht. Das Verfahren stand im Zusammenhang mit der Anzeige eines regierungsnahen Journalisten wegen angeblicher Beleidigung. Kartal hatte den „Türkiye“-Kolumnisten Fuat Uğur für dessen Behauptung kritisiert, der rassistisch motivierte Anschlag auf die HDP-Zentrale in Izmir im Juni 2021, bei dem die Parteimitarbeiterin Deniz Poyraz von dem Ultranationalisten Onur Gencer kaltblütig erschossen wurde, sei „von der HDP selbst zusammen mit FETÖ“ verübt worden (Als FETÖ wird in der Türkei eine hypothetische terroristische Organisation verfolgt, die von der türkischen Regierung für den Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht wird). Bei dem Prozess wurde Kartal vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen.