EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein umfangreiches EU-Unterstützungspaket für den Energiebereich der Westbalkan-Länder angekündigt. Es sind Finanzhilfen in Höhe von einer Milliarde Euro geplant.
Von der Leyen betonte: „Die EU steht nach wie vor hinter dem Westbalkan – in guten wie in schlechten Zeiten. Während der COVID-19-Pandemie haben wir ein beispielloses Paket in Höhe von 3,3 Milliarden Euro für die Region mobilisiert, und heute stellen wir ein Unterstützungspaket für den Energiebereich im Umfang von 1 Milliarde Euro zusammen, um die vulnerabelsten Gruppen zu schützen und die dringend benötigten Investitionen in die Diversifizierung der Energieversorgung anzukurbeln. Wir investieren in das Wirtschaftsgefüge der Region, damit sie bei der Energiewende vorankommen und umweltfreundlicher, nachhaltiger und gestärkt aus der derzeitigen Krise hervorgehen kann.“
Westbalkan-Gipfel in Berlin
Die Ankündigung fand im Rahmen des neunten Westbalkan-Gipfels im Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses statt. Bei dem von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerichteten Treffen kamen die Staats- und Regierungschefs aus dem Westbalkan und ihre Amtskollegen aus neun EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich zusammen. Das Ziel: ihre Agenda für regionale Zusammenarbeit und europäische Integration voranzubringen. Neben der Kommissionspräsidentin nahm auch der Hohe Vertreter und Vizepräsident Josep Borrell an dem Treffen im Kanzleramt teil. Er betonte, die EU steht dem Westbalkan zur Seite – um die Folgen der Aggression Russlands gegen die Ukraine und den Einsatz von Energie als Waffe zu bewältigen. „Die Schlüsselbegriffe für die kommenden Monate sind Resilienz, Stabilität und Aussöhnung. Heute – mehr denn je – ist die regionale Zusammenarbeit, die Stärkung der Stabilität und Fortschritte bei der Aussöhnung nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die Bewältigung dieser Herausforderungen. Fortschritte bei der Umsetzung des gemeinsamen regionalen Marktes in all seinen Dimensionen sind für die Annäherung der Region an die EU von entscheidender Bedeutung. Die EU und der Westbalkan werden weiterhin eine auf gemeinsamen Grundsätzen beruhende Gemeinschaft der Resilienz aufbauen, um die Gefährdung unserer Länder gegenüber Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit zu verringern.“
Bewältigung der aktuellen Energiekrise, Aufbau von Resilienz
Die Finanzhilfen sollen es dem Westbalkan erleichtern, die unmittelbaren Folgen der Energiekrise zu bewältigen und sollen beim kurz und mittelfristigen Aufbau von Resilienz helfen. Die Kommission ist bereit, als Sofortmaßnahme Budgethilfe in Höhe von 500 Millionen Euro zu gewähren. Das soll im Dezember verabschiedet und im Januar zur Verfügung gestellt werden – als Unterstützung für private Haushalte und kleine und mittlere Unternehmen, indem der Anstieg der Energiepreise und seine Auswirkungen abgefedert werden. Kurz- und mittelfristig wird die Kommission über den Investitionsrahmen für den westlichen Balkan (WBIF) weitere 500 Millionen Euro bereitstellen. Dieses Geld ist dafür gedacht, die Diversifizierung der Energieversorgung, die Erzeugung erneuerbarer Energien sowie den Gas- und Stromverbund voranzubringen.
- Mit den kurzfristigen Maßnahmen (für die nächsten 1-2 Jahre) wird die Diversifizierung der Energieversorgung durch den Ausbau von Gas- und Stromverbindungsleitungen, auch für LNG, sowie durch die Förderung von Bauprojekten für erneuerbare Energien und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz unterstützt.
- Die mittelfristige Unterstützung (für die nächsten 2-3 Jahre) wird weitere Investitionen umfassen, die zur Energiewende und zur Energieversorgungssicherheit beitragen. Zu diesen Maßnahmen zählen groß angelegte Projekte zur Erzeugung erneuerbarer Energien, die Modernisierung der Energieübertragungssysteme, die Förderung der Fernwärme und Programme zur Steigerung der Energieeffizienz in alten Wohnblocks.
Begegnung mit Jugendforum und Zivilgesellschaft
Ein Teil des Programms im Bundeskanzleramt war ein Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern des Jugendforums und der Zivilgesellschaft. Junge Erwachsene der sechs Westbalkan-Staaten hatten in dieser Woche beim „Western Balkan Youth Forum“ in Berlin gemeinsam erarbeitet, welche Erwartungen sie an die Politik haben: resiliente Demokratien, Sicherheit und inklusiven Frieden, ein nachhaltiges Leben etwa. Teile des dreitägigen Forums fanden auch im Europäischen Haus statt. Bei einer Diskussionsrunde mit der Pressesprecherin der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, Birgit Schmeitzner, ging es um den Erweiterungsprozess, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Weckruf für Demokratien und die Frage, wie junge Menschen besser gefördert und gehört werden können.
Gemeinsamer Regionaler Markt und der Wirtschafts- und Investitionsplan
Die Runde der Staats- und Regierungschefs und die EU-Vertreter berieten auch, welche Fortschritte die Region im Rahmen des Gemeinsamen Regionalen Marktes macht. Diese regionale Initiative war 2020 in Sofia vereinbart worden, sie hat die sechs Volkswirtschaften zusammengeführt. Besprochen wurde auch die Umsetzung des ebenfalls 2020 eingeleiteten Wirtschafts- und Investitionsplans. Er soll unter anderem die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland verringern, die Dekarbonisierung im Westbalkan beschleunigen und die Energieversorgungssicherheit in der Region erhöhen. Das führt zu einer besseren Lebensqualität der Menschen und das Gesundheitssystem und damit die öffentlichen Haushalten im Westbalkan entlasten.
Die Kommission begrüßte den Durchbruch bei den Verhandlungen über drei im Rahmen des Gemeinsamen Regionalen Marktes geschlossene Vereinbarungen zur Erleichterung der Freizügigkeit und der Beschäftigung in der gesamten Region. Die Vereinbarungen betreffen Reisen mit Identitätsnachweisen innerhalb der Region, die Anerkennung akademischer Qualifikationen und die Anerkennung von Qualifikationen für bestimmte Berufe.
Die Region billigte auch eine Erklärung zur Zusammenarbeit im Bereich der Energiesicherheit. Darin verpflichten sich die Staats- und Regierungschefs, ihre Anstrengungen zur Umsetzung der auf den Grünen Deal der EU abgestimmten Grünen Agenda für den Westbalkan zu verdoppeln. Diese Zusammenarbeit wird zu einer stärkeren Diversifizierung der Energieversorgung und zu saubererer Energie beitragen, sowie zur Beschleunigung der Reformen auf den nationalen Energiemärkten im Westbalkan mit Blick auf eine Annäherung an die EU beitragen.
Die Partner im Westbalkan einigten sich ferner auf ein regionales Instrument zur Vermeidung von Kunststoffabfällen und Abfällen im Meer sowie auf einen gemeinsamen Standpunkt zur biologischen Vielfalt für die COP15 im Dezember in Montreal.
Hintergrund
Das Gipfeltreffen in Berlin ist Teil des Berliner Prozesses, einer Initiative mehrerer EU-Mitgliedstaaten unter deutscher Führung. Sie dazu, mit den sechs Partnern im Westbalkan zusammenzuarbeiten und die regionale Zusammenarbeit sowie die europäische Perspektive der Region zu fördern. Der Prozess umfasst jährliche Gipfeltreffen und eine Reihe von Ministertagungen. Vertreter der EU nehmen ebenso wie wichtige internationale Finanzinstitutionen und einige regionale und internationale Organisationen an den Ministertagungen und Gipfeltreffen teil.
Der Wirtschafts- und Investitionsplan für den Westbalkan sieht die Mobilisierung von Zuschüssen von bis zu 9 Mrd. EUR in den nächsten sieben Jahren und von Darlehen von bis zu 20 Mrd. EUR in Form über die neue Garantiefazilität für den Westbalkan vor. Der Schwerpunkt liegt auf Vorzeigeprojekten in den Bereichen grüner und digitaler Wandel, intelligente Mobilität, nachhaltige Energie, Unterstützung des Privatsektors und Entwicklung des Humankapitals, um dazu beizutragen, die sozioökonomische Kluft zwischen dem Westbalkan und der EU zu verringern. Bislang wurden im Rahmen dieses Plans 24 groß angelegte Investitionsprojekte in den Bereichen nachhaltiger Verkehr, Energiewende, Humankapital und Abfallwirtschaft mit EU-Finanzhilfen von insgesamt 1,2 Milliarden Euro über den WBIF eingeleitet, wodurch Investitionen von bis zu 3,4 Milliarden Euro in Zusammenarbeit mit den internationalen Finanzinstitutionen mobilisiert werden dürften.
Ein zentrales Element für den Erfolg des Wirtschafts- und Investitionsplans und des Berliner Prozesses ist der Gemeinsame Regionale Markt, der von den Staats- und Regierungschefs des Westbalkans im November 2020 in Sofia vereinbart wurde – ein ehrgeiziges Projekt für regionale Wirtschaftsintegration, aus dem ein Raum des freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs nach dem Vorbild und gemäß den Standards der EU hervorgehen soll. Dadurch wird es ermöglicht, das wirtschaftliche Potenzial der Region freizusetzen, sie zu einem attraktiveren Investitionsstandort zu machen und sie näher an die EU heranzuführen.
EU-Kommission / 03.11.2022
Foto: EU-Kommission