Hauptkommissarin Harder hat als Polizei-Ausbilderin in Afghanistan ein Bombenattentat überlebt und soll nun im beschaulichen Friedland die Identität einer Moorleiche feststellen. Doch die Friedländer haben andere Probleme als Harders Ermittlungen, insbesondere als ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt wird und sich eine Explosion ankündigt.
Jury-Begründung / Prädikat wertvoll
Hauptkommissarin Saskia Harder hat als Polizei-Ausbilderin in Afghanistan ein Bombenattentat überlebt und ein schweres Trauma erlitten. Zurück in Deutschland will sie dennoch ihren Beruf als Kriminalkommissarin wieder aufnehmen. Eine medizinische Untersuchung bestätigt ihre Tauglichkeit, empfiehlt aber vorsorglich einen „Einsatz mit geringem Belastungsfaktor“. So wird ihr ein vermeintlich unspektakulärer Fall in der Provinz übertragen: Im Moor nahe dem beschaulichen Städtchen Friedland wurde die mumifizierte Leiche eines jungen Mädchens gefunden, dessen Identität sie aufklären soll. Voller Energie stürzt sich die Kommissarin in die Ermittlung ungelöster Vermisstenfälle, und der ihr zur Seite gestellte lokale Polizist Alfons Tenhagen ist gefordert, wie nie zuvor. Allerdings scheint niemand im Ort wirklich Interesse an den Nachforschungen zu haben. Die Moormeisterin ist abweisend, der Schlossherr Lorenz von Hüning, dessen Tochter vor Jahren verschwand, ist eher an seinen angesammelten Relikten interessiert als an einer Aufklärung. Und dann wird im Graben, der das Wasserschloss umgibt, eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Zu ihrer Sprengung muss der Ort evakuiert werden.
Was zunächst wie ein Provinz-Krimi erscheint, in dem die Kommissarin, umgeben von allerhand Lokalkolorit, nicht nur einen komplizierten Fall lösen, sondern auch noch ein persönliches Trauma verarbeiten muss, erweist sich bald als wesentlich vielschichtiger. Wie beim Häuten der Zwiebel stößt der Film Schicht für Schicht immer tiefer in die deutsche (Kriegs-)Geschichte vor und legt allerhand Vergessenes und Verdrängtes frei, das wie ein Echo in der Gegenwart widerhallt. Damit taucht auch die rosa Rauchwolke, die die Kommisssarin an das Trauma erinnert, das sie hinter sich lassen möchte, immer häufiger auf und vernebelt ihren Blick auf die Ermittlungen. Hinter allem steht mahnend die mythologische Figur der Nymphe Echo, die von der griechischen Göttin Hera mit einem Bann belegt wurde, der sie sprachlos machte und jeweils nur die letzten an sie gerichteten Worte wiederholen ließ.
Regisseurin Mareike Wegener, die auch für Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnet, ist bisher mit Dokumentarfilmen hervorgetreten, und der dokumentarische Blick prägt auch ihr Spielfilmdebüt. Zwar scheinen die Bilder polizeilicher Ermittlungen aus landläufigen Kriminalfilmen bekannt, aber die gängigen Sehgewohnheiten werden hier bewusst unterlaufen. Es soll keine äußere Spannung oder besondere Identifikation mit der Protagonistin aufgebaut werden, und die Zuschauenden sollen auch nicht allzu emotional in die Handlung hineingezogen werden. Daher gibt es keine Großaufnahmen, Handkamera, schnellen Schnitte oder Ähnliches, und auf spektakuläre Bilder von der Moorleiche oder der Bombensprengung wird gänzlich verzichtet. Der im klassischen Academy-Format, im Seitenverhältnis 4:3, aufgenommene Film wahrt vielmehr stets eine gewisse Distanz zum Geschehen. Kamerafrau Sabine Panossian arbeitet hauptsächlich mit Totalen in langen, starren Einstellungen und verzichtet weitgehend auf Schwenks und Fahrten oder andere Bewegungen, die Spannung, Emotionalität oder Immersion erzeugen können. Dadurch wirken die Einstellungen fast fotografisch, was gut zur langsamen Erzählweise des Films passt, ihm aber auch eine gewisse Theaterhaftigkeit verleiht. Bewegung entsteht allein durch die Personen im Bild, wobei die Darsteller:innen sehr verhalten agieren. Auch ihre Dialoge sind lakonisch und erscheinen mitunter absurd. Dadurch entstehen einige skurrile Überraschungseffekte und komische Momente. Das wird unterstrichen durch die – insgesamt sparsam eingesetzte – Filmmusik von Thom Kubli, die bekannte Klänge ins Atonale übergehen und Dissonanzen entstehen lässt.
Stilsicher komponiert Mareike Wegener einen komplexen Film über die Provinz in Gegenwart und Vergangenheit, über persönliche und kollektive Traumata und Verdrängungen, dem man über weite Strecken gern zuschaut. Die Langsamkeit der Erzählung und der erzeugte Guckkasteneffekt bergen aber auch die Gefahr, dass das Interesse der Zuschauenden nach gewisser Zeit nachlässt – zumal gegen Ende eher abstrakte Ideen die Oberhand gewinnen, während die deutsche Geschichte in den Hintergrund gerät und der ursprüngliche Kriminalfall eher beiläufig aufgeklärt wird. In Anerkennung der dargelegten Qualitäten, Abwägung aller Argumente und nach ausführlicher Diskussion zeichnet die Jury den Film gerne mit dem Prädikat WERTVOLL aus.
Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) / 22.11.2022
Bidschirmfoto: FBW