Der serbischen Reporterin des Investigativ-Magazins KRIK und RSF-Stipendiatin Dragana Pećo droht eine Gefängnisstrafe wegen eines Artikels, in dem sie geheime Praktiken eines mächtigen Geschäftsmannes aufgedeckt hatte. Dieser steht dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić nahe. Reporter ohne Grenzen (RSF) wird den Prozess, der am 28. Oktober fortgesetzt wird, vor Ort begleiten. Zugleich fordert die Organisation Serbien dazu auf, Maßnahmen gegen so genannte Knebel- oder auch SLAPP-Klagen (Strategic Lawsuits Against Public Participation) zu ergreifen. Damit wird versucht, kritische Berichterstattung zu unterbinden, indem betroffene Medienschaffende eingeschüchtert werden und viel Zeit auf ihre Verteidigung aufwenden müssen. Serbien strebt einen Beitritt zur Europäischen Union an.
„Geschäftsleute mit zweifelhaften Verbindungen zur Politik sowie auch Politikerinnen und Politiker selbst setzen missbräuchliche Klagen ein, um Journalistinnen und Journalisten zum Schweigen zu bringen. Weder von der serbischen Justiz noch von der Gesellschaft wird dies jedoch als großes Problem wahrgenommen“, sagte die RSF-Teamleiterin Advocacy Lisa Kretschmer. „Das muss sich ändern, um den unabhängigen Journalismus im öffentlichen Interesse zu schützen, der in Serbien von allen Seiten unter Beschuss steht.“
Serbien hat durch seine vielen SLAPP-Klagen traurige Berühmtheit erlangt: Am 20. Oktober wurde es im Rahmen des europäischen SLAPP-Wettbewerbs mit dem Preis für das „SLAPP-Land des Jahres“ ausgezeichnet. Die Jury nannte zur Begründung 18 Fälle im vergangenen Jahr, allein zehn Klagen waren zu Beginn 2022 gegen das Investigativmagazin KRIK oder dessen Mitarbeitende noch offen. Der Negativpreis wird von der Europäischen Koalition gegen Knebelklagen (CASE) vergeben, der auch RSF angehört.
„Wir fordern den EU-Beitrittskandidaten Serbien dazu auf, die Empfehlungen der Europäischen Kommission aus dem April 2022 vollständig umzusetzen. Sie enthalten präventive Maßnahmen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten vor SLAPP-Klagen sowie Strafmaßnahmen gegen diejenigen, die sie einreichen“, sagte Pavol Szalai, Leiter des EU-Balkan-Desks des internationalen RSF-Sekretariats in Paris.
Die Klage gegen die Investigativjournalistin Dragana Pećo ist ein typischer Fall von SLAPPs: Sie wurde bereits zum zweiten Mal von Nikolas Petrović verklagt, einem einflussreichen Geschäftsmann und engem Freund des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Pećo und ihre Co-Autorin Vesna Radojević hatten Verstrickungen Petrovićs zu dem umstrittenen Geschäftsmann Stanko Subotic aufgedeckt. Demnach hatte Petrović von Subotic über Zwischenhändler in Luxemburg eine Fluggesellschaft zu einem stark reduzierten Preis gekauft. Im Falle einer Verurteilung drohen Pećo zwei Monate Haft, für Co-Autorin Radojević beantragten die Anwälte des Klägers einen Monat Gefängnis. Den Journalistinnen wird die unbefugte Erhebung personenbezogener Daten vorgeworfen.
Der Prozess zieht sich seit fast eineinhalb Jahren hin, die nächste Anhörung ist für den 28. Oktober angesetzt. Zur Unterstützung von Dragana Pećo wird RSF den Prozess vor Ort als Teil einer größeren Mission zur Pressefreiheit in Serbien beobachten.
KRIK, das über organisiertes Verbrechen und Korruption berichtet, wird immer wieder mit SLAPP-Klagen konfrontiert. Zuletzt wurde es von der ehemaligen Staatssekretärin des serbischen Innenministeriums, Dijana Hrkalović, verklagt. Die Politikerin steht derzeit selbst vor Gericht, weil sie angeblich ihr hohes politisches Amt dazu benutzt hat, strafrechtliche Ermittlungen zu behindern. Zahlreichen Recherchen von KRIK zufolge stand Hrkalović in Kontakt mit der organisierten Kriminalität. Hrkalović hat gegen 15 weitere Medien geklagt.
Journalistinnen und Reporter in Serbien erhalten nur spärlich Zugang zu Informationen. Weder die Staatsanwaltschaften noch die Gerichte kommunizieren ausreichend mit der Presse, so eine aktuelle Studie des Unabhängigen Journalistenverbandes Serbiens (NUNS). Vielen Richterinnen und Richtern ist nicht bewusst, dass SLAPPs bewusst darauf abzielen, journalistische Arbeit auszubremsen. Oft werden von den Klägern bewusst hohe Schadensersatzforderungen gestellt, so dass allein die Prozesskosten die Existenz der Redaktion bedrohen. Freiberufliche Medienschaffende sind noch stärker gefährdet.
Reporter ohne Grenzen (RSF) / 26.10.2022
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