Anlässlich dieses erneuten Rückschlags für das E-Rezept spricht sich auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) für einen vorläufigen Stopp des weiteren Rollouts aus, bis entsprechende Rahmenbedingungen für eine Fortführung durch gematik und Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geschaffen wurden. Zuletzt wurde lediglich die Marke von einer halben Million E-Rezepten überschritten, die vielfach nicht digital, sondern nur per Token-Ausdruck in Apotheken eingelöst werden konnten – ein Medienbruch, der Patienten und Berufsstand kaum vermittelbar ist. Nun hat die Anwendung den nächsten Rückschlag erlitten. „Wir brauchen jetzt ein belastbares und funktionierendes Umsetzungs-Konzept – gematik und BMG müssen hier liefern!“, sagte Dr. Karl-Georg-Pochhammer, stellv. Vorstandsvorsitzender der KZBV. „Praxen, die das E-Rezept bereits nutzen, können und sollen das weiterhin tun. Der Rollout muss jedoch grundsätzlich neu justiert werden.“
Nach dem Ausstieg der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe unterstützen derzeit in beiden Pilotregionen die jeweiligen KVen den Rollout des E-Rezepts nicht mehr aktiv. Gestern hatte auch die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe mitgeteilt, den Rollout bis auf Weiteres nicht mehr zu unterstützen. Die von gematik und Gesellschaftern gesetzten Erfolgskriterien – besonders die Mindestquote von 25 % an E-Rezepten pro Region und Versorgungssektor – sind faktisch nicht mehr erreichbar. Die Ärzte hatten ihren Ausstieg damit begründet, dass in den Testregionen kein flächendeckender digitaler Einlöseweg für das E-Rezept verfügbar ist und Patientinnen und Patienten weiter einen Papierausdruck erhalten müssen.
Die ursprüngliche Lösung der gematik in Form einer App ist momentan für die meisten Patienten nicht nutzbar, da sie entweder die dafür notwendige eGK der neuesten Generation oder die dazugehörige PIN noch nicht haben. Um diese zu bekommen, müssen sich Patienten zunächst mit einem geeigneten und zugelassenen Verfahren identifizieren. Nach dem Verbot des bis Sommer noch möglichen, komfortablen VideoIdent-Verfahren gibt es momentan nur die Möglichkeit einer Vor-Ort-Identifizierung – in der Filiale der zuständigen Kasse oder mittels PostIdent. Auf absehbare Zeit wird diese Lösung nicht für die Masse der Patientinnen und Patienten nutzbar sein.
Als mögliche Alternative war vorgesehen, das E-Rezept durch Vorlage der eGK in der Apotheke einzulösen: (Zahn)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte stellen dabei das E-Rezept aus, müssen aber kein Papier bedrucken, dass Patienten ausgehändigt wird, die die E-Rezept-App nicht nutzen können oder wollen. Patienten könnten dann in der Apotheke ihre eGK einlesen lassen. Die Apotheke wird so berechtigt, die vorliegenden E-Rezepte vom Fachdienst abzuholen und die verordneten Medikamente abzugeben. Allerdings hat diese von der gematik spezifizierte Umsetzung eine erhebliche sicherheitstechnische Schwäche, da nicht ausreichend verhindert wird, dass Apotheken Rezepte einsehen und herunterladen können, zu denen keine eGK vorliegt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und der Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) hatten dieser „Lösung“ deshalb ihre Zustimmung verweigert.
„Die KZBV hatte bereits beim Beschluss dieser Lösung auf die Problematik hingewiesen und eine datenschutz- und sicherheitskonforme Umsetzung gefordert“, erklärte Pochhammer. „Bedauerlicherweise wurde dem nicht entsprochen. Erst nachdem die erwartbaren Stellungnahmen von BfDI und BSI vorlagen, wurden in der gematik Alternativen zu dem bemängelten Szenario in Erwägung gezogen. Dadurch ging unnötig Zeit verloren, sodass die gematik nun erst mit einer Umsetzung Mitte 2023 rechnet.“
„Uns Zahnärzten reicht es langsam! Dieses Hin und Her muss endlich aufhören. Die gematik muss jetzt erstmal ihre „Hausaufgaben“ machen, die geforderten digitalen Einlösewege sicher und datenschutzkonform umsetzen, bevor der bundesweite Rollout fortgesetzt werden kann“. Das BMG solle dies als Chance begreifen, die lange geforderte Informationskampagne für das E-Rezept vorzubereiten, die trotz Start des Rollouts im September noch nicht angelaufen ist. „Bislang wurden nicht einmal die Praxen mit angekündigten Patienteninformationen versorgt. Bei einem solch komplexen Verfahren müssen Patienten aber rechtzeitig mitgenommen werden. Das können die Praxen nicht auch noch leisten.“ Die KZBV werde weiterhin KZVen und Praxen unterstützen, die sich freiwillig mit dem E-Rezept beschäftigen und dies bereits umsetzen wollen, betonte Pochhammer.
KZBV / 04.11.2022