Reporter ohne Grenzen (RSF) ist erschüttert über das Ausmaß der staatlichen Überwachung von Medienschaffenden in Griechenland. Wie die Wochenzeitung Documento berichtet, sind mehrere Medienfunktionäre Opfer der Spähsoftware Predator geworden. Bereits Ende Oktober wurde bekannt, dass drei Journalisten ausspioniert wurden, die zum sogenannten Predatorgate-Skandal recherchierten. Dass Personen des öffentlichen Lebens, darunter auch Medienschaffende, mithilfe der illegalen Spähsoftware des Herstellers Intellexa ausgeforscht wurden, wurde durch investigative Recherchen in den vergangenen Monaten mehrfach belegt.
„Die ständig neuen Enthüllungen zur Überwachung von Medienschaffenden in Griechenland lassen den Eindruck entstehen, dass hier ein paranoides System der Massenüberwachung eingeführt wurde. Wir sind schockiert und fordern eine gründliche, unabhängige Untersuchung, aus der sich die Regierung komplett heraushalten muss“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Regierung muss aber erklären, wie es zu der Überwachung von Journalistinnen, Journalisten und Medienfunktionären kommen konnte, und rasch konkrete Maßnahmen für einen besseren Schutz vor willkürlicher Ausspähung ergreifen.“
Laut einem Bericht der Wochenzeitung Documento vom Sonntag wurden auf den Geräten von 33 Personen Spuren der Spyware Predator gefunden. Darunter waren mehrere Mitglieder des Kabinetts der konservativen Regierung sowie deren Familienmitglieder, Politikerinnen und Politiker der größten Oppositionspartei Syriza, aber auch Journalistinnen, Journalisten und Geschäftsleute aus der Medienbranche. Zu ihnen gehörten dem Bericht zufolge Alexis Papachelas, Chefredakteur der Zeitung Kathimerini, und Giannis Kourtakis, Herausgeber der Zeitung Parapolitika. Regierungssprecher Ioannis Oikonomou erklärte nach der Veröffentlichung auf Twitter, auch wenn es für die geschilderten Fälle keine Beweise gebe, würden sie von den zuständigen Behörden untersucht.
Zuvor hatte der Investigativjournalist Tasos Telloglou am 24. Oktober enthüllt, dass er selbst zwischen Mai und August 2022 überwacht worden war. Er wurde demnach von Unbekannten beschattet, die auch versuchten, sich Zugang zu seinem Auto zu verschaffen, während er für das unabhängige Medium Inside Story zum „Predatorgate“-Skandal recherchierte. Eine von Telloglous Quellen schickte ihm ein Bild, auf dem Telloglou bei einem Treffen mit dem Journalisten Thanasis Koukakis zu sehen war. Koukakis war vergangenes Jahr zehn Wochen lang mittels Predator überwacht und auch vom Nationalen Nachrichtendienst (EYP) ausspioniert worden.
Tasos Telloglou schrieb zudem, dass seine Kollegin Eliza Triantafillou von Inside Story und sein Kollege Thodoris Chondrogiannos von Reporters United, die ebenfalls zu der Spionageaffäre gearbeitet haben, über ihre Handysignale getrackt worden seien.
Im August war enthüllt worden, dass der Vorsitzende der Oppositionspartei Pasok-Kinal, Nikos Androulakis, ebenfalls mit Predator ausspioniert worden war. Daraufhin traten der Leiter des EYP sowie der Stabschef der Ministerpräsidenten, Grigoris Dimitriadis, der den Geheimdienst beaufsichtigte, zurück. Die Behörden haben jedoch wiederholt die Beschaffung sowie den Einsatz der Spähsoftware bestritten. Darüber hinaus hat Dimitriadis missbräuchliche Klagen gegen die Medien angestrengt, die über den Skandal berichtet hatten. Die Klagen richten sich gegen die Webseite Reporters United und zwei ihrer Journalisten (Nikolas Leontopoulos und den nun offensichtlich ebenfalls überwachten Thodoris Chondrogiannos) sowie gegen die Zeitung Efimerida ton Syntakton und den bekanntermaßen ausgespähten Thanasis Koukakis.
Dies veranlasste die Jury des European SLAPP Contest – organisiert von mehreren Nichtregierungsorganisationen, darunter auch RSF – dazu, Dimitriadis im Oktober zum SLAPP-Politiker des Jahres 2022 zu erklären.
Derweil steht die Aufarbeitung der bereits früher bekannt gewordenen Fälle willkürlicher Überwachung von Journalisten noch aus. Die Ermittlungen auf Grundlage der Strafanzeigen von Finanzjournalist Thanasis Koukakis und Stavros Malichudis, der sich auf das Thema Migration spezialisiert hat, haben bisher noch zu keinem Ergebnis geführt.
Inmitten der neuen Enthüllungen besuchten Mitglieder des Europäischen Parlaments, die sich im Rahmen des PEGA-Untersuchungsausschusses mit dem Einsatz von Spionage-Software befassen, vergangene Woche Athen. Trotz regelmäßiger Lippenbekenntnisse zu europäischen Pressefreiheits-Initiativen weigerte sich Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, die Delegation während ihres dreitägigen Aufenthalts zu treffen. Die Regierung demonstrierte damit ihren Unwillen, Licht in die neuen Informationen in der Abhöraffäre zu bringen und Maßnahmen zum Schutz von Medienschaffenden vor willkürlicher Überwachung vorzuschlagen.
Da die Gesetze, die in Griechenland staatliche Überwachung regeln, für Missbrauch durch politische und private Interessen anfällig sind, hat RSF gemeinsam mit griechischen Expertinnen und Experten Empfehlungen zum besseren Schutz von Medienschaffenden vor willkürlicher Überwachung erarbeitet. Ein RSF-Vertreter hat diese Vorschläge für Gesetzesänderungen bei einem Treffen am 10. Oktober 2022 Regierungssprecher Ioannis Oikonomou vorgelegt. Dieser versprach während des Gesprächs mit RSF, dass die Regierung „bald ein Gesetz vorschlagen wird, um die Verwendung von Spionagesoftware zu verbieten“ und ihre „laufenden Initiativen“ fortsetzen werde, um zusätzliche Kontrollen für die Arbeit von Geheimdiensten einzuführen.
RSF benennt in seinem Papier die fünf größten Probleme:
- Das Fehlen einer richterlichen Aufsicht in Fällen von Überwachung, die die nationale Sicherheit betreffen.
- Das Fehlen von Schutzvorkehrungen gegen ein unverhältnismäßiges Ausmaß von Überwachung
- Das Fehlen spezifischer Schutzvorkehrungen gegen die Überwachung von Journalistinnen und Journalisten
- Das Fehlen ausreichender rechtlicher Rahmenbedingungen.
- Die vage Definition von „nationaler Sicherheit“.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 10.11.2022
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